
Die Transpolardrift, eine großräumige Meeresströmung, ist ein wichtiger Transportweg für Süßwasser und terrestrische Stoffe im Arktischen Ozean. Die Oberflächenströmung prägt nicht nur die polaren Ökosysteme, sondern beeinflusst auch die globale Ozeanzirkulation. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Bristol hat nun gemeinsam mit internationalen Partnern, darunter die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), bisher unbekannte Einblicke in die Transportwege geliefert, über die beispielsweise Nähr- oder Schadstoffe aus sibirischen Flüssen in die Arktis gelangen.
Die Ergebnisse, die am heutigen 14. April in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, wecken neue Besorgnis über die zunehmende Ausbreitung von Schadstoffen und deren mögliche Folgen für die empfindlichen Ökosysteme der Arktis angesichts des fortschreitenden Klimawandels.
Tiefgreifenden Veränderungen durch den Klimawandel
Die neue Studie basiert auf den Ergebnissen der MOSAiC-Expedition – der bisher größten Arktis-Expedition, bei der das deutsche Forschungsschiff POLARSTERN ein Jahr lang eingefroren im Meereis driftete. Die Forschenden liefern das bislang präziseste Bild davon, wie die sogenannte Transpolardrift funktioniert und welche verschiedenen Faktoren diese wichtige arktische Oberflächenströmung beeinflussen – darunter auch steigende Temperaturen, die die Verbreitung von Schadstoffen zusätzlich verstärken könnten.
Der arktische Stofftransport beeinflusst sowohl die Verteilung von natürlichen Stoffen wie Nährstoffe, Spurenelemente, Gase und organisches Material als auch von anthropogenen Schadstoffen wie Mikroplastik oder Schwermetalle. Diese gelangen aus den sibirischen Flusssystemen in den zentralen Arktischen Ozean und weiter in den Nordatlantik. Alle diese Stoffe beeinflussen die biogeochemischen Prozesse und Ökosysteme in der Arktis, während das Süßwasser selbst die Ozeanzirkulation verändert.
Transportwege variabler als bisher angenommen
Da der Arktische Ozean ein besonders variables System ist, folgen die Stoffe aus den Flüssen keinem einheitlichen Pfad. Stattdessen nehmen sie unterschiedliche, jahreszeitlich variierende Wege, die durch sich ändernden Schelfbedingungen, Meeresströmungen und der Bildung, Drift und dem Abschmelzen von Meereis bestimmt werden. Dies führt zu einer raschen und weiträumigen Umverteilung sowohl von natürlichen Stoffen als auch von schädlichen Substanzen.
„Wir haben deutliche Veränderungen in der Zusammensetzung des sibirischen Flusswassers entlang der Transpolardrift beobachtet – ein klarer Hinweis auf hochdynamische Wechselwirkungen. Saisonale Schwankungen der Flusseinträge und die dynamische Zirkulation auf dem sibirischen Schelf treiben die Variabilität an der Ozeanoberfläche an, während die Wechselwirkung zwischen Meereis und Ozean die Umverteilung der von den Flüssen transportierten Stoffe noch verstärkt,“ erklärt Erstautor Dr. Georgi Laukert, Marie-Curie-Postdoktorand für Chemische Ozeanographie an der Universität Bristol (UK) und der Woods Hole Oceanographic Institution (USA).
„Eine weitere zentrale Erkenntnis ist die zunehmend aktive Rolle des Meereises, das sich entlang der Transpolardrift bildet – nicht nur als passives Transportmittel, sondern als aktiver Gestalter der Stoffumverteilung. Dieses Meereis nimmt während seines Wachstums – anders als das meiste küstennahe Meereis – Material aus mehreren Flüssen auf und bildet so komplexe Stoffmischungen, die über weite Strecken transportiert werden,“ so Laukert, der nach seiner Promotion an der Uni Kiel als Postdoktorand am GEOMAR Helmholz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und an der Dalhousie University (Kanada) geforscht hatte.

Geochemischer Abdruck ermöglicht Rückverfolgung von Stoffflüssen
Um diese komplexen Transportwege zu entschlüsseln, analysierte das internationale Forschungsteam die Isotope von Sauerstoff und Neodym und Seltenen Erden in Proben von Meerwasser, Meereis und Schnee und erstellte daraus einen geochemischen Datensatz. Dieser geochemische „Fingerabdruck“ ermöglichte es den Forschenden, die Herkunft der in den Flüssen transportierten Stoffe zurückzuverfolgen und deren Entwicklung im Laufe eines Jahres im zentralen Arktischen Ozean zu rekonstruieren.
„Die Ergebnisse stellen eine bislang einzigartige Ganzjahresbeobachtung dar. Zuvor hatten wir nur Sommerdaten, da Expeditionen ins Wintereis zu aufwendig und zu zeitintensiv waren. Diese kontinuierlichen, interdisziplinären Daten aus der Arktis liefern entscheidende Erkenntnisse, die unser Verständnis des hochkomplexen Ozeansystems und seiner zukünftigen Entwicklung erheblich erweitern,“ sagt Co-Autorin Dr. Dorothea Bauch von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Da sich das sommerliche Meereis aufgrund steigender Temperaturen weiter zurückzieht, verändern sich auch die Zirkulations- und Driftmuster zunehmend. „Diese Veränderungen könnten die Verteilung von Süßwasser und Flussmaterial in der Arktis grundlegend beeinflussen – mit weitreichenden Folgen für Ökosysteme, biogeochemische Kreisläufe und die Dynamik der Ozeane,“ ergänzt Co-Autor Prof. Dr. Benjamin Rabe vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) und Honorarprofessor an der Hochschule Bremerhaven.
Transpolardrift nicht so stabil wie angenommen
Die Forschungsergebnisse stellen auch die langjährige Annahme in Frage, dass die Transpolardrift ein stabiles ‚Förderband‘ für Flusswasser ist. Zwar wurde sie bereits von Fridtjof Nansen auf seiner legendären Fram-Expedition in den 1890er Jahren beschrieben, doch mehr als 130 Jahre später zeigen die neuen Erkenntnisse, dass die Transpolardrift räumlich und zeitlich sehr variabel ist.
„Unsere Studie befasst sich zwar nicht mit einzelnen Schadstoffen, beleuchtet aber die zugrundeliegenden Transportmechanismen, ein entscheidender Schritt, um vorherzusagen, wie sich der arktische Stofftransport im Zuge der globalen Erwärmung verändern wird. Wenn selbst diese symbolträchtige Strömung so dynamisch ist, dann könnte der gesamte Arktische Ozean deutlich variabler und anfälliger sein als bisher angenommen,“ resümiert Dr. Laukert.