
Mit dem Klimawandel steigt der Druck, der Atmosphäre gezielt Kohlendioxid (CO2) zu entnehmen – möglicherweise auch mithilfe des Meeres. Doch welche Verfahren zur CO2-Entnahme und -Speicherung sollten eingesetzt werden? Wissenschaftler der Forschungsmission CDRmare haben einen neuen Leitfaden entwickelt, der hilft, faktenbasiert zu entscheiden, ob eine marine Entnahmemethode oder ein Entnahmeprojekt umgesetzt werden können und ob ihre Folgen für Mensch und Natur wünschenswert sind. Grundlage dürfen dabei nicht nur die technische, rechtliche und politische Machbarkeit sein, sondern es müssen auch die Folgen eines Einsatzes für Mensch und Natur auf einheitliche Weise bewertet werden.
Bewertungsleitfäden für Klimaschutzmaßnahmen werden von Fachleuten entwickelt und eingesetzt, um im Rahmen einer Technologiebewertung alle relevanten Informationen zu sammeln, zu strukturieren und zu gewichten. Diese Aufgabe erfüllen existierende Bewertungsschemata für Klimaschutzmaßnahmen wie etwa solche zur CO2-Entnahme und -Speicherung jedoch nur unzureichend, urteilen Experten der Forschungsmission CDRmare in zwei neuen Fachpublikationen.
„Für die Frage, ob und wie ein CO2-Entnahmeverfahren umgesetzt werden sollte, sind sowohl seine Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit relevant als auch seine Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Mit den bislang bekannten Schemata lässt sich diese Frage aber nicht systematisch betrachten. Wir zeigen jetzt, wie es besser geht und stellen Akteuren einen strukturierten Leitfaden für die Bewertung mariner CO2-Entnahmeprojekte zur Verfügung. Mit ihm können sie alle zentralen Themenaspekte bearbeiten und am Ende faktenbasiert entscheiden“, sagt JProf. Dr. Christian Baatz, Klima- und Umweltethiker an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Ko-Autor der beiden neuen Fachartikel.
29 Kriterien für eine Bewertung mariner CO2-Entnahmemethoden
Der neue Leitfaden umfasst 29 Kriterien, mit denen sieben große Themenbereiche beleuchtet werden. Dazu gehören sowohl Fragen zur technischen, rechtlichen und politischen Machbarkeit der zu bewertenden Verfahren als auch Fragen zur Wirtschaftlichkeit, Gerechtigkeit und solche der Umweltethik. Aufgrund dieser Komplexität empfehlen die Forschenden, Fachleute aus der Wissenschaft, der Wirtschaft, der öffentlichen Verwaltung, aus Interessenverbänden sowie aus gegebenenfalls betroffenen Bevölkerungsgruppen in den Bewertungsprozess einzubinden. Diesem Grundsatz folgend, hatten die Wissenschaftler die Praxistauglichkeit des neuen Bewertungsleitfadens in einer Reihe transdisziplinärer Workshops überprüft, an denen zahlreiche Vertretern aus Behörden und Interessenverbänden teilnahmen.
„Wie unsere Erfahrungen aus den Testläufen des neuen Leitfadens zeigen, sollte niemand allein versuchen, eine marine CO2-Entnahmemethode oder ein konkretes Entnahmeprojekt zu bewerten. Aufgrund der hohen Komplexität des Themas braucht es immer die Expertise vieler“, betont Ko-Autor Dr. Lukas Tank, ebenfalls Klima- und Umweltethiker an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Im Idealfall machbar und wünschenswert
Neben dem Kriterienkatalog haben die Forschenden fünf Leitprinzipien definiert, die dazu beitragen sollen, dass im Zuge des Bewertungsverfahrens Informationen mit bestmöglicher Qualität zusammengetragen werden. Diese Leitprinzipien zielen darauf ab, das Verfahren transparent zu gestalten und alle möglicherweise von der Maßnahme betroffenen Parteien an dem Bewertungsverfahren zu beteiligen.
„Final zu entscheiden, ob ein konkretes marines CO2-Entnahmeprojekt umgesetzt werden soll, bleibt den politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen vorbehalten. Im besten Fall entscheiden sich diese für wirksame Projekte und Methoden, die sowohl technisch, rechtlich und politisch machbar sind als auch wirtschaftlich, gerecht und umweltverträglich. Dabei kann sie unser Bewertungsrahmen unterstützen“, sagt Prof. Dr. Gregor Rehder, Chemiker am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW).