Nach den verheerenden Überschwemmungen in der spanischen Region Valencia im Oktober 2024 haben Studierende der Professur Sportgerätetechnik der Technischen Universität Chemnitz gemeinsam mit dem britischen Fahrradhersteller Vielo vier außergewöhnliche Upcycling-Lastenräder entwickelt und gefertigt. Die Rahmen der Räder bestehen aus Kohlefaserrohren mit einem Durchmesser von 55 Millimetern, die ursprünglich als tragende Struktur im Innenausbau von Airbus-Passagierflugzeugen verbaut waren und von der Elbe Flugzeugwerk GmbH (EFW) bereitgestellt wurden. Die Transportfahrräder, die nur rund 13 Kilogramm wiegen und dennoch mehr als 70 Kilogramm Zuladung tragen können, wurden im Oktober 2025 an zwei besonders stark betroffene Gemeinden in der Region Valencia übergeben, um dort die Mobilität nach der Flutkatastrophe wiederherzustellen.
Vom Flugzeug zum Fahrrad – Nachhaltiges Studieren in der Praxis
„Für unsere Studierenden des Studienganges Sports Engineering war dieses Projekt eine einmalige Gelegenheit, nachhaltige Werkstoffnutzung, Leichtbau und soziales Engagement miteinander zu verbinden“, erklärt Jens Buder, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Sportgerätetechnik, und ergänzt: „Von der CAD-Konstruktion über den Vorrichtungsbau bis zur Füge- und Wickeltechnik mit Carbon konnten sie den gesamten Prototypenprozess praxisnah umsetzen.“ Die Carbonrohre wurden dafür zunächst aufbereitet, zugeschnitten und anschließend mit einem Epoxid-Carbon-Verbund fixiert, bevor die Verbindungen durch eine mehrlagige Carbonfaserumwicklung dauerhaft fixiert wurden.
„So entstand ein hochstabiler Rahmen mit einem außergewöhnlich guten Verhältnis von Gewicht zu Steifigkeit“, sagt Buder.
Mehrere Herausforderungen wurden von Studierenden gemeistert
Auch die beteiligten Studierenden berichten begeistert von den Erfahrungen im Projekt. „Am Anfang war es eine echte Herausforderung – nach dem ersten Rad lief der Aufbau dann erstaunlich geradlinig“, erzählt Louis Ladewig, einer der Teilnehmer. Sein Kommilitone Sebastian Marx ergänzt: „Wir schrauben zwar alle an unseren eigenen Bikes, aber ein Fahrrad von Grund auf zu bauen, ist etwas völlig anderes.“ Für Thorben Tittel war vor allem der bewusste Verzicht auf eine Federung lehrreich: „Normalerweise fahre ich vollgefederte Bikes. Hier ganz ohne Federung zu konstruieren, hielt das Konzept schlank – alles andere hätte den Bau unnötig verkompliziert.“
Die Studierenden berichten zudem, dass sie einige unvorhergesehene technische Herausforderungen meistern mussten: Nach dem Aushärten im Ofen verfärbten sich die Carbonrohre leicht, woraufhin eine Epoxid-Deckschicht aufgetragen wurde, um die Oberfläche zu schützen und ihr ein gleichmäßiges, leicht glänzendes Finish zu verleihen.
Soziales Engagement über Grenzen hinweg
Initiiert wurde das Hilfsprojekt durch den Valencianer und Vielo-Athleten Juan Dual, auch bekannt als „Empty Juan“. Nach mehreren Krebsoperationen lebt er ohne Magen, Dick- und Enddarm, engagiert sich jedoch unermüdlich für soziale Projekte. Nach der Flutkatastrophe in Valencia leitete er ein Team von rund 100 freiwilligen Radfahrerinnen und Radfahrern, die Hilfsgüter in unzugängliche Gebiete brachten.

Mit Unterstützung von Vielo und der TU Chemnitz konnte Dual nun vier speziell angefertigte Cargo-Bikes übergeben, um die Mobilität in den betroffenen Dörfern wiederherzustellen. Vielo-Co-Gründer Trevor Hughes holte die Räder persönlich an der TU Chemnitz ab und transportierte sie auf einer rund 2.600 Kilometer langen Fahrt nach Valencia – dokumentiert als Teil der Vielo Road Diary-Serie.
Internationale Kooperation von Industrie und Wissenschaft
„Der direkte Draht zur Elbe Flugzeugwerke GmbH war der Schlüssel, um zertifizierte Luftfahrt-Carbonstrukturen sinnvoll weiterzuverwenden“, betont Prof. Dr. Stephan Odenwald, Inhaber der Professur Sportgerätetechnik, der den Kontakt zum Unternehmen herstellte. „Die Kooperation zeigt, wie Kreislaufwirtschaft im Leichtbau funktionieren kann: Wir führen hochwertige Faserverbunde aus der Luftfahrt in eine zweite Lebensphase – hier als alltagstaugliche Lastenräder, die in Valencia sofort helfen. Dass unsere Studierenden diesen Transfer von der Idee bis zu fahrbereiten Prototypen mitgestaltet haben, macht mich besonders stolz.“
Neben Vielo und EFW beteiligten sich zahlreiche weitere Partnerinnen und Partner an dem Projekt, darunter Goodyear/Cambrian Tyres, Token, Satori, WTB, Tektro/TRP und Ineos Automotive. Gemeinsam mit der TU Chemnitz ermöglichten sie, dass aus ehemaligen Flugzeugteilen funktionale Transportfahrräder entstanden, die heute in Valencia wieder Menschen unterstützen, deren Mobilität durch die Flutkatastrophe zerstört wurde. Das Projekt zeigt eindrucksvoll, wie Ingenieurwissen, handwerkliche Leidenschaft und gesellschaftliches Engagement an der TU Chemnitz zusammenfinden können – und wie aus alten Flugzeugteilen neue Hoffnung auf zwei Rädern entsteht.
