„Die verheerenden Folgen des Überschreitens von Klimakipppunkten bedrohen unsere Gesellschaften massiv“

Illegale Brandrodung im Amazonas-Regenwald. © PARALAXIS/Shutterstock

In einem heute (am 13.10.2025) vorgelegten Bericht gehen internationale Klimawissenschaftler und Klimawissenschaftlerinnen davon aus, dass das Absterben zahlreicher tropischer Korallenriffe infolge steigender Temperaturen der Weltmeere nur noch unter größten Anstrengungen verhinderbar ist. Auch Teile der polaren Eiskappen haben möglicherweise bereits Kipppunkte überschritten. Ihr weiteres Schmelzen könnte zu einem irreversiblen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter führen.

Zu den Leitautoren und Leitautorinnen des Global Tipping Points Report 2025 (GTPR 2025) zählt Nico Wunderling, Professor für Computational Earth System Sciences am Center for Critical Computational Studies | C3S der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Forscher am Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt, der gemeinsam mit weiteren Leitautor:innen das GTPR-Kapitel „Earth System Tipping Points and Risks“ geleitet hat. „Die verheerenden Folgen des Überschreitens von Klimakipppunkten bedrohen unsere Gesellschaften massiv“, sagt Nico Wunderling.

„Es besteht sogar das Risiko, dass das Kippen eines Klimasystems das Kippen anderer Systeme auslöst oder beschleunigt. Dieses Risiko nimmt mit einem Überschreiten der 1,5°C-Marke deutlich zu.“

Von rund zwei Dutzend Teilsystemen des Klimasystems ist bekannt, dass sie über Kipppunkte verfügen. Der erste dieser Kipppunkte, nämlich der für die tropischen Korallenriffe, sei nun erreicht, so der Bericht. Weiter geht er davon aus, dass sich die globale Durchschnittstemperatur in wenigen Jahren um 1,5 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit erhöht haben wird. Damit trete die Welt in eine Phase ein, in der das Überschreiten weiterer Klimakipppunkte riskiert werde, die dann wiederum weitreichende Folgen haben könnten wie den Anstieg des Meeresspiegels durch das Abtauen der großen Eisschilde oder globale Temperaturveränderungen im Falle eines Kippens der atlantischen Ozeanzirkulation. Der Bericht schlägt auch Maßnahmen vor, wie der weiteren Temperaturerhöhung begegnet werden kann.

Koordinierender Leitautor des GTPR 2025 ist Tim Lenton, Professor am Global Systems Institute der britischen University of Exeter. Zu dem Bericht haben über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 20 Ländern beigetragen. Er ist nun rechtzeitig zur 30. Weltklimakonferenz erschienen, die am 10. November 2025 im brasilianischen Belém beginnt. Der GTPR, der erstmals 2023 veröffentlicht wurde und schon damals weltweit beachtet wurde, gilt als maßgebliche Publikation auf dem Feld der Bewertung von Risiken und Chancen sowohl negativer als auch positiver Kipppunkte im Erdsystem und in der Gesellschaft.

Klimakipppunkte erfahren erst seit etwa 20 Jahren größere Aufmerksamkeit in den Klimawissenschaften. Unter einem klimabedingten Kipppunkt von Erdsystemen wie den Korallenriffen, dem Amazonas-Regenwald oder großflächigen Meeresströmungen verstehen die Autor*innen des Berichts das Erwärmungsniveau, ab dem solche Systeme selbstverstärkenden und oft unumkehrbaren Veränderungen unterliegen. So würden z.B. viele der tropischen Korallenriffe nach einer Überschreitung ihres Kipppunkts absterben, selbst wenn die Menschheit die weitere Klimaerhitzung begrenzt.

Das Überschreiten weiterer Kipppunkte in den nächsten Jahrzehnten, so erwarten die Wissenschaftler*innen, ist durchaus möglich, da einige weitere bereits bei etwa 1.5°C globaler Erwärmungen liegen könnten, unter anderem der Kipppunkt des Amazonas-Regenwalds (Folge: Versteppung), der Eisschilde auf Grönland und der Westantarktis (Folge: mehrere Meter Meeresspiegelanstieg) oder der atlantischen Ozeanzirkulation (Folge: starke Abkühlung des europäischen Kontinents).
Der GTPR beinhaltet auch eine Reihe von Fallstudien zu verschiedenen Kippelementen des Klimasystems, unter anderem zu diesen:

• Korallenriffe: Weltweit sind Korallenriffe in tropischen Breiten aufgrund wiederholter Massenbleichereignisse von einer beispiellosen Sterblichkeit betroffen. Die aktuelle Erderwärmung von etwa 1,4 °C liegt oberhalb ihres thermischen Kipppunkts, den Wissenschaftler mit etwa 1,2 °C abschätzen. Selbst im unrealistischen Fall, dass die Erwärmung bei 1,5 °C stabilisiert werden könnte, ist die Wahrscheinlichkeit äußerst hoch, dass die Riffe kippen werden. Viele von ihnen werden dauerhaft verloren gehen, wenn die globale Temperatur nicht wieder auf 1 °C oder weniger sinkt. Je länger diese Temperatur überschritten bleibt und je stärker sie überschritten wird, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sich die Riffe wieder erholen werden.
• Amazonas-Regenwald: Die Klimaerhitzung verbunden mit teilweiser Abholzung des Amazonas-Regenwalds setzen diesen bereits bei einer globalen Erwärmung von 1,5 bis 2 °C der Gefahr einer großflächigen Versteppung aus. Diese kann ihrerseits zu einer weiteren Verstärkung des Klimawandels führen.
• AMOC: Der Zusammenbruch der Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC), zu der auch der Golfstrom gehört, könnte bereits bei einer globalen Erwärmung von unter 2 °C zusammenbrechen. Dies würde zu viel kälteren Wintern in Nordwesteuropa führen, globale Monsunsysteme stören und die landwirtschaftlichen Erträge in weiten Teilen der Welt verringern.

Die GTPR-Autoren weisen darauf hin, dass neben negativen Kipppunkten im Klimasystem auch positive Kipppunkte in unseren Gesellschaften existieren. Ihr Überschreiten kann schnelle Transformationen hin zu klimafreundlicherem Verhalten fördern. Einige Beispiele:

• Erneuerbare Energien sind in den meisten Teilen der Welt schon heute günstiger als fossile Brennstoffe, Elektrofahrzeuge verdrängen Benzin- und Dieselfahrzeuge von den Straßen. Dies könnte sich als unumkehrbare und sich selbst verstärkende Entwicklung erweisen.
• Die schrittweise Einführung und Förderung klimafreundlicher Technologien durch die Politik kann das Auftreten positiver Kipppunkte etwa beim Einsatz klimafreundlicher Heizungen oder beim Gütertransport beschleunigen.
• Mechanismen „sozialer Ansteckung“ können dazu führen, dass die Mehrheit der Menschen Verhaltensänderungen einer Minderheit übernimmt, die zum Beispiel ihren Fleischkonsum eingeschränkt oder ihr Mobilitätsverhalten verändert hat.

Website des Global Tipping Points Report: https://global-tipping-points.org/