Relevanz für Meeresschutz und nachhaltige Nutzung

Das Kapverdische Archipel liegt mitten im offenen Atlantik. Rund um die Inseln schaffen verschiedene kleinskalige physikalische Prozesse lokal sehr unterschiedliche Lebensräume und sorgen so für einen außergewöhnlichen Artenreichtum. Foto: Jan Steffen, GEOMAR

Warum ist das Meer rund um die Kapverdischen Inseln so ungewöhnlich produktiv, obwohl es mitten in einem nährstoffarmen Gebiet des Ozeans liegt? Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat jetzt Daten aus zwei Jahrzehnten interdisziplinärer Beobachtungen ausgewertet. Die Analyse zeigt: Drei kleinskalige physikalische Prozesse – Wirbel, interne Wellen und Windfelder – fördern maßgeblich den Transport von Nährstoffen aus der Tiefe an die Oberfläche und beeinflussen, welche Arten sich wo im Ozean ansiedeln. Die Studie liefert wichtige Grundlagen für die Weiterentwicklung eines Digitalen Zwillings des Ozeans.

Rund 600 Kilometer vor der westafrikanischen Küste liegt mitten im offenen Atlantik das Kapverdische Archipel – ein Hotspot mariner Vielfalt. Trotz nährstoffarmer Umgebung tummeln sich hier Wale, Delphine und große Fischschwärme. Warum gerade rund um die Inseln so viel Leben herrscht, konnte ein internationales Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel nun erstmals im Detail erklären: Kleinskalige physikalische Prozesse wie Strömungswirbel, Gezeiten und Winde schaffen lokal sehr unterschiedliche Lebensräume. Diese Mikrohabitate bieten die Grundlage für den außergewöhnlichen Artenreichtum im marinen Ökosystem der Kapverden.

Datenschatz aus zwei Jahrzehnten interdisziplinärer Forschung

Die Studie stützt sich auf einen außergewöhnlich umfangreichen Datensatz: Er umfasst die Ergebnisse von 34 Forschungsexpeditionen, Messdaten autonomer Unterwasserfahrzeuge (Glider), Satellitenbeobachtungen sowie Daten von dauerhaft verankerten Ozeanstationen. Die Forschenden verknüpften physikalische, chemische und biologische Messgrößen, um den Zusammenhang zwischen Strömungen, Nährstoffverfügbarkeit und Artenzusammensetzung im Ozean sichtbar zu machen.

„Erst durch die Kombination all dieser Informationen konnten wir Muster erkennen, die mit physikalischen Daten allein nicht sichtbar geworden wären“, sagt Erstautor Dr. Florian Schütte, Juniorprofessor für Physikalische Ozeanographie am GEOMAR. Die Ergebnisse liefern nicht nur neue Einblicke in das Ökosystem, sondern auch wichtige Grundlagen für die Entwicklung digitaler Werkzeuge – etwa gekoppelter Ökosystemmodelle oder eines sogenannten Digitalen Zwillings des Ozeans. Dieses digitale Abbild verknüpft große Datenmengen aus verschiedenen Disziplinen miteinander. Schütte: „Was wir gemacht haben, ist die Grundidee eines Digitalen Zwillings: viele Perspektiven zusammenbringen, um das System als Ganzes zu verstehen.“

Drei Schlüsselprozesse bringen Nährstoffe an die Oberfläche

Auf Basis des riesigen Datensatzes identifizierte das Forschungsteam drei physikalische Schlüsselprozesse, die dafür sorgen, dass Nitrat – der limitierende Nährstoff für das Wachstum von Phytoplankton im Atlantik – aus tieferen Wasserschichten an die Oberfläche gelangt. Dort bildet es die Grundlage für die hohe biologische Produktivität.

Drei physikalische Prozesse – unterschiedliche Ökosysteme: Die Grafik zeigt schematisch, wie Island Wakes (A), Gezeitenströmungen an Unterwasserhängen (B) und nährstoffreiche Wirbel aus Westafrika (C) rund um die Kapverden vertikale Vermischung und Nährstofftransport aus der Tiefe anregen. Dort, wo diese Prozesse wirken, entstehen lokale Blüten von Phytoplankton (grün) – Mikrohabitate, die Grundlage für eine besonders vielfältige biologische Gemeinschaft sind. Grafik: Agnes Piecik, GEOMAR

1. Windwirbel in Lee der Inseln: Der erste Mechanismus basiert auf sogenannten „Island Wakes“ – Wirbelfeldern, die entstehen, wenn der stetige Nordostpassat auf die hohen Vulkane von Santo Antão und Fogo trifft. Die markante Topografie lenkt den Wind ab und erzeugt im Windschatten starke lokale Windscherung. Diese wiederrum führen zur Bildung kleiner, aber sehr produktiver Wasserwirbel, die die Durchmischung und den Nährstofftransport anregen.

2. Mesoskalige Ozeanwirbel: Der zweite Prozess betrifft so genannte „mesoskalige Eddies“ – eher großräumige Ozeanwirbel mit bis zu 120 Kilometern Durchmesser. Diese entstehen regelmäßig vor der westafrikanischen Küste und transportieren nährstoffreiches, kaltes und salzärmeres Wasser westwärts in Richtung der Kapverdischen Inseln. Treffen sie auf die Inseln oder flache Unterwasserstrukturen, entlassen sie das nährstoffreiche Wasser aus ihrem Inneren und verstärken lokal die vertikale Durchmischung.

3. Interne Wellen durch Gezeiten: Auch die Wechselwirkung von Gezeiten mit der steilen Unterwassertopographie der Inseln spielt eine entscheidende Rolle. Das Kapverdische Archipel liegt in einem Tiefseebecken (Kapverdenbecken) mit Wassertiefen zwischen 3000 und 4000 Metern. Die gleichmäßigen Gezeiten werden durch die Seeberge und Küstenlinien der Kap Verden gestört – es entstehen sogenannte interne Gezeitenwellen. An bestimmten Stellen, etwa südlich von Santo Antão, brechen diese internen Wellen wie Brandung an einer Küste – und setzen dabei große Mengen Energie frei. Die Folge: eine stark erhöhte vertikale Durchmischung des Wassers. An genau diesen Hotspots wurden die bisher höchsten Mischungswerte gemessen, die das GEOMAR je dokumentiert hat, verbunden mit Wassergeschwindigkeiten, die um ein Vielfaches höher sind als die ursprüngliche Gezeitenströmung in der Tiefe.

Der Clou: Die Physik bestimmt, wer wo lebt

„All diese Prozesse transportieren Nitrat aus der Tiefe in die lichtdurchflutete Oberflächenschicht und fördern dort das Wachstum von Phytoplankton, das die Basis allen Lebens im Ozean bildet“, erklärt Dr. Florian Schütte. In den dadurch entstehenden produktiven Zonen wurden bis zu zehnmal höhere Konzentrationen von Zooplankton gemessen, häufiger Fische gefangen und mehr Wale gesichtet. Sogar die jährlichen Fangmengen von Makrelen und Thunfischen in der Region zeigen eine deutliche Korrelation mit der Intensität der kleinskaligen physikalischen Prozesse und den daraus resultierenden Chlorophyllwerten.

Die zentrale Erkenntnis der Studie geht jedoch noch weiter: Es sind nicht nur die Nährstoffe, die an die Oberfläche gelangen – sondern auch die Artenzusammensetzung im Ozean, die durch die Art des physikalischen Prozesses gezielt beeinflusst wird. So unterscheiden sich die Zooplanktongemeinschaften je nach physikalischer Dynamik – etwa zwischen Regionen mit starker Gezeitenmischung, windgetriebenen Island Wakes oder den Einflussbereichen großer ozeanischer Wirbel. Diese Unterschiede setzen sich offenbar entlang der Nahrungskette fort – bis hin zu Fischen und Walen.

„Wo Gezeiten dominieren, leben andere Tiere als dort, wo Windwirbel entstehen oder große Eddies gegen die Inseln stoßen“, sagt Schütte. „Was früher wie chaotische Vielfalt wirkte, zeigt jetzt erkennbare Muster. Wir bringen etwas Struktur in den Ozean – und beginnen zu verstehen, wie biologische Vielfalt entsteht.“

Kleine Prozesse – große Wirkung

Die Studie zeigt erstmals im Detail, wie die biologische Vielfalt im Ozean rund um die Kapverdischen Inseln mit physikalischen Prozessen und der Unterwassertopografie verknüpft ist. Diese ganzheitliche Perspektive liefert eine wichtige Grundlage, um das marine Ökosystem der Region besser zu verstehen.

Gerade für den Meeresschutz und das nachhaltige Management von Fischbeständen ist dieser systemische Blick von großer Bedeutung. Denn bislang basieren viele Entscheidungen in der Fischerei vor allem auf Fangstatistiken. Die neue Studie macht deutlich: Ein zukunftsfähiges Monitoring braucht mehr – eine interdisziplinäre Datenerhebung, bei der physikalische, chemische und biologische Prozesse gemeinsam berücksichtigt werden, idealerweise in Kombination mit Satellitendaten und langfristigen Messprogrammen vor Ort.