
In Spanien gingen für Millionen von Menschen die Lichter aus. Nicht wegen eines Cyberangriffs, sondern wegen … Sonnenlicht. Forscher der Universität Twente sehen darin eine Lektion in Systemdenken: Nachhaltige Lösungen erfordern eine kluge Ausrichtung. Und das beinhaltet mehr Mathematik, als man vielleicht erwarten würde.
Strom aus Sonnenlicht ist unerschöpflich und grundlegend klimafreundlich, da keine direkten Treibhausgase während des Betriebs freigesetzt werden. Nach der Installationsphase fallen nur geringe laufende Kosten an; viele Systeme brauchen wenig Wartung. Daher ist es nur logisch, dass die Solarenergie weltweit rasch ausbaut wird. Dieses enorme Wachstum bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Die Wissenschaftler der Universität Twente im niederländischen Enschede nennen die die „Wachstumsschmerzen der Energiewende“.
Wo liegt das Problem?
Solarparks hätten, so die Wissenschaftler, einen großen Nachteil. Sie seien zu schnell! Und zwar aus folgendem Grund: Das Stromnetz sei eine Frage des Gleichgewichts. Wenn irgendwo ein großer Energiebedarf bestünde, müsse genau in diesem Moment mehr Strom erzeugt werden. Und umgekehrt: Bei einer Störung müssten Kraftwerke schnell heruntergefahren werden. Das alte Stromnetz wurde hauptsächlich von großen Kraftwerken betrieben: Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken. Wenn diese aufgrund einer internen Störung abgeschaltet würden, liefen die schweren Turbinen noch eine Weile weiter. Das gibt dem System Zeit, das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Solar- und Windenergie funktionierten anders. Sie reagierten direkt auf Sonne oder Wind und könnten nicht gesteuert werden. Dieses schnelle Umschalten sei kein Problem, solange es nicht in großem Umfang und synchron geschehe und das Netz im Gleichgewicht bleibe. Im Falle einer Störung sei dafür jedoch kein Spielraum vorhanden.
„Das Problem ist, dass wir das Stromnetz heute anders nutzen, als wir es uns jemals vorgestellt haben“, sagt Johann Hurink, Professor für angewandte Mathematik an der Universität Twente.
Eine Verzögerung könne helfen
„Die Frequenz des Stroms im europäischen Netz wird synchronisiert und mit einer Frequenz von 50,2 Hertz geregelt. Sobald die Frequenz geringfügig davon abweicht, werden die Energieerzeuger automatisch abgeschaltet. Und bei Solarparks geschieht diese Abschaltung sehr schnell und synchron“, sagt Hurink.
Hurink und seine multidisziplinäre Forschungsgruppe an der UT untersuchen, wie wir wieder Platz im System schaffen können. Nicht durch die Rückkehr zu alten Energiequellen, sondern durch eine intelligentere Gestaltung des Netzes. Mit einer bewussteren Steuerung. „Dies muss nicht nur auf der Erzeugerseite, sondern auch auf der Verbraucherseite geschehen. Oftmals ist dabei eine schnelle Reaktion erforderlich, manchmal ist jedoch auch eine künstliche Verlangsamung notwendig. Das bedeutet, dass Geräte bewusst etwas langsamer reagieren. Oder dass Algorithmen vor Anpassungen erst einmal ‚durchatmen‘. Vergleichen Sie es mit dem Antiblockiersystem in einem Auto: Es bremst kontrolliert, damit Ihr Auto beherrschbar bleibt.”
Mathematik als Rückgrat des Energienetzes
Solarparks und Windkraftanlagen liefern immer mehr nachhaltigen Strom und sind eine wichtige Säule des zukünftigen nachhaltigen Energiesystems. Aber all diese neuen Quellen müssen in ein Netz integriert werden, das nicht für sie ausgelegt ist. Auf der anderen Seite steigt auch der Strombedarf, beispielsweise für den Elektroverkehr und Wärmepumpen. Hurink und seine Kollegen erstellen mathematische Modelle, die analysieren, wo das System durch all diese neuen Entwicklungen unter Druck geraten wird und wie man damit umgehen kann. Zum Beispiel, indem man im Falle einer Störung nicht alle Geräte im selben Millisekundenbruchteil abschaltet.
Laut Hurink ist Mathematik unerlässlich, um die Energiewende unter Kontrolle zu halten. Das erfordert jedoch die Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern, politischen Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen. „Die Erkenntnis, dass dies notwendig ist, kommt oft erst, wenn etwas schiefgeht“, sagt er. „Manchmal scheint eine Störung notwendig zu sein, um die Menschen wachzurütteln. Aber wir versuchen zu verhindern, dass es so weit kommt.“