
Reiche verursachen mehr Emissionen – und wissen das auch. Doch gleichzeitig schätzen viele ihre eigene Klimabilanz als überdurchschnittlich gut ein. Eine aktuelle Studie der Universität Konstanz zeigt: Die sogenannte Carbon Inequality ist der Bevölkerung durchaus bewusst und viele wünschen sich eine gerechtere Verteilung.
Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung sind laut Schätzungen für rund die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Doch wie nehmen Menschen diese Ungleichheit wahr? Und was empfinden sie als gerechte Verteilung der Treibhausgasemissionen? Diesen Fragen ist ein Forschungsteam der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit der Paris School of Economics und dem Center for Research on Social Inequalities an der Sciences Po Paris nachgegangen. Grundlage war die Befragung von über 1.300 Teilnehmenden im Rahmen der Konstanzer Life-Studie.
Überraschend realistische Einschätzungen – mit Forderung nach Veränderung
Die Ergebnisse zeigen: Die Mehrheit der Befragten erkennt die derzeitige Realität erstaunlich präzise – nämlich, dass wohlhabendere Bevölkerungsgruppen deutlich mehr CO₂ ausstoßen als weniger vermögende. Besonders bemerkenswert ist jedoch, dass sich die befragten Personen umgekehrte Verhältnisse wünschen: Über alle Vermögensgruppen hinweg sprechen sie sich dafür aus, dass reiche Gruppen künftig eine deutlich emissionsärmere Klimabilanz aufweisen sollten als im heutigen Status quo. „Aus dem Kontrast zwischen wahrgenommener Realität und gewünschter Idealverteilung lässt sich ein klarer gesellschaftlicher Veränderungswunsch ablesen“, erklärt Dr. Julia Koller, Postdoc an der Universität Konstanz und eine der beiden Erstautorinnen der Studie.“
Wahrnehmungslücke „Carbon Perception Gap“
„Die Ungleichverteilung der Emissionen wird als gesellschaftliches Problem erkannt, und es gibt einen breiten Wunsch nach Veränderung – doch viele sehen sich persönlich bereits als Teil der Lösung.” erklärt Johanna Köchling, Doktorandin an der Universität Konstanz und Co-Erstautorin. So gab die Mehrheit der Befragten ihren Anteil am CO2-Ausstoß als deutlich geringer an, als es bei der zugehörigen Vermögensgruppe im Schnitt der tatsächliche Fall ist.
Die Diskrepanz zwischen Status quo, Ideal und Selbstbild
Daraus wird deutlich, dass sich eine spezifische Wahrnehmungslücke auftut, die von den Autor*innen als Carbon Perception Gap bezeichnet wird. Abgeleitet aus den Ergebnissen der Studie definiert sich diese Lücke aus drei Elementen:
1. Der Status quo wird von den Befragten erstaunlich realistisch eingeschätzt: Wohlhabende Bevölkerungsgruppen verursachen deutlich mehr CO₂ als weniger vermögende.
2. Das Idealbild kehrt diese Verteilung um: Die Befragten wünschen sich, dass reiche Gruppen künftig eine deutlich emissionsärmere Klimabilanz aufweisen.
3. Die Selbstwahrnehmung hingegen kontrastiert das Bild: Viele, selbst Wohlhabendere, halten ihre eigene Klimabilanz für besser als die anderer in ihrer Vermögensgruppe.
Was die Klimapolitik daraus lernen kann
Die Ergebnisse liefern wichtige Hinweise für klimapolitische Kommunikation und Maßnahmen. “Die bestehenden gesellschaftlichen Wahrnehmungen sind überaus ermutigend. Der breite Konsens, dass sich etwas ändern muss, ist eine wichtige Grundlage für klimapolitische Maßnahmen”, sagt Studienleiterin Prof. Dr. Britta Renner.
„Da die Wahrnehmung einen großen Einfluss auf unser Handeln hat, ist es wichtig, diese Wahrnehmungslücke bei der Gestaltung klimapolitischer Maßnahmen zu adressieren, sodass sie als gerecht empfunden werden und folglich in der Bevölkerung breite Unterstützung finden“, ergänzt Studienleiter Prof. Dr. Harald Schupp.