
Biomasse ist derzeit die größte erneuerbare Energiequelle in der EU, aber die Klimastrategien konzentrieren sich meist auf andere Energiequellen. Eine umfassende Analyse unter der Leitung der Chalmers University of Technology in Schweden zeigt nun, dass Biomasse für die Erreichung der europäischen Klimaziele von entscheidender Bedeutung ist, da sie zur Herstellung von fossilfreien Brennstoffen und Chemikalien verwendet werden kann und zudem die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre ermöglicht. Ein Ausschluss der Biomasse aus dem europäischen Energiesystem würde zusätzliche Kosten in Höhe von 169 Milliarden Euro pro Jahr verursachen – etwa so viel wie der Ausschluss der Windenergie.
Die Chalmers University of Technology (schwedisch: Chalmers tekniska högskola) ist eine renommierte technische Hochschule in Göteborg, Schweden. Sie wurde 1829 gegründet und ist heute eine der führenden technischen Universitäten in Skandinavien. Chalmers gilt als eine der führenden technischen Hochschulen in Schweden und Europa. Sie trägt wesentlich zur technologischen Entwicklung bei und fördert Innovationen im Bereich nachhaltiger Technologien. In der hier vorliegenden Veröffentlichung in Nature Energy haben Forscher der Chalmers University of Technology, der Rise Research Institutes of Sweden und der Technischen Universität Berlin aufgezeigt, wie ein zukünftiges europäisches Energiesystem aussehen könnte – einschließlich Strom, Heizung, Industrie und Verkehr.
Biomasse, wie z. B. Energiepflanzen, Holzabfälle, Getreidestroh und Holzabfälle, sei dabei eine vielseitige Quelle für erneuerbare Energie, die viele Industriezweige nutzen wollen, um ihre Treibhausgasemissionen zu verringern. Biomasse könne fossile Brennstoffe ersetzen, zum Beispiel in der Stahl- und Zementindustrie und in Kraftwerken, die Haushalte mit Strom und Fernwärme versorgen. Auch bei der Herstellung von Kunststoffen und Chemikalien sowie bei der Produktion von Kraftstoffen für Fahrzeuge, Schifffahrt und Luftfahrt könne sie Erdöl und fossiles Gas ersetzen, so die schwedischen Wissenschaftler.
Weiter heißt es in einer Publikation der technischen Universität Darüber könne Biomasse eine Schlüsselrolle bei einem zunehmend wichtigen Teil des Klimawandels spielen: der Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Die Kohlenstoffatome in der Biomasse kämen früher als Kohlendioxid in der Atmosphäre vor und wurden von den Pflanzen durch Photosynthese aufgenommen. Normalerweise werden die Kohlenstoffatome bei der energetischen Nutzung von Biomasse wieder als Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben. Würde die Bioenergie jedoch mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) kombiniert, werden diese Kohlendioxidemissionen vermieden. Die Nutzung von Biomasse mit CCS erreiche also zwei Ziele gleichzeitig: Sie liefere Energie und entziehe der Atmosphäre Kohlendioxid, was als negative Emissionen bezeichnet wird.
Rapide steigende Kosten, wenn die Menge an Biomasse reduziert wird
Mit der wachsenden Nachfrage nach nicht-fossilen Alternativen habe sich der Wettbewerb um erneuerbare Ressourcen verschärft – was die politischen Entscheidungsträger und die Industrie dazu veranlasse, sich mit Fragen zu Politiken und Investitionen in Ressourcen und Technologien auseinanderzusetzen, die den Klimawandel im Energiesektor wirksam unterstützen. Da Biomasse so vielseitig einsetzbar sei, beschäftigten sich Wissenschaftler mit Fragen zur Rolle der Bioenergie im Energiesystem. Wie wirkt sich die schwankende Verfügbarkeit von Biomasse auf die Klimawende im Energiesektor aus? Wie und wo wird Biomasse am besten eingesetzt?
Die Forscher untersuchten zwei Emissionsziele für das Energiesystem: eines mit Null-Emissionen von Kohlendioxid und eines mit negativen Emissionen (minus 110 Prozent im Vergleich zu 1990). Die Biomasse in diesem System bestehe hauptsächlich aus Abfallstoffen aus der Forst- und Landwirtschaft in Europa sowie einem teureren Teil, der importiert werde.
Der Hauptautor der Studie, Markus Millinger, der zum Zeitpunkt der Studie an der Chalmers-Universität forschte und jetzt bei Rise tätig ist, stellt fest, dass Biomasse eine unerwartet wichtige Rolle bei der Energiewende spielt.
„Eine Sache, die uns überrascht hat, war, wie schnell es aufgrund der hohen Kosten der Alternativen sehr teuer wird, wenn wir die Verfügbarkeit von Biomasse im Energiesystem reduzieren. Wenn Biomasse vollständig ausgeschlossen wird, würden die Kosten des Energiesystems mit negativen Emissionen um 169 Milliarden Euro pro Jahr steigen, verglichen mit demselben System mit einem kostenoptimalen Anteil an Biomasse. Das ist ein Anstieg von 20 Prozent, der in etwa den Kosten für den Ausschluss der Windkraft entspricht.“
Wenn die Verfügbarkeit von Biomasse auf das derzeitige Niveau der Biomassenutzung im europäischen Energiesystem beschränkt wird, betragen die zusätzlichen Kosten 5 Prozent im Vergleich zum kostenoptimalen Niveau.
„Aber der finanzielle Teil ist vielleicht nicht das größte Problem“, sagt Markus Millinger. „Die große Schwierigkeit könnte darin bestehen, die Alternativen auszubauen. Selbst mit Biomasse im System ist es eine echte Herausforderung, fossilfreie Energie in dem erforderlichen Ausmaß auszubauen. Eine weitere Einschränkung des Angebots an Biomasse würde die Energiewende sehr erschweren, da noch größere Mengen anderer fossilfreier Energieformen benötigt würden.“
„Darüber hinaus würden wir die Chance auf negative Emissionen verpassen, die die Nutzung von Biomasse bietet. Um dann negative Emissionen im Energiesektor zu erreichen, müsste stattdessen die Kohlenstoffabscheidung direkt aus der Luft in großem Umfang ausgebaut werden. Dies ist eine wesentlich teurere Technologie, die einen Energieeinsatz erfordert, anstatt einen Nettoenergieoutput zu liefern.“
Die Bindung von Kohlendioxid ist entscheidend
Eine zentrale Schlussfolgerung der Studie ist, dass der Wert von Biomasse im Energiesystem in erster Linie mit der Tatsache zusammenhänge, dass sie Kohlenstoffatome enthalte. Biomasse als Energiequelle sei weniger wichtig. Die heutigen Großtechnologien zur Nutzung des Energiegehalts von Biomasse, z. B. durch Verbrennung in Kraftwerken, könnten mit Technologien zur Abscheidung des Kohlendioxids aus den Abgasen kombiniert werden. Dann könne das Kohlendioxid entweder dauerhaft unterirdisch gelagert oder als Baustein in Produkten wie Kraftstoffen und Chemikalien wiederverwendet werden.

Biomasse könne also Energie liefern und gleichzeitig negative Emissionen ermöglichen oder fossile Rohstoffe ersetzen. Und gerade die letztgenannten Möglichkeiten hätten sich inzwischen als besonders wichtig für den Klimawandel erwiesen. Daher ist es entscheidend, dass die Kohlenstoffatome eingefangen würden, um sie effizient zu speichern oder wiederzuverwenden, aber es ist weniger wichtig, wie der Energiegehalt der Biomasse genutzt wird.
„Solange die Kohlenstoffatome verwertet werden, ist es nicht entscheidend, in welchem Sektor die Biomasse eingesetzt wird, außer dass es von Vorteil ist, einen kleinen Teil der Biomasse als flexible Reserve für die Stromerzeugung zu nutzen, um die Versorgungssicherheit zu stärken“, sagt Markus Millinger. „Faktoren wie die regionalen Gegebenheiten und die vorhandene technische Infrastruktur sind daher wichtig, um zu entscheiden, was am günstigsten ist. Das bedeutet, dass die Länder unterschiedliche Wege wählen können, wenn sie Biomasse zur Erreichung negativer Emissionen nutzen wollen – zum Beispiel über die Erzeugung von Strom, Wärme oder Biokraftstoffen.“
Erweiterte Wissensbasis für die Politikberatung entwickeln
Die Forscher haben ein fortschrittliches Modell verwendet, das mehr Technologien und einen höheren Detaillierungsgrad als frühere ähnliche Studien umfasse. Das Modell zeige auch, wie sich alle gesellschaftlichen Bereiche innerhalb des Energiesystems gegenseitig beeinflussten. Die neue Studie biete somit eine erweiterte Wissensgrundlage für die Entwicklung politischer Maßnahmen – nicht zuletzt im Zusammenhang mit Biomasse und Technologien für negative Emissionen.
„Die Abscheidung und Speicherung oder Wiederverwendung von Kohlendioxid, beispielsweise durch die Herstellung fortschrittlicher Kraftstoffe, erfordert hohe Investitionen, um in Gang zu kommen, und es müssen langfristige, nachhaltige und zuverlässige Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. Ein Markt für fossilfreies Kohlendioxid würde die Möglichkeiten für solche Investitionen im Vergleich zu heute, wo in erster Linie die Energie bewertet wird, erheblich verbessern. Dies setzt jedoch voraus, dass die Entscheidungsträger stabile politische Instrumente schaffen, um den großen Wert von fossilfreiem Kohlendioxid im Rahmen des Klimawandels zu realisieren“, sagt Markus Millinger.
Die technologische Entwicklung und die Politik hätten eine zunehmende Nutzung der Bioenergie in der EU gefördert. Es gäbe aber auch politische Instrumente, die ihre Nutzung auf verschiedene Weise einschränkten, und zwar aufgrund von Bedenken über mögliche negative Auswirkungen wie höhere Lebensmittelpreise, Abholzung und Verlust der biologischen Vielfalt.
„Der Bioenergiesektor entwickelt sich in einem Kontext, in dem die Land- und Forstwirtschaft zunehmende Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen muss“, sagt Göran Berndes, Mitautor der Studie und Professor für Biomasse und Landnutzung an der Chalmers University. „Da der Klimawandel den Druck auf Wälder und landwirtschaftliche Flächen voraussichtlich erhöhen wird, ist es wichtig, dass es Regulierungssysteme gibt, die die Entwicklung in eine positive Richtung lenken.“
„Gleichzeitig können Bioenergiesysteme so gestaltet werden, dass sie zu einer effizienteren Ressourcennutzung und zur Milderung der negativen Umweltauswirkungen der derzeitigen Landnutzung beitragen. Wenn die politischen Instrumente so gestaltet sind, dass Landbesitzer und andere Akteure dafür belohnt werden, dass sie ‚das Richtige‘ tun, kann dies an sich schon die Entwicklung von umweltschädlichen Aktivitäten ablenken“, so Göran Berndes.