
Insekten schützen sich mit einer Wachsschicht vor dem Austrocknen und nutzen sie darüber hinaus auch zur Kommunikation. Während die chemischen Eigenschaften dieser Kohlenwasserstoffschicht bereits recht gut untersucht sind, haben Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Université Paris Cité nun erstmalig die physikalischen Eigenschaften – genauer gesagt die Viskosität, also die Zähflüssigkeit – analysiert.
„Anhand von Ameisen konnten wir zeigen, dass es nicht nur eine feste und eine flüssige Phase gibt, sondern dass auch die flüssige Phase zwei verschiedene Viskositäten besitzt: einen dickflüssigen Teil, dessen Fließverhalten dem von Honig gleicht, sowie eine dünnflüssige Phase, die eher an Olivenöl erinnert“, berichtet PD Dr. Florian Menzel vom Fachbereich Biologie der JGU. „Auf diese Weise können die verschiedenen Funktionen der Wachsschicht gleichzeitig erfüllt werden, auch bei schwankenden Temperaturen.“ Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im renommierten Wissenschaftsmagazin Journal of the Royal Society Interface veröffentlicht. Die Erkenntnisse tragen zum Verständnis der physikalischen Mechanismen bei, die den biologischen Funktionen der Wachsschicht zugrunde liegen.
Anforderungen an Wachsschicht widersprechen einander
Der Insektenbestand nimmt derzeit drastisch ab, auch infolge der globalen Erderwärmung. Schließlich ist Hitze für Insekten besonders gefährlich, da ihre Oberfläche im Vergleich zum Körpervolumen sehr groß ist und sie somit sehr viel Flüssigkeit über ihren Chitinpanzer verlieren. Verhindern soll dies eine Wachsschicht, die eine Barriere bildet, die die Wassermoleküle nur schwer passieren können.
Je zähflüssiger sie ist, desto größer der Schutz gegen Wasserverlust. Doch enthält sie auch Kommunikationssignale, die von anderen Ameisen wahrgenommen werden und auf denen das Zusammenleben in einer Ameisenkolonie basiert. Für diese chemische Kommunikation untereinander muss die Wachsschicht allerdings möglichst dünnflüssig sein, damit die Hinweise gut wahrgenommen werden können.
Komplexes Phasenverhalten sorgt für die passende Viskosität
Wie verändert sich die Fließfähigkeit der schützenden Schicht mit der Temperatur? Um diese Frage zu beantworten, haben die Forschenden die Wachsschicht von Ameisen bei verschiedenen Messtemperaturen untersucht. Das Ergebnis: Wie bei allen Flüssigkeiten sinkt die Viskosität mit steigender Temperatur, ähnlich wie Honig durch Erwärmen dünnflüssiger wird.
Einen interessanten Effekt entdeckte das Team allerdings, als es die Wachsschichten von Ameisen untersuchte, die bei unterschiedlichen Akklimatisierungstemperaturen gehalten wurden.
„Bei diesen Wachsschichten trat ein umgekehrter Effekt auf: Hatte die Umgebung der Ameisen eine Temperatur von 28 Grad Celsius, war die Viskosität größer und die Schicht zähflüssiger als bei einer Akklimatisierungstemperatur von 20 Grad“, fasst Selina Huthmacher von der JGU die Ergebnisse zusammen.
Je heißer es ist, desto mehr Flüssigkeit verdampft. Die Insekten müssen sich mit steigenden Temperaturen also stärker gegen den Wasserverlust schützen, was mit einer zähflüssigeren Schutzschicht gelingt. „Die Insekten arbeiten also aktiv gegen die natürliche Viskositätsänderung, indem sie die chemische Zusammensetzung der Wachsschicht und damit ihre Fließfähigkeit ändern“, erläutert PD Dr. Florian Menzel.
Die Forschenden untersuchten, wie sich Änderungen entweder der Akklimatisierungstemperatur oder aber der Messtemperatur auf die Viskosität auswirken. Noch komplexer wird es, wenn die Akklimatisierungstemperatur und die Messtemperatur gleichermaßen geändert werden: Wurden die Ameisen bei 28 Grad gehalten und die Schicht bei 28 Grad gemessen, entsprach die Viskosität derjenigen bei 20 Grad Akklimatisierungstemperatur und 20 Grad Messtemperatur. „Dieses komplexe Phasenverhalten ist äußerst spannend“, so Huthmacher. „Dadurch kann die Wachsschicht der Insekten sowohl als Austrocknungsschutz als auch zur Kommunikation dienen – obwohl beide Funktionen jeweils gegensätzliche Anforderungen stellen.“