Abwasser als Rohstofflieferant

Der Kunststoff Polyhydroxyalkanoat (PHA), produziert aus organischen Säuren Copyright: © Fraunhofer IGB

Kläranlagen reinigen nicht nur Abwasser, sie sind auch Rohstofflieferanten. Im Projekt KoalAplan gewinnen Forschende des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB gemeinsam mit Partnern hochwertige Produkte aus kommunalem Abwasser. Dazu gehören Ammonium und Wasserstoff sowie Polyhydroxyalkanoate (PHA), aus denen sich biobasierte und bioabbaubare Kunststoffe herstellen lassen.

In unserem Abwasser stecken nicht nur Schmutz und Ausscheidungen, sondern auch wertvolle Rohstoffe wie Stickstoff und organische Kohlenstoffverbindungen. Mithilfe chemischer, biologischer und physikalischer Verfahren können daraus Wasserstoff, Ammonium und Polyhydroxyalkanoate (PHA) zurückgewonnen werden. Das zurückgewonnene Ammonium lässt sich als Stickstoffdünger für den Landbau verwenden, PHA sind der Rohstoff für Biokunststoffe.

Diese Prozesse untersuchen die Forschenden im Projekt KoalAplan (siehe unten). Schauplatz für die interdisziplinäre Forschungsarbeit der Projektpartner ist das Lehr- und Forschungsklärwerk der Universität Stuttgart in Büsnau. Unter realen Bedingungen wird getestet, wie sich die Rückgewinnung von Rohstoffen in Klärwerken realisieren lässt. Hierfür wurde eine Bioraffinerie als Pilotanlage eingerichtet, die 2024 über ein halbes Jahr betrieben wurde.

Biologische Stickstoffentfernung umgehen

Eines der im Projekt etablierten Verfahren, das Hauptstromverfahren, umfasst die Abwasserreinigung nach der vorherigen Feststoffabtrennung in der Vorklärung. In einer klassischen Kläranlage wird der im Abwasser enthaltene Stickstoff biologisch abgebaut. Mikroorganismen wandeln die Stickstoffverbindungen zu gasförmigem Stickstoff um, der ungenutzt in die Atmosphäre entweicht.

Im Projekt KoalAplan hingegen geht der Stickstoff nicht verloren, vielmehr wird er als Rohstoff zurückgewonnen: Der Ammoniumstickstoff wird über einen Zeolithfilter bzw. einen Ionentauscher physikalisch entfernt. Anschließend wird der Stickstoff bei der Regeneration des Zeoliths zurückgewonnen – es entsteht eine konzentrierte Ammoniumlösung, die in der Landwirtschaft als Stickstoffdünger dienen kann.

Rückgewinnung von Kohlenstoff aus dem Feststoffanteil des Abwassers

In der Vorklärung einer klassischen kommunalen Kläranlage werden die Feststoffe des Abwassers zu einem großen Teil durch Sedimentation abgetrennt. Dieser sogenannte Primärschlamm wird im Faulturm zu Methan vergoren. Im Konzept der Bioraffinerie wird er stattdessen einer Dunkelfermentation unterzogen, in der der Abbau auf der Stufe der Produktion kurzkettiger organischen Säuren gestoppt wird.

Nach einer zwei-stufigen Feststofftrennung wird ein partikelfreies Hydrolysat erzeugt, das reich an kurzkettigen organischen Säuren ist, und vielseitig weiterverwertet werden kann. Die in KoalAplan untersuchten Beispielprozesse für diese Verwertung waren die mikrobielle Elektrolyse zur Produktion von Wasserstoff sowie die mikrobielle Produktion von PHA. »Unsere Aufgabe am Fraunhofer IGB war die fermentative Umwandlung des sauren Hydrolysats zu PHA, einem bioabbaubaren, thermoplastischen, bakteriellen Biopolymer«, erläutert Dr. Pravesh Tamang, Themenfeldleiter-PHA und Wissenschaftler am Fraunhofer IGB.

Saures Hydrolysat wird zu PHA umgewandelt

Die Herstellung der PHA gelingt nur mithilfe von Mikroorganismen, die wiederum auf unterschiedlichsten Substraten wachsen können. Die Mikroorganismen nutzen das Hydrolysat, das reich an organischen Säuren wie etwa Essig-, Propion- und Buttersäure ist, als Kohlenstoff- und Energiequelle. »Die Bakterien benötigen die organischen Säuren für ihr Wachstum und für die Herstellung der PHA«, erklärt der Forscher.

Das Problem: Die organischen Säuren wirken in hoher Konzentration toxisch auf die Mikroorganismen. Daher mussten Tamang und sein Team zunächst geeignete Bakterienstämme identifizieren, die die Säuren sowohl zum eigenen Wachstum als auch zur Herstellung von PHA verwenden können. »Im Vergleich zu den anderen getesteten Bakterien erwies sich Cupriavidus necator als das tolerantere Bakterium gegenüber den organischen Säuren«, so Tamang.

Um die Wachstumshemmung der organischen Säuren auf die Mikroorganismen zu verhindern, haben die Forscherinnen und Forscher darüber hinaus ein sogenanntes Perfusionsverfahren mit Zellrückhaltung im Bioreaktor entwickelt. Die Zellrückhaltung erfolgt mithilfe eines speziellen Filters, der sicherstellt, dass die Zellen bzw. die Mikroorganismen im Reaktor verbleiben, was eine hohe Zelldichte und eine längere Kultivierungszeit ermöglicht. Tamang erläutert den Vorgang:

»Wir leiten die Fermentationsbrühe aus dem Bioreaktor durch einen sogenannten Tangentialflussfilter und führen die Zellen mit dem enthaltenen PHA-Granulat, die im Filter hängen bleiben, wieder in den Reaktor zurück. Durch diese Zellrückhaltung ermöglichten wir die Zufütterung mit variablen Säurekonzentrationen. Die Extraktion des Biopolymers aus den Bakterienzellen findet im Anschluss statt.«

Gefragtes PHA-Copolymer für vielfältige Anwendungen

Mithilfe ihres Perfusionsverfahren vermieden die Forschenden am Fraunhofer IGB die Wachstumshemmung der Bakterien und zeigten, dass 97 Prozent des Kohlenstoffs aus den organischen Säuren durch die Mikroorganismen aufgenommen und in Biomasse und PHA umgewandelt werden. »Unser PHA-Produkt ist ein speziell angepasstes PHBV-Copolymer, kurz für Poly(3-hydroxybutyrat-co-3-hydroxyvalerat). Im Vergleich zu einem Homopolymer zeichnet es sich durch verbesserte mechanische Eigenschaften aus. Denn es enthält etwa 10 Prozent 3-Hydroxyvalerat, was die Kristallinität senkt und das Material flexibler, besser formbar und vielseitiger einsetzbar macht«, so der Fraunhofer-IGB-Experte.

Im nächsten Schritt möchten Tamang und sein Team den Fermentationsprozess optimieren, um PHBV mit einem noch höheren Anteil an 3‑Hydroxyvalerat (40 bis 70 Prozent) herzustellen. Diese speziell angepassten PHBV‑Copolymere dienen dann Polymerchemikern und Anwendungsexperten aus der Industrie als Muster, um die Materialeigenschaften des Biopolymers zu testen und neue potenzielle Anwendungsbereiche zu entdecken. Das erzeugte umweltfreundliche Rohmaterial ist vielseitig einsetzbar – als Einweg-Verpackung, Mulchfolie in der Landwirtschaft oder Hilfsmittel in der Pharmazie ebenso wie für medizinische Implantate oder biobasierte Textilbeschichtungen.

Rückgewinnung von Rohstoffen trägt zur Klimaneutralität bei

Üblicherweise entsteht aus dem organischen Kohlenstoff beim Durchlaufen eines Klärwerks Kohlendioxid. Das im Projekt etablierte Verfahren reduziert die Entstehung des klimaschädlichen Gases. »Gleichzeitig gewinnen wir Rohstoffe, die helfen, erdölbasierte Stoffe zu ersetzen. Somit können die Klärwerke der Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität leisten«, sagt Tamang.