
Dass Grünflächen in lärmbelasteten Städten den Menschen Erholung von Stress bieten, überrascht kaum. Eine umfassende Studie der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und der und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zeigt jedoch erstmals für die Schweiz, wie stark sich diese Erholungsräume tatsächlich auf die körperliche und mentale Stressbewältigung auswirken.
Immer mehr Menschen ziehen in Städte, was mehr Verkehr, dichteres Wohnen und weniger Platz für Parks oder andere Grünflächen mit sich bringt. Die urbane Bevölkerung ist dadurch immer mehr Lärm ausgesetzt und hat weniger Möglichkeiten, sich in natürlichen Umgebungen zu erholen. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Studie der Empa und der WSL zeigt nun, wie groß das Potenzial von urbanen Grünflächen für die Erholung und Stressbewältigung tatsächlich ist.
«Die lärmgeplagte Stadtbevölkerung kann sich deutlich besser erholen, wenn sie in der Nähe von Grünflächen oder in begrünten Umgebungen wohnt. Dieser Effekt zeigt sich sowohl auf der körperlichen als auch auf der mentalen Ebene – und ist sogar langfristig nachweisbar», fasst Empa-Forscher Beat Schäffer die Haupterkenntnisse zusammen. «Die negative Auswirkung von Lärm auf den Menschen lässt sich durch Grünflächen also bis zu einem gewissen Grad kompensieren.»
Stresstest im Labor
Bisher wurde viel über die negativen Auswirkungen von Lärm geforscht, jedoch deutlich weniger über den positiven Einfluss von Grünflächen. Um die kurzfristige Wirkung auf die Stressbewältigung zu untersuchen, nutzten die Forschenden die audiovisuelle Umgebung des Auralisierungslabors («AuraLab») der Empa. Die Probandinnen und Probanden wurden zunächst gestresst – im Labor mussten sie unter Zeitdruck Aufgaben lösen, während sie mit Verkehrslärm in drei unterschiedlichen Lautstärken (35 bis 75 dBA, vergleichbar mit der Geräuschkulisse eines Leseraums bis hin zu lautem Strassenverkehr) beschallt wurden.
Nach der Stressphase tauchten sie mit einer VR-Brille in eine virtuelle Welt ein: entweder in eine urbane Umgebung mit leisen Stadtgeräuschen oder in eine stadtnahe Landschaft im Grünen mit einer natürlichen Geräuschkulisse (jeweils 44 dBA, ähnlich der Lautstärke in einem Wohnraum). Diese audiovisuellen Szenarien kreierten die Forschenden mithilfe einer 360-Grad-Kamera und einem sogenannten ambisonischen Mikrofon – an verschiedenen Orten in der Stadt Zürich mit unterschiedlich stark begrünten Umgebungen und verschiedenen Hintergrundgeräuschen.
Nach dem Eintauchen in die virtuelle Grünfläche fühlten sich die Probanden ruhiger, entspannter und fokussierter als beim urbanen Vergleichsszenario. «Zu Beginn zeigte sich während beiden VR-Szenarien ein Erholungseffekt, aber letztlich nahm der körperliche Stress in der begrünten Umgebung deutlich stärker ab», erklärt Empa-Forscherin Claudia Kawai. Der physiologische Stresspegel wurde durch die Schweißproduktion an den Fingern und die Kortisolkonzentration im Speichel gemessen.
Den negativen Effekt des Stresses auf den Körper konnten die Forschenden durch die erhöhte Hautleitfähigkeit aufgrund verstärkter Schweißabsonderung nachweisen. Diese körperlichen Stresssymptome traten jedoch nur auf, wenn die Testpersonen in der Stresssituation nicht nur Lärm ausgesetzt waren, sondern gleichzeitig auch Aufgaben lösen mussten. Der Verkehrslärm wurde hingegen stets als lästig empfunden, unabhängig von der zusätzlichen kognitiven Belastung.
Bei der zusätzlichen Untersuchung des audiovisuellen Erholungspotenzials der VR-Szenarien zeigte sich deutlich: Wälder und Seen mit natürlicher Geräuschkulisse wirken am erholsamsten. Nimmt jedoch der Anteil menschengemachter Geräusche zu, lässt die erholsame Wirkung deutlich nach. Am geringsten war sie in urbanen Räumen, in denen die Natur weder sichtbar noch hörbar war.
Besuch zu Hause
Die Ergebnisse aus dem Labor bestätigten sich auch in einer Feldstudie. Forschende der Empa besuchten in der Stadt Zürich mehr als 230 Freiwillige, die in unterschiedlich stark von Lärm belasteten und begrünten Umgebungen leben. Sie dokumentierten die Umgebung der Teilnehmenden mit Fotos, entnahmen ihnen Haarproben zur Messung des Stresshormons Kortisol und befragten sie zu ihrem Befinden.
«Sowohl die Befragungen als auch die Laboranalysen der Haarproben zeigten, dass Grünflächen in der Nachbarschaft tatsächlich die Erholung fördern», sagt Beat Schäffer.
Die erholsame Wirkung von Grünräumen ist also nicht nur kurzfristig, sondern mindert auch den Langzeitstress. Außerdem ermittelten Forschende der WSL mit einer repräsentativen Befragung, wie gut sich die Schweizer Bevölkerung in den Grünräumen ihrer Nachbarschaft erholen kann und welche Rolle die Lärmbelastung dabei spielt.
Auf begleiteten Spaziergängen untersuchten sie zudem, welche audiovisuellen Merkmale die Erholung besonders fördern. Die Ergebnisse der vier Teilstudien werden nun zusammengeführt, um das Erholungspotenzial von Grünflächen und deren Beitrag zur Volksgesundheit zu eruieren. Dieses sogenannte RESTORE-Projekt («Restorative green spaces in noise-polluted areas») ist laut Empa-Forscher Schäffer einzigartig und behandelt ein relevantes Thema, das drei Viertel der urbanen Bevölkerung in Europa betrifft.
«Es wird wichtige Informationen für Gesetzgeber und Raumplaner liefern und die schweizerische Lärmgesetzgebung und die Umsetzung des revidierten Raumplanungs- und Umweltschutzgesetzes beeinflussen.»