Fast die Hälfte aller Raubfliegenarten Deutschlands, nämlich 40 von 83 in Deutschland etablierten Arten, sind bestandsgefährdet oder bereits ausgestorben. Das zeigt die neue Rote Liste der Raubfliegen, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und das Rote-Liste-Zentrum (RLZ) jetzt veröffentlicht haben. Am stärksten gefährdet ist die Große Makelfliege (Cyrtopogon ruficornis), die nun als „Vom Aussterben bedroht“ eingestuft ist. Sie lebt in halbschattigen Bergwäldern – ein Lebensraum, der durch den Klimawandel immer weiter zurückgeht. Damit steht die Große Makelfliege stellvertretend für viele Arten, die auf kühle, strukturreiche Lebensräume angewiesen sind.
Raubfliegen sind eine in der Öffentlichkeit wenig bekannte, aber ökologisch bedeutsame Insektengruppe. Ähnlich den Libellen jagen sie andere Fluginsekten. Auch die Larven einiger Arten ernähren sich räuberisch. Zur Beute der holzbewohnenden Raubfliegenlarven gehören beispielsweise Borkenkäfer. Gegenüber Menschen verhalten sie sich friedlich.
In der Roten Liste werden alle Raubfliegenarten, die in Deutschland etabliert sind, bewertet. 4 Arten sind ausgestorben oder verschollen (Rote-Liste-Kategorie 0), 36 Arten gelten als bestandsgefährdet (Rote-Liste-Kategorien 1, 2, 3, G), darunter eine Art, die vom Aussterben bedroht ist, 24 stark gefährdete und 10 gefährdete Arten. Für eine Art kann das Ausmaß ihrer Gefährdung nicht exakt angegeben werden. 7 weitere Arten sind „Extrem selten“, 3 stehen auf der „Vorwarnliste“. Lediglich 32 Arten (38,6 %) gelten aktuell als ungefährdet. Zu einer Art reichen die Daten für eine Gefährdungsanalyse noch nicht aus.
Im Vergleich zur Vorgängerliste von 2011 gab es bei einem großen Teil der Arten eine Änderung der Rote-Liste-Kategorie (43,4 %). Ein Teil dieser Änderungen ist das Ergebnis einer verbesserten Datengrundlage, zu der auch Citizen-Science-Plattformen wie zum Beispiel „Observation.org“, „iNaturalist.org“ oder „insekten-sachsen.de“ beigetragen haben. Auf ihnen haben zahlreiche naturinteressierte Bürger*innen Fotonachweise übermittelt und so die Arbeit der Fachleute unterstützt.
„Über die Hauptursachen der Rückgänge gibt es keine Zweifel“, sagt Sabine Riewenherm, Präsidentin des BfN: „Die neue Rote Liste zeigt deutlich, dass der Rückgang der kleinräumigen Strukturvielfalt in der Landschaft gravierende negative Folgen für die Raubfliegen hat. Gleichzeitig eröffnen sich aber auch Chancen. So finden manche Raubfliegenarten mit einer Vorliebe für spärlich bewachsene Flächen in ehemaligen Tagebaugebieten neue Lebensräume.“
Die Ausbreitung einiger wärmeliebender Arten wie der Fransen-Mordfliege (Choerades fimbriata) und der Klöppel-Schlankfliege (Leptogaster subtilis) trägt zu den positiven Änderungen von Rote-Liste-Kategorien bei. Der Klimawandel dürfte aus Sicht der Rote-Liste-Expert*innen auch bei den gestiegenen Nachweiszahlen einer der bekanntesten deutschen Raubfliegenarten, der Hornissen-Raubfliege (Asilus crabroniformis), eine Rolle spielen: Die Art wird nun als „Gefährdet“ eingestuft und nicht mehr, wie in der Vorgängerliste, als „Stark gefährdet“.
Trotz solcher Einzelbeispiele bleibt die Gesamtsituation kritisch. Mehr als die Hälfte der Arten (56,6 %) sind entweder bereits ausgestorben oder verschollen, bestandsgefährdet oder extrem selten. Neu in der Kategorie der in Deutschland ausgestorbenen Arten sind jetzt auch die Steppen-Raubfliege (Cerdistus graminicola) und die Bronze-Mordfliege (Pogonosoma minor).
Wie die Südliche Raubfliege (Antiphrisson trifarius) und der Große Sandwicht (Stichopogon albofasciatus), deren Verlust schon bekannt war, konnten die Arten nicht mehr nachgewiesen werden. Besondere Verantwortung trägt Deutschland für die Kleine Rabaukenfliege (Holopogon dimidiatus). Diese Raubfliegenart kommt hauptsächlich in Osteuropa und Westasien vor. Die wenigen Populationen in Deutschland sind hochgradig isoliert von anderen Populationen und daher besonders schutzbedürftig.
Um die in Deutschland vorkommenden Raubfliegen besser zu schützen, identifizierten die Autoren wichtige Schutzmaßnahmen: Zum einen sollten Schutzgebiete mit offener Vegetation wie Sandmagerrasen und Heiden vergrößert und besser vernetzt werden. Diese Lebensstätten und Reproduktionshabitate sind durch eine gut angepasste Nutzung oder Pflege zu erhalten. Bei der Bewirtschaftung von Grünland sollten arten- und blütenreiche Vegetationstypen gegenüber den auf Massenertrag ausgerichteten Grasbeständen stärker gefördert werden. Lichtreiche Waldbestände mit Totholz sind ebenfalls zu erhalten.
Danny Wolff, Hauptautor der Roten Liste, weist auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin: „Viele der anspruchsvolleren Raubfliegen sind sogenannte Biotopkomplexbewohner. Sie benötigen für die Eiablage, die Larvalentwicklung und den Nahrungserwerb oftmals ein Mosaik unterschiedlicher Lebensräume. Leidet die Qualität eines einzelnen Teilhabitats, kann sich daraus schon eine lokale Gefährdung ergeben.“
