Die Identifizierung sicherer Bisphenol-Alternativen ist das Ergebnis eines Design-, Bewertungs- und Entwicklungsprozesses, der von einem Team aus Chemikern, Datenwissenschaftlern, Toxikologen und Materialexperten am KTH Royal Institute of Technology sowie der Universität Stockholm entwickelt wurde. Bisphenol-Alternativen sind chemische Stoffe, die geschaffen oder eingesetzt werden, um klassische Bisphenole – insbesondere Bisphenol A (BPA) – in Kunststoffen, Harzen und Beschichtungen zu ersetzen. Diese Alternativen sollen ähnliche technische Eigenschaften wie BPA bieten, etwa Stabilität, Transparenz oder Härte, jedoch ohne dessen hormonähnliche Wirkung oder gesundheitliche Risiken.
In der Praxis umfasst der Begriff jedoch eine breite und heterogene Stoffgruppe, darunter Bisphenol S (BPS), Bisphenol F (BPF) sowie neuere, weniger erforschte Verbindungen. Journalistinnen und Journalisten verwenden den Begriff häufig kritisch, da viele dieser Ersatzstoffe ebenfalls unter Verdacht stehen, das Hormonsystem zu beeinflussen oder andere unerwünschte Effekte zu haben. Der Ausdruck „Bisphenol-Alternativen“ beschreibt somit nicht automatisch sichere Ersatzstoffe, sondern vielmehr die zunehmende chemische Vielfalt, die seit den Regulierungen von BPA in alltäglichen Produkten eingesetzt wird.
Im Fokus stehen hier besonders die östrogenen Wirkungen. Damit werden biologische Effekte bezeichnet, die durch das Hormon Östrogen oder durch Stoffe ausgelöst werden, die im Körper ähnlich wie dieses Hormon wirken. Dazu gehören Prozesse wie die Regulierung des weiblichen Zyklus, die Entwicklung der Geschlechtsorgane sowie Funktionen in Knochen, Gehirn und Herz-Kreislauf-System.
Solche Substanzen – oft als endokrine Disruptoren bezeichnet – können körpereigene Östrogene imitieren, deren Wirkung verstärken oder stören und so potenziell Gesundheit und Entwicklung beeinflussen. Der Ausdruck verweist daher nicht nur auf natürliche hormonelle Prozesse, sondern auch auf die möglichen Risiken durch künstliche Stoffe, die in Alltagsprodukten oder der Umwelt vorkommen.
Ziel der Forschung war es, sichere, nicht-östrogene Alternativen zu Bisphenol A (BPA) und seinen Analoga zu finden, die unter anderem wichtige Bestandteile von Polycarbonat-Kunststoffen sind und aus denen zahlreiche Konsum- und Industrieprodukte hergestellt werden. Die Studie legte dabei einen besonderen Schwerpunkt auf Bisphenole, die aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden können.
Durch die Ausrichtung am Rahmenwerk „Safe-and-Sustainable-by-Design“ (SSbD) der Europäischen Kommission ebnet der Ansatz diesen Bisphenolen den Weg für eine behördliche Zulassung und letztlich die industrielle Einführung. SSbD ist ein freiwilliges Rahmenwerk, das als Leitfaden für den Innovationsprozess hin zu sicheren Chemikalien und Materialien dient.
Die Studie identifizierte drei Bisphenole mit vernachlässigbaren östrogenen Wirkungen, die allesamt aus nachwachsenden Rohstoffen stammen. Eine dieser Verbindungen – Bisguaiacol F (BGF) – wurde in eine Polyestermatrix eingebaut. Der synthetisierte Polyester zeigte eine thermische Stabilität und mechanische Eigenschaften, die mit BPA-basierten Kunststoffen vergleichbar oder sogar besser waren. Alle drei Verbindungen wurden als potenzielle Ersatzstoffe für BPA in einer Vielzahl von Anwendungen identifiziert, darunter Konsumgüter wie Wasserflaschen, Möbel und Brillen.
Die Hauptautorin Helena Lundberg, außerordentliche Professorin für organische Chemie am KTH Royal Institute of Technology, betont, die Studie zeige die Vorteile der Arbeit in einem multidisziplinären Team, um die negativen Auswirkungen neuer Chemikalien und Materialien auf Gesundheit und Umwelt zu minimieren.
„Der von uns entwickelte Arbeitsablauf ist ein zentraler Bestandteil dieser Forschung. Die Art und Weise, wie wir zwischen verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten, um uns am SSbD-Rahmen zu orientieren, lässt sich auf verschiedene Arten von Toxizität und chemischen Verbindungen für Konsumgüter übertragen.“
Ausgehend von mehr als 170 potenziellen Bisphenolen kombinierten die Forschenden computergestütztes Screening, nachhaltige synthetische Chemie und In-vitro-Toxikologie, um die Anzahl der Kandidaten schließlich einzugrenzen. Die leitenden Autoren Oskar Karlsson (Toxikologie, Universität Stockholm), Minna Hakkarainen (Polymertechnologie, KTH) und Ulf Norinder (Datenwissenschaft, Universität Stockholm) betonen, dass die multidisziplinäre Struktur des Projekts entscheidend für die Bewertung sowohl der Sicherheit als auch der Leistungsfähigkeit der Kandidaten-Bisphenole war.
„Dank der Hochdurchsatz-Toxikologie können wir viele Kandidaten schnell bewerten – ein entscheidender Schritt, um sicherzustellen, dass nur die sichersten Optionen weiterverfolgt werden“, sagt Karlsson.
Bevor die BGF-basierten Materialien auf den Markt gebracht werden können, müssen weitere Tests durchgeführt werden, darunter Langzeittoxikologie und vollständige Lebenszyklusbewertungen. Lundberg betont jedoch, dass die Forschung einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung schädlicher Chemikalien in unserem Alltag leistet – insbesondere durch die Demonstration eines effektiven SSbD-Workflows.
„Der Safe-and-Sustainable-by-Design-Ansatz hilft Wissenschaftlern, neue Materialien für Alltagsprodukte bereitzustellen, die frei von versteckten Gesundheitsrisiken sind und mit minimalen Auswirkungen auf die Umwelt hergestellt werden“, sagt sie. „Das bedeutet, dass Verbraucher bessere Produkte erhalten, ohne bei Qualität oder Komfort Kompromisse eingehen zu müssen.“
