Bodenatmung ist der Schlüsselindikator

Illustration einer Pflanze und Bodenmikroorganismen, die ihre Aktivitäten aufeinander abstimmen. Der Klimawandel kann diese Synchronität stören. © Dieses Visual wurde mit Hilfe von künstlicher Intelligenz von Prof. Dr. Madhav P. Thakur erstellt. Uni Bern

Eine internationale Forschungsgruppe mit Beteiligung der Universität Bern hat herausgefunden, dass Bodenmikroorganismen ihren jahreszeitlichen Rhythmus als Reaktion auf die Klimaerwärmung stärker verschieben als Pflanzen. Die dadurch entstehende Diskrepanz zwischen Pflanzen und Mikroorganismen könnte wesentliche Prozesse von Ökosystemen stören und deren Funktionsfähigkeit gefährden.

Die meisten Lebewesen richten sich im Laufe des Jahres nach einem bestimmten Rhythmus. Dieser legt zum Beispiel fest, wann sie sich fortpflanzen, wann sie in den Winterschlaf gehen oder wann andere wichtige Lebensvorgänge stattfinden. Dieser regelmäßige Jahresablauf wird als Phänologie bezeichnet. Er ist wichtig für das Überleben der Arten und für das Funktionieren der Ökosysteme. Eine der häufigsten Reaktionen von Tieren und Pflanzen auf den Klimawandel sind Veränderungen in diesem Jahresrhythmus – zum Beispiel beginnt die Blüte vieler Pflanzenarten heute früher in ihrer Wachstumsperiode oder es kommt zu zeitlichen Verschiebungen der Brutzeit bei Tieren.

Während phänologische Verschiebungen bei Pflanzen und Tieren gut erforscht sind, blieb bisher unklar, inwiefern sich die Klimaerwärmung auf die Phänologie von Bodenmikroorganismen im Vergleich zur Phänologie von Pflanzen auswirkt. Hier setzt eine kürzlich in Nature Geoscience veröffentlichte Studie einer internationalen Forschungsgruppe der Universität Lanzhou, der East China Normal University und der Universität Bern an.

Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich die mikrobielle Phänologie in Böden durch die Klimaerwärmung stärker verschiebt als jene von Pflanzen. Diese bisher übersehene Diskrepanz könnte sich negativ auf Fähigkeiten von Ökosystemen – etwa Kohlenstoff zu speichern oder Nährstoffe zu recyceln – auswirken.

Zusammenspiel von Pflanzen und Bodenmikroorganismen gestört

Um zu untersuchen, wie die Phänologie der Mikroorganismen im Vergleich zur Phänologie von Pflanzen auf die Klimaerwärmung reagiert, führten die Forschenden eine Meta-Analyse von rund 1’000 weltweiten experimentellen Studien durch, die phänologische Verschiebungen in der pflanzlichen oder mikrobiellen Bodenatmung als Reaktion auf experimentelle Erwärmung in verschiedenen Ökosystemen zeigten.

Die pflanzliche und mikrobielle Bodenatmung ist die Freisetzung von Kohlendioxid (CO₂) aus dem Boden, die einerseits durch die Zellatmung lebender Pflanzenwurzeln (pflanzlich) und andererseits durch die Zersetzung organischer Substanz durch Mikroorganismen (mikrobiell) verursacht wird. Je nach Umweltbedingungen und Jahreszeiten schwankt die Bodenatmung, die einen wichtigen Schlüsselindikator für die biologische Aktivität von Pflanzen und Mikroorganismen darstellt. «Dies war ein innovativer Ansatz», sagt Prof. Dr. Madhav P. Thakur vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern und Co-Leiter der Studie.

«Die Verwendung von Daten zur Bodenatmung als phänologischer Marker ermöglichte es uns, subtile, aber konsistente Verschiebungen im biologischen Rhythmus zu erkennen, die sonst schwer zu beobachten sind.»

Verborgene Verschiebung im Boden

Die Ergebnisse der Meta-Analyse zeigen, dass Bodenmikroorganismen sehr empfindlich auf die Klimaerwärmung reagieren, mit einer stärkeren zeitlichen Verschiebung der Phänologie als die Pflanzen. Die Mikroorganismen beginnen als Reaktion auf die Erwärmung ihre Aktivität im Frühjahr früher und bleiben im Herbst länger aktiv als die Pflanzen. «Diese Verschiebung ist in Waldökosystemen und in kohlenstoffreichen Böden, wie sie für kältere Regionen typisch sind, besonders ausgeprägt», erklärt Prof. Dr. Hao Wang von der Universität Lanzhou und Erstautor der Studie.

«Auffallend ist, dass diese Diskrepanz zwischen pflanzlicher und mikrobieller Phänologie, trotz regionaler Unterschiede, in allen Ökosystemen ein einheitliches Muster darstellt. Wir sind lange davon ausgegangen, dass Pflanzen und Mikroorganismen synchron arbeiten, aber unsere Ergebnisse zeigen, dass die Klimaerwärmung diese Synchronität allmählich untergräbt», so Thakur weiter.

Folgen für die Ökosysteme

Diese Desynchronisation zwischen Pflanzen und Bodenmikroorganismen könnte wesentliche Prozesse wie die Kohlenstoffspeicherung und den Energie- und Nährstofffluss in Ökosystemen beeinträchtigen. «Dies wirft Bedenken hinsichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit in einer sich erwärmenden Welt auf», sagt Thakur. «Die Phänologie der Bodenmikroorganismen könnte somit ein versteckter Faktor für Klima-Rückkopplungen sein, der die negativen Folgen der Klimaerwärmung verstärkt», warnt Thakur. «Wenn die Diskrepanz zwischen dem jahreszeitlichen Rhythmus von Pflanzen und Mikroorganismen fortbesteht, könnte sie die Kernprozesse von Ökosystemen destabilisieren, die deren Funktionieren unterstützen», so Thakur weiter.

Aufbauend auf den neuen Erkenntnissen wird die Forschungsgruppe Terrestrial Ecology am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern nun weitere Experimente durchführen. Im Rahmen des Langzeit-Aussensexperiments «Hasli Outdoor Mesocosm Experiment (HOME)» in der Ethologischen Station Hasli sollen die Auswirkungen verschiedener Stressfaktoren, wie Klimaerwärmung und Trockenheit, auf Pflanzen-, Insekten- und Mikrobengemeinschaften sowie auf das Funktionieren von Ökosystemen weiter untersucht werden.