
Weltweit steigen die Temperaturen kontinuierlich – auch in der Nordsee. Doch nicht nur die graduelle Erwärmung, auch immer häufigere und plötzlich auftretende Hitzeereignisse haben Folgen für die Organismen in der Deutschen Bucht. Forschende der Biologischen Anstalt Helgoland des Alfred-Wegener-Instituts haben die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen und deren Auswirkungen auf das Plankton quantifiziert. Ihr Fazit: Die graduelle Erwärmung sorgt für erhebliche Verschiebungen im Artenspektrum. Kommen dann noch Hitzewellen hinzu, verändern diese das Ergebnis zu Ungunsten der meisten Gruppen.
Meeresspiegelanstieg, zahlreiche neu eingeschleppte Arten und eine Erwärmung um 1,9 Grad Celsius seit 1962 – die Nordsee, so viel ist klar, verändert sich derzeit so massiv wie seit Jahrtausenden nicht mehr. Und dennoch entsteht durch die aus menschlicher Sicht langen Zeitskalen des Klimawandels oft der Eindruck, diese Veränderungen vollzögen sich langsam und graduell, seien vielleicht gar nicht so gravierend, weil sich viele Organismen ja nach und nach anpassen könnten. „In diesem Bild fehlt allerdings ein entscheidendes Puzzleteil“, sagt Dr. Cédric Meunier. „Und das sind die marinen Hitzewellen.“
Cédric Meunier erforscht die Ökologie von Schelfmeersystemen an der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH), die seit 1998 Teil des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist. Gemeinsam mit Forschenden aus unterschiedlichsten Disziplinen hat er die Hitzewellen unter der Meeresoberfläche genauer unter die Lupe genommen.
Bei einer solchen Hitzephase steigen die Wassertemperaturen – meist als Folge einer vorangegangenen atmosphärischen Hitzewelle – plötzlich an und liegen dann für mehrere Tage deutlich über dem Durchschnitt. Die Forschenden wollten nun wissen, welche Folgen das für die Organismen hat. Dazu haben sie Messdaten aus der Vergangenheit analysiert, die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen der vergangenen Jahrzehnte bis heute untersucht und das Nordseeökosystem im Experiment in die Zukunft geschickt.
Der Blick zurück war durch eine der weltweit wichtigsten Langzeitreihen möglich. Denn dank der Arbeit zahlreicher Helgoländer Forschender ist der Einfluss des Klimawandels auf das Ökosystem Nordsee seit 1962 in der Messdatenreihe Helgoland Reede lückenlos dokumentiert. In der Analyse der Temperaturdaten durch das Team um den Ökologen Dr. Luis Gimenez zeigte sich, dass marine Hitzewellen in der Deutschen Bucht im Laufe der Jahrzehnte bis heute immer häufiger geworden sind und auch länger andauern. Am häufigsten treten sie dabei im Spätsommer auf, wenn auch die Durchschnittstemperaturen im Jahresgang am höchsten sind.
Eine weitere Studie zeigte, dass Hitzewellen bereits in der Vergangenheit deutlich messbare Auswirkungen auf die Organismen hatten.
„Wir haben festgestellt, dass sich das mittelgroße Zooplankton, zu dem unter anderem auch Ruderfußkrebse zählen, in Folge kurzzeitig hoher Temperaturen deutlich verändert“, erklärt die BAH-Wissenschaftlerin Margot Deschamps. „Manche Gruppen waren nach einer Hitzewelle zumindest zeitweise dezimiert, andere konnten offenbar sogar profitieren und waren häufiger.“
Im dritten Forschungsartikel, wirft das Forschungsteam einen Blick in die Zukunft. Dazu nutzten sie eine der weltweit modernsten Mesokosmen-Anlagen in der AWI-Wattenmeerstation Sylt. Jeder der 30 zylindrischen Tanks (Mesokomsos) ist 85 Zentimeter hoch, 170 Zentimeter breit und fasst 1.800 Liter Seewasser. Durch gezielte Manipulation von Temperatur, pH-Wert und Nährstoffgehalt des Wassers können die Forschenden die Bedingungen der Welt von morgen simulieren und so den Mesokosmos mitsamt des darin lebendenden Planktons wie eine Zeitmaschine in die Zukunft schicken.
Im Experiment setzte das Team die Nordseebewohner den Bedingungen von heute und zum Vergleich den Bedingungen aus, die der Weltklimarat IPCC im „Weiter-so-wie-bisher“-Entwicklungsszenario RCP 8.5 für das Jahr 2100 beschreibt. In diesem Szenario werden die CO2-Emissionen der Weltgemeinschaft bis 2100 weiter auf 30 Gigatonnen ansteigen, was zu einer globalen Erwärmung von etwa 4°C führen wird. Sowohl der heute- als auch der „Weiter-so-wie-bisher“-RCP 8.5 Ansatz wurden zudem ohne und mit einer Hitzewelle durchgeführt, welche das Wasser für fünf Tage um 2 Grad Celsius über dem Durchschnitt erwärmte.
„Im Ergebnis zeigte sich, dass der Klimawandel auf vielen Ebenen der Planktongemeinschaft für Verschiebungen sorgt, die durch Hitzewellen noch verstärkt oder modifiziert werden“, erklärt Cédric Meunier.
„Bestimmte Bakteriengruppen profitieren von den Umweltveränderungen, unter anderem einige Bakterien der auch für Menschen potenziell gefährlichen Gattung Vibrio“. Beim Phytoplankton bleibt zwar die Gesamtbiomasse konstant, die Artenzusammensetzung verschiebt sich im RCP 8.5 Szenario jedoch zugunsten kleinerer Arten. Bei zusätzlichen Hitzewellen profitieren dann besonders Phytoflagellaten und die mit Kalkplättchen ausgestatteten Coccolithophoriden. Beim Zooplankton kommt es zu noch stärkeren Verschiebungen. Insbesondere beim mittelgroßen Mesozooplankton beobachten wir zusätzlich eine Abnahme der Gesamtbiomasse unter wärmeren Bedingungen. Bei zusätzlichen Hitzewellen leidet dann besonders das Meeresleuchttierchen Noctiluca scintillans, das für seine Biolumineszenz bekannt ist.“
Zusammen machen alle drei Forschungsarbeiten deutlich: Die kontinuierlich steigenden globalen Temperaturen verändern die Artengemeinschaft des Nordseeplanktons massiv. Ein reiner Fokus auf Durchschnittstemperaturen reicht jedoch für Zukunftsprognosen nicht aus. Denn auch kurzfristige Ereignisse wie Hitzewellen verstärken und verändern diese Effekte noch. „Daher ist es wichtig, nicht nur die langfristigen Klimatrends, sondern auch kürzere Ereignisse wie Hitzewellen im Auge zu behalten“, sagt Cédric Meunier. „Denn die Auswirkungen von marinen Hitzewellen verändern die Basis des Nahrungsnetzes ganz erheblich. Und das könnte auch Folgen für höhere Ebenen wie Fische haben.“