
Die Biodiversität im Wattenmeer hat sich seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts merklich umorganisiert, so das Ergebnis einer neuen Studie, die ein Forschungsteam der Partneruniversitäten Oldenburg und Groningen jetzt veröffentlicht hat. Die Forschenden analysierten die biologische Vielfalt erstmals mit einem ganzheitlichen Ansatz. Demnach zählten Fische, pflanzliches Plankton und Pflanzen wie Seegras oder die Vegetation von Salzwiesen zu den Verlierern des Wandels: Ihre Bestände nahmen ab, während die Populationen neu eingewanderter Arten zunahmen. Bei Vögeln kehrte sich vor rund 25 Jahren der bis dahin positive Trend um.
Die biologische Vielfalt im Wattenmeer vor den Küsten der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. Das zeigt eine neue Studie eines deutsch-niederländischen Forschungsteams unter Leitung der Universitäten Oldenburg und Groningen, die kürzlich in der Zeitschrift Global Change Biology erschienen ist.
Demnach sind vor allem die Populationsgrößen von Fischen zurückgegangen, die das Wattenmeer als Kinderstube nutzen, von Pflanzen, die die Küstenlinie stabilisieren und seit den frühen 2000er-Jahren auch von Vögeln, die das Wattenmeer als Rastplatz entlang ihrer Migrationsroute oder als Brutstätte nutzen. Andere Arten profitieren vom Umweltwandel, ihre Populationen wachsen an. Die Ergebnisse der Untersuchung könnten dabei helfen, die Strategien für den Naturschutz und das Management des 500 Kilometer langen Küstenstreifens zu verbessern.
Die Forschenden der beiden Partneruniversitäten verfolgten in ihrer Analyse einen neuen, ganzheitlichen Ansatz, um Trends und Entwicklungen für das gesamte Ökosystem Wattenmeer erfassen zu können. „Viele Studien zur Biodiversität konzentrieren sich auf ausgewählte Schlüsselarten als Indikatoren für einen Wandel der Artenvielfalt“, erläutert Prof. Dr. Helmut Hillebrand von der Universität Oldenburg, einer der Hauptautoren. Diese Vorgehensweise berge allerdings die Gefahr, Veränderungen bei anderen Arten zu übersehen, die womöglich ebenfalls wichtig für das Funktionieren eines Ökosystems sind.
Bei anderen Verfahren, die den ökologischen Status kompletter Lebensgemeinschaften
erfassen sollen, fehle es hingegen häufig an Informationen darüber, welche Arten genau zu Veränderungen beitragen.
„Biodiversität umfasst viele Facetten, etwa die Ebene der Genetik, die Artenvielfalt innerhalb eines Lebensraumes, zwischen verschiedenen Lebensräumen oder Zeitpunkten, und die Vielfalt der Funktionen im Ökosystem“, betont Hillebrand. Aus seiner Sicht sollten verschiedene Methoden, um die Biodiversität zu messen, verknüpft werden, um die tatsächliche Bandbreite an Veränderungen in der Biodiversität abzubilden. „Unsere Analyse fügt einen Aspekt zu diesem Portfolio hinzu, der selten so systematisch analysiert wird: wie sich die Anzahl der Organismen pro Art und lokalem Standort im Wattenmeer mit der Zeit verändert.“
Das von der Oldenburger Meeresökologin Anika Happe und dem Meeresbiologen Kasper Meijer von der Universität Groningen geleitete Team kombinierte nun unterschiedliche Verfahren, um zeitliche Trends und systematische Veränderungen dieser sogenannten Populationsgröße erfassen zu können. Die Forschenden trugen dafür mehr als 3.000 Zeitreihen von Populationsgrößen zusammen, die viele Wattenmeerbewohner umfasste – von Vögeln und Fischen über Pflanzen und Bodenlebewesen bis hin zu pflanzlichem und tierischem Plankton. Die Daten stammten von 200 Stationen entlang der Wattenmeerküste zwischen Den Helder in den Niederlanden und Blåvand in Dänemark. Die ältesten Zeitreihen begannen bereits im Jahr 1900, viele starteten in den 1970er- und 1980er-Jahren.
Die Forschenden stellten fest, dass sich das Ökosystem Wattenmeer im Untersuchungszeitraum merklich umorganisiert hat. Es gab nur wenige Populationen gab, deren Größe unverändert blieb. Verlierer des Wandels – also Arten mit abnehmenden Beständen – waren vor allem Fische, darunter der Atlantische Kabeljau und verschiedene Arten von Plattfischen. Auch bei vielen Muscheln, Schnecken und Borstenwürmern ging der Trend nach unten, ebenso wie bei pflanzlichem Plankton und Pflanzen, etwa Seegras oder der Vegetation von Salzwiesen. Damit zählen wichtige Primärproduzenten des Ökosystems zur Gruppe der Verlierer. Zu den Gewinnern gehörten hingegen Neuankömmlinge im Watt wie etwa die Pazifische Auster oder die Amerikanische Schwertmuschel.
Bei Seevögeln zeigten die Daten für den Großteil der Arten für einen langen Zeitraum ein Anwachsen der Populationsgrößen. Dieser allgemein positive Trend kehrte sich jedoch ab den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren bei vielen Watvögel und Möwen um: Deren Anzahl nimmt seitdem ab. „Unsere Methode könnte somit dabei helfen, die lokale Gefährdung einzelner Arten frühzeitig zu erkennen“, betont Erstautorin Happe.
Das Team identifizierte in den Daten weitere interessante Details: So waren die Arten, deren Populationen zurückgingen, nicht zufällig über den Stammbaum des Lebens verteilt: Negative Trends traten häufig bei verwandten Arten auf. Dies führen die Forschenden darauf zurück, dass diese Spezies ähnliche Überlebensstrategien haben und daher gemeinsam unter veränderten Umweltbedingungen leiden könnten. Zudem verliefen die Trends oft zeitlich synchronisiert – bei den betroffenen Seevögeln trat die Umkehr von wachsenden zu sinkenden Populationen beispielsweise mehr oder weniger gleichzeitig auf.
Das deute ebenfalls auf gemeinsame Ursachen hin, sagt der Meeresökologe Prof. Dr. Britas Klemens Eriksson von der Universität Groningen. „In Folgeuntersuchungen wollen wir die spezifischen Ursachen für diese dramatischen Veränderungen erforschen“, erklärt er. Der neue, ganzheitliche Ansatz biete die Möglichkeit, beispielsweise Veränderungen in Nahrungsnetzen zu analysieren und quantitative Zusammenhänge zwischen Umweltbelastungen und biologischen Veränderungen herzustellen.