
Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, setzen Regierungen und Unternehmen weltweit zunehmend auf Netto-Null-Strategien: Emissionen sollen drastisch gesenkt und verbleibende Treibhausgase durch landbasierte Kohlenstoffbindung – etwa durch Aufforstung – ausgeglichen werden. Dafür könnten bis 2060 voraussichtlich eine Milliarde Hektar Land nötig sein – eine Fläche so groß wie China oder die USA.
Doch dieser globale Bedarf an Landflächen birgt erhebliche Risiken. Darauf machen die Autoren des heute veröffentlichten Berichts „Net Zero & Land Rights“ der Robert Bosch Stiftung und TMG Research aufmerksam. Weiter warnen sie, dass landbasierte CO₂-Entnahmestrategien also Maßnahmen zur Entfernung und Speicherung von CO₂ durch Nutzung großer Landflächen, einen neuen globalen Landrausch auslösen könnten – mit weitreichenden Folgen. Sie könnten bestehende Nutzungskonflikte verschärfen, die Ernährungssicherheit gefährden, lokale Gemeinschaften verdrängen, die Rechte indigener Völker untergraben und soziale Ungleichheiten verstärken. Vor diesem Hintergrund plädieren die Studienautoren für einen gerechteren Umgang mit Landrechten im Kontext der Klimapolitik.
Der Bericht erscheint wenige Wochen vor der nächsten Klimakonferenz in Bonn – der 62. Sitzung des UN-Klimarahmenabkommens (UNFCCC), (bekannt als SB62). Dort wird von den Staaten erwartet, dass sie bei der Umsetzung von Artikel 6 des Pariser Abkommens vorankommen, der den internationalen Kohlenstoffmarkt regelt.
Landrechte als Grundlage für eine gerechte Klimapolitik
Indigene Völker spielen eine Schlüsselrolle im Klimaschutz: Sie bewahren rund 80 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt, obwohl sie nur 22 Prozent der Landfläche bewohnen. Zudem beanspruchen indigene und lokale Gemeinschaften gewohnheitsmäßige Rechte auf etwa 65 Prozent des globalen Landes – offiziell anerkannt sind davon aber nur 10 Prozent.
Die Autoren der Studie beleuchten kritisch die Rolle freiwilliger Kohlenstoffmärkte, die Investitionen in Klimaschutzprojekte lenken sollen. Sie zeigen, dass landbasierte Kompensationsprojekte rasant zunehmen – besonders auf dem afrikanischen Kontinent, wo Landrechte oft unzureichend gesichert sind. Vom Kongobecken bis zum Niger sehen sich lokale Gemeinschaften einem wachsenden Druck durch Klimaschutzprojekte ausgesetzt, da viele dieser Gemeinschaften keinerlei formale Anerkennung ihres Landes besitzen.
„Klimaschutz darf nicht auf Kosten sozialer Gerechtigkeit gehen“, betont Dr. Tabea Lissner, Leiterin des Teams Klimawandel bei der Robert Bosch Stiftung. „Wenn wir die Netto-Null ernst nehmen, müssen wir gleichzeitig die Landrechte von Menschen im Globalen Süden schützen. Andernfalls verlieren Klimamaßnahmen ihre Legitimität.“
Dr. Jes Weigelt, Geschäftsführer des TMG Think Tank for Sustainability, warnt: „Wir erleben eine Rückkehr der Landnahme – diesmal getrieben durch Kohlenstoffmärkte und Klimaziele. Doch so darf der Aufbau von Klimaresilienz nicht aussehen. Gemeinschaften an den Frontlinien der Klimakrise sind zugleich zentrale Hüter von Wäldern, Graslandschaften und Biodiversität. Ihre Landrechte zu sichern, ist keine Option – es ist Voraussetzung für wirksamen, gerechten und nachhaltigen Klimaschutz.“
Konkrete Empfehlungen für eine gerechte Klimapolitik
Die Autoren des Berichts formulieren klare politische Empfehlungen. Sie fordern die Anerkennung und den Schutz legitimer Landrechte, einschließlich solcher, die auf traditionellen und gewohnheitsrechtlichen Systemen beruhen.
Regierungen, Geber und Akteure im Kohlenstoffmarkt werden aufgefordert, indigene und lokale Gemeinschaften als gleichberechtigte Partner in Klimaprojekte einzubinden. Klimaprojekte sollten nur mit der freien, vorherigen und informierten Zustimmung der betroffenen Gemeinschaften durchgeführt werden. Außerdem sollten Geschlechtergerechtigkeit sowie die Anerkennung gewohnheitsrechtlicher Landnutzung in allen klimapolitischen Maßnahmen verankert sein.
Zudem fordern sie, Landrechte in nationale Klimastrategien zu integrieren – darunter auch in die national festgelegten Beiträge (NDCs), die alle Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens bis spätestens September bei den Vereinten Nationen einreichen müssen. Verbindliche Standards für CO₂-Kompensationsprojekte seien unerlässlich, um Landraub und ökologische Schäden zu verhindern.