Zweifel an der Kreislaufwirtschaft

Prof.in Margherita Molinaro und Prof. Guido Orzes. Foto: Freie Universität Bozen

Ohne gezielte Planung können Wiederverwendung und Recycling höhere Emissionen in der Lieferkette verursachen als das Neudesign von Produkten: Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Freien Universität Bozen koordinierte internationale Studie, in die 1.599 Unternehmen weltweit eingebunden waren. Seit über einem Jahrzehnt gilt die Kreislaufwirtschaft als der grüne Wendepunkt der Industrie: weniger Abfall, weniger Rohstoffe, mehr Wiederverwertung und höhere Effizienz.

Viele Regierungen betrachten Zirkularität als zentralen Weg, um Klimaziele und CO₂-Neutralität zu erreichen, und auch die Europäische Union arbeitet an einem Gesetz zur Kreislaufwirtschaft, das bis 2026 verabschiedet werden soll. Nun zeigt eine internationale Studie unter Leitung der Freien Universität Bozen jedoch: Diese Wirtschaftsform reduziert Emissionen nicht automatisch. Wenn sie falsch umgesetzt wird, kann sie sogar negative Umweltauswirkungen haben.

Die Studie wurde von Prof.in Margherita Molinaro und Prof. Guido Orzes von der Fakultät für Ingenieurwesen der Freien Universität Bozen gemeinsam mit Prof. Joseph Sarkis vom Worcester Polytechnic Institute (USA) durchgeführt – einem der weltweit führenden Experten für nachhaltige Lieferketten – und in der Fachzeitschrift Business Strategy and the Environment veröffentlicht. Analysiert wurden darin 1.599 produzierende Unternehmen aus 51 Ländern und 21 Industriezweigen. Anhand von Sekundärdaten wurden deren Emissionen und Kreislaufpraktiken über einen Zeitraum von acht Jahren rekonstruiert.

Redesign wirkt – Wiederverwendung und Recycling nicht immer

Die Ergebnisse, die im Rahmen des EU-Projekts SME 5.0 entstanden sind, zeigen: Die Kreislaufwirtschaft kann deutliche positive Klimaeffekte haben, hat es aber bei weitem nicht in allen untersuchten Fällen. Unternehmen, die auf eine Produkt-Neugestaltung (Redesign) setzen, also weniger Materialien verwenden, leichtere Komponenten einsetzen, effizientere Prozesse gestalten und auf Reparierbarkeit sowie Langlebigkeit achten, weisen geringere direkte Emissionen und einen niedrigeren Energieverbrauch auf. Wenn Kreislaufprinzipien also bereits im Designprozess berücksichtigt werden, ist der positive Klimaeffekt messbar.

Andere Ergebnisse zeigten sich bei Wiederverwertung und Recycling, die oft als universell nachhaltige Lösungen gelten. Denn, wie die Analyse zeigt: In vielen Fällen verursachen sie höhere Lieferkettenemissionen. Der Grund? Das Transportieren, Sortieren, Aufbereiten und Wiedereinführen gebrauchter Produkte auf den Markt erfordert zusätzliche Logistik, Energie und industrielle Prozesse, die nicht immer zu einer besseren Klimabilanz führen. Auf den Punkt gebracht: Wiederverwertung ist nicht automatisch nachhaltiger als neu zu produzieren. Ausschlaggebend sind Faktoren wie Entfernung, Technologie, Energiemix und die Organisation der Lieferkette.

Das Thema ist aber nicht nur aus ökologischer Sicht relevant

Laut Europäischer Kommission kann die Kreislaufwirtschaft bis 2030 rund 700.000 neue Arbeitsplätze schaffen und die Abhängigkeit der EU von importierten Rohstoffen um 15 bis 20 Prozent senken. In Italien, das heute etwa 72 Prozent der Industrieabfälle und über 55 Prozent der kommunalen Abfälle recycelt, hat die Branche bereits einen Wert von über 90 Milliarden Euro und beschäftigt hunderttausende Arbeitskräfte. Doch ihr wirtschaftliches Potenzial hängt entscheidend von der tatsächlichen Emissionsreduktion ab: Wenn Prozesse nicht effizienter und energieärmer werden, droht der wirtschaftliche Vorteil zu verpuffen.

Die Studie der unibz und des WPI eröffnet eine neue, differenziertere Sichtweise: Die Kreislaufwirtschaft bleibt ein zentraler Bestandteilt der ökologischen Transformation, aber sie muss richtig umgesetzt werden. Dafür muss man verstehen, wann, wie und unter welchen Bedingungen sie dem Klima wirklich nützt.

Fehlen diese Voraussetzungen, entstehen nur scheinbare Vorteile oder im schlimmsten Fall eine Verlagerung von Emissionen innerhalb der Lieferkette. „Wir hatten eine generelle Bestätigung der Versprechen der Kreislaufwirtschaft erwartet, aber die Ergebnisse sind weit vielfältiger“, erklärt Prof.in Margherita Molinaro von der Freien Universität Bozen. „Kreislaufwirtschaft ist wichtig, aber sie muss richtig umgesetzt werden. Wenn wir sie als Wundermittel betrachten, täuschen wir uns selbst. Ohne effiziente Infrastrukturen, erneuerbare Energiequellen und geeignete Technologien kann ihr ökologischer Nutzen nicht vollständig ausgeschöpft werden.“

„Das Fazit ist, dass Kreislaufwirtschaft nur dann funktioniert, wenn sie geplant, gemessen und mit verlässlichen Daten integriert wird – nicht, wenn sie nur als Etikett dient“, sagt Prof. Guido Orzes. „Ohne intelligente Planung und geeignete Infrastruktur verlieren selbst die besten Ansätze an Wirkung.“

Erst recht vor dem Hintergrund eines weiteren Problems: Die tatsächliche Zirkularität zu messen, ist immer noch schwierig. In einer zweiten Studie, veröffentlicht in Sustainable Production and Consumption, hat das Forschungsteam aus Bozen mit Unterstützung der unibz-Doktorandin Beatrice Bais vier der wichtigsten europäischen Instrumente untersucht, mit denen Unternehmen ihre Kreislaufleistung bewerten.

Das Ergebnis? Die Werkzeuge fördern zwar Bewusstsein und Planung, liefern aber keine objektiven und vergleichbaren Bewertungen. Unterschiede zwischen Branchen, subjektive Interpretationen und die eingeschränkte Übertragbarkeit der Ergebnisse erschweren es, zu bestimmen, welche Unternehmen wirklich zirkulär wirtschaften und welche nicht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit robusterer Indikatoren, Lebenszyklusanalysen und gemeinsamer Standards.