
Bedrohliche Zukunftsszenarien treffen auf politische und gesellschaftliche Trägheit: Klimaforschende sind in ihrem Arbeitsfeld häufig mit frustrierenden Widersprüchen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischem Handeln konfrontiert. Sorgen, die aus den Forschungsergebnissen resultieren, gehen mit Ohnmachtsgefühlen und Ängsten einher, wenn Klimaforschung nicht in konkrete Maßnahmen mündet – oder sogar zu Anfeindungen führt. Postdoktorandin Anna Lena Bercht vom Geographischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) traut sich jetzt, die psychischen Belastungen von Klimawissenschaftler zum Thema zu machen.
In einem aktuellen Kommentar im Fachmagazin „Nature Climate Change“ analysiert Bercht vor allem die Belastung Forschender, die ins Feld gehen und dort direkt mit Auswirkungen der Klimakrise konfrontiert sind. Sie erleben hautnah, wie sich die Folgen des Klimawandels in das Leben der Menschen einschreiben: wenn Häuser durch Brände oder Überschwemmungen zerstört werden, Fischbestände schwinden, Wasser knapp wird oder Migration unausweichlich erscheint.
„Viele Kolleg*innen erleben Gefühle von Verzweiflung, Angst, Traurigkeit und Sorge“, so Bercht. „Sie zögern jedoch, diese auszudrücken, da nach wie vor die Vorstellung verbreitet ist, seriöse Forschung müsse objektiv und emotionsfrei sein.“
Viel zu oft würden die Forschenden deshalb mit ihren Belastungen alleingelassen, kritisiert Bercht jüngst auch in einem GEO-Interview, in dem sie als Expertin zu Wort kommt.
Feldforschung zwischen Vorwürfen und Existenzbedrohung
Die Kieler Geographin weiß, wovon sie spricht. Im Zusammenhang mit ihrer Arbeit stand sie selbst bereits häufig vor emotionalen Herausforderungen. Als Feldforscherin hatte sie beispielsweise persönlich Kontakt zu Lofoten-Fischern und Stockfisch-Produzenten in Nordnorwegen, deren Existenz durch die steigenden Luft- und Meerestemperaturen bedroht ist: Mit der Meereserwärmung sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der nordostarktische Kabeljau weiterhin zum Laichen zu den Lofoten kommt. Zugleich steigt das Risiko, dass Fliegenlarven den Stockfisch verderben, während er zum Trocknen an Holzgestellen hängt.
„Ich habe Fischer am heimischen Küchentisch, am Kai oder auf ihren Booten interviewt. Wenn man die Existenzangst, Hilflosigkeit und die Sorgen um die Zukunft ihrer Familien sieht, geht das nicht spurlos an einem vorbei“, erinnert sich die Kieler Geographin.
Berchts Kollegin Verena Sandner Le Gall hat die sich wandelnden Lebensbedingungen der indigenen Gemeinschaft der Guna in Panama untersucht. Immer häufiger überfluten die von den Guna besiedelten Inseln in der Karibik. Im Jahr 2024 trat eines der Inseldörfer die „Klimaflucht“ an und zog aufs Festland um. Sowohl Sandner als auch Bercht waren im Rahmen ihrer Feldforschung vor Ort mit Vorwürfen konfrontiert. „Ihr aus den reichen Ländern seid schuld daran, dass Mutter Erde leidet und wir jetzt unsere Inseln verlassen müssen“, hieß es beispielsweise oder, „eure Forschung dauert viel zu lange, wir brauchen jetzt Lösungen.“ Herausfordernde Aussagen für die Forscherinnen.
Forschende ziehen sich teilweise zurück
Anna Lena Bercht berichtet, dass sich Kollegen von ihr aufgrund emotionaler Belastung inzwischen aus der Klimaforschung zurückgezogen haben. Doch mittels struktureller Unterstützung ließe sich die emotionale Resilienz der Klimawissenschaftler fördern, so Bercht. Mit der Zielsetzung, dass möglichst vielen der Spagat gelingt, trotz Betroffenheit weiter zu forschen, aufzuklären und Lösungsansätze zu finden. Zu diesem Zweck schlägt sie etwa stärkere Vernetzung, Workshops, Peer-Mentoring-Programme sowie kollegiale Supervision vor. Auch Curricula, Doktorandenkolloquien und Fortbildungen böten wertvolle Ansatzpunkte, um Kompetenzen im Umgang mit emotionalem Stress, in Selbstfürsorge und in gegenseitiger Unterstützung systematisch zu fördern.