
Seit 50 Jahren wird der beliebte Bergsee Piburger See im Tiroler Ötztal wissenschaftlich überwacht. Eine nun veröffentlichte Studie unter der Leitung des Innsbrucker Ökologen Ruben Sommaruga zeigt, dass sich der See nach früheren Belastungen zunächst erholt hat. Seit Mitte der Neunziger Jahre verschlechtert sich sein Zustand nun allerdings wieder. Die Ursachen liegen in klimatisch bedingten Veränderungen im Seeinneren, die durch Rückkopplungsprozesse zusätzlich verstärkt werden. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung langfristiger Forschung für den Schutz sensibler Gewässer.
Veränderungen in natürlichen Systemen verlaufen oft so langsam, dass sie innerhalb eines Menschenlebens kaum erkennbar sind. Um solche Entwicklungen sichtbar zu machen, sind kontinuierliche Beobachtungen über Jahrzehnte nötig. Genau das leistet die langfristige ökologische Forschung: Sie unterscheidet zufällige Schwankungen von systemischen Veränderungen und macht Mechanismen sichtbar, die sich nur über längere Zeiträume entfalten. Seen sind hier besonders wertvoll. Als integrative Ökosysteme gelten sie als Frühwarnsysteme für Umweltveränderungen.
Der Piburger See im Tiroler Ötztal ist ein solcher Indikator, bereits seit dem Jahr 1972 wird er regelmäßig untersucht. Die kontinuierlich erhobenen Daten zu Temperatur, Sauerstoff und Phosphor erlauben eine präzise Rekonstruktion seiner ökologischen Entwicklung über fünf Jahrzehnte hinweg. Diese Langzeitdokumentation zeigt eine Phase intensiver Belastung, gefolgt von erfolgreicher Sanierung und schließlich eine erneute Verschlechterung infolge klimatischer Veränderungen.
„Wir sehen, dass sich der Zustand des Sees bis etwa 1996 deutlich verbessert hat, was auf die Restaurierungsmaßnahmen zurückzuführen ist, insbesondere auf die Ableitung des nährstoffreichen Tiefenwassers“, sagt der Limnologe Ruben Sommaruga vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck. „Aber ab diesem Zeitpunkt hat sich die Situation grundlegend verändert. Der Sauerstoffverlust hat wieder zugenommen, und die Phosphorkonzentrationen im Tiefenwasser steigen inzwischen über die Werte hinaus, die wir vor Beginn der Maßnahmen gemessen haben, obwohl die Nährstoffeinträge aus dem Einzugsgebiet weiter abgenommen haben.“
Klimabedingte Rückkopplungen erschweren die Regeneration
Die im Fachmagazin Ecosystems veröffentlichte Studie zeigt, dass die aktuelle Entwicklung nicht auf neue externe Belastungen zurückzuführen ist. Vielmehr haben sich die internen Prozesse im See unter dem Einfluss des Klimawandels grundlegend verändert. Insbesondere die verlängerte Schichtung des Wasserkörpers verhindert eine ausreichende Durchmischung mit sauerstoffreichem Oberflächenwasser. Dadurch breiten sich zunehmend anoxische Zonen, also Bereiche ohne Sauerstoff, aus.
„Sobald Sauerstoffmangel einmal einsetzt, verstärkt er sich selbst. Je ausgeprägter die Anoxie in einem Jahr war, desto wahrscheinlicher verstärkt sie sich im folgenden“, erklärt Sommaruga. „Ein zentraler Mechanismus ist dabei die anaerobe Mineralisierung, bei der reduzierende Substanzen entstehen, die zusätzlichen Sauerstoff verbrauchen. Anoxie bedeutet auch, dass Phosphor, der im Sediment gespeichert ist, aus diesem freigesetzt wird und dadurch wieder als Nährstoff im Wasser zur Verfügung steht, was das Algenwachstum zusätzlich anregen kann.“
Dieses Zusammenspiel erzeugt einen sich selbst verstärkenden Kreislauf, der die Wirksamkeit traditioneller Managementstrategien zunehmend untergräbt.“ Auch die Tiefenwasserableitung verliert in diesem veränderten System an Effektivität. „Die Maßnahme, die in den siebziger und achtziger Jahren maßgeblich zur Regeneration beigetragen hat, kann der heutigen Dynamik nicht mehr entgegenwirken. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass einfache technische Lösungen unter den Bedingungen fortschreitender Erwärmung an ihre Grenzen stoßen“, so Sommaruga.
Langfristige Forschung schafft Handlungssicherheit
Ohne die über Jahrzehnte geführte Messreihe wären die beobachteten Entwicklungen nicht identifizierbar gewesen. Kurzfristige Untersuchungen hätten die klimabedingte Trendwende ebenso wenig abbilden können wie die allmähliche Erosion früherer Erfolge. Die Studie unterstreicht somit deutlich die Bedeutung langfristiger Umweltbeobachtung für das Verständnis komplexer ökologischer Prozesse. „Der Piburger See sieht oberflächlich betrachtet sehr schön aus. Viele Menschen gehen dort schwimmen und haben den Eindruck eines intakten Gewässers.
Aber die eigentlichen Veränderungen spielen sich in der Tiefe ab. Langzeitmessungen sind für uns daher essenziell, da sie uns zeigen, was sich verändert, lange bevor wir es direkt wahrnehmen können. Ohne diese Daten wüssten wir nicht, dass sich der See erneut in eine kritische Richtung entwickelt“, sagt der Forscher. Die Autoren fordern deshalb, ökologische Sanierungsstrategien stärker an klimatische Entwicklungen anzupassen.
In Zukunft werde es nicht mehr genügen, bestehende Maßnahmen fortzusetzen, wenn sich die physikalischen und biogeochemischen Grundlagen in den Seen selbst verändern. „Der Klimawandel beeinflusst nicht nur die Temperatur des Wassers, sondern auch die grundlegende Funktionsweise der Ökosysteme. Wenn wir das nicht berücksichtigen, können jahrzehntelange Fortschritte wieder verloren gehen. Der Piburger See zeigt, wie dringlich es ist, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern die Mechanismen zu verstehen, die dahinterstehen“, so Sommaruga.