Bärenappetit im Klimawandel

Braunbärin mit Jungtieren bei der Suche nach Heidelbeeren im Tatra Nationalpark, Polen. Copyright: Adam Wajrak

Bären sind wahre Allesfresser. Diese Flexibilität macht sie zu erfolgreichen Überlebenskünstlern in verschiedensten Lebensräumen. Ein internationales Forschungsteam um Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Jörg Albrecht hat nun erstmals in großem Umfang ökologische und paläoökologische Daten zu sieben Bärenarten ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten Bärenarten ihre Ernährung je nach Klima und Nahrungsangebot flexibel anpassen und damit auch ihre ökologische Funktion ändern. Das Forschungsteam zeigt in der neuen Studie, dass eine veränderte Rolle großer Raubtiere die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen gegenüber dem globalen Wandel stärken könnte.

Beeren, Wurzeln, Nüsse und Gräser, aber auch Insekten, Fische oder Säugetiere – der Speiseplan von Bären ist abwechslungsreich. Je nach Art und Jahreszeit variiert die Zusammensetzung ihrer Nahrung stark. So frisst der Braunbär im Sommer und Herbst vor allem Beeren oder Nüsse und im Frühjahr mehr Fleisch. Diese Anpassungsfähigkeit macht Bären zu erfolgreichen Überlebenskünstlern in verschiedensten Regionen der Erde, von arktischen Tundren bis zu dichten tropischen Wäldern.

„Allesfresser, sogenannte Omnivoren, können in Ökosystemen eine dynamische und stabilisierende Rolle einnehmen, wenn sich Umweltbedingungen verändern. Obwohl es sie in nahezu allen Ökosystemen und Nahrungsnetz-Ebenen gibt, wissen wir bislang erstaunlich wenig darüber, wie sie in terrestrischen Lebensräumen auf Veränderungen reagieren“, erklärt Dr. Jörg Albrecht vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt.

In einer neuen Studie hat Albrecht gemeinsam mit einem internationalen Team aus 18 europäischen und kanadischen Forschern erstmals umfangreiche ökologische und paläoökologische Daten zu sieben Bärenarten – den größten landlebenden Raubtieren – kombiniert. „Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Raubtieren bevorzugen Bären eine vergleichsweise eiweißarme Ernährung. Die meisten Arten zeigen zudem deutlich weniger anatomische und physiologische Merkmale, die sie auf Fleischkonsum festlegen würden. Diese Flexibilität ermöglicht ihnen eine außergewöhnlich vielseitige Ernährung“, erläutert der Senckenberg-Forscher und fährt fort:

„Dadurch übernehmen Bären viele ökologische Rollen zugleich: Sie jagen Beutetiere, fressen Aas, breiten Samen aus und ernähren sich von Pflanzen. Auf diese Weise beeinflussen sie Beutetierbestände, das Wachstum und die Verbreitung von Pflanzen, den Nährstoffkreislauf und den Energiefluss – sowohl in Land- als auch in Gewässerökosystemen.“

Durch die Kombination makroökologischer und paläoökologischer Methoden konnten die Forschenden zeigen, dass die meisten Bärenarten ihre Stellung im Nahrungsnetz flexibel an die Verfügbarkeit von Ressourcen und an das Klima anpassen. In Regionen mit geringem Nahrungsangebot und kurzen Vegetationsperioden ernähren sie sich stärker fleischbasiert, während sie in produktiven Gebieten mit langen Wachstumszeiten vor allem pflanzliche Nahrung bevorzugen.

„Unsere Isotopenanalysen an fossilen Bärenknochen aus dem späten Pleistozän und Holozän zeigen zudem, dass der Europäische Braunbär im Zuge steigender Primärproduktion und längerer Vegetationsperioden nach der letzten Eiszeit vor circa 12.000 Jahren zunehmend auf pflanzliche Nahrung umstieg“, ergänzt Koautor Prof. Dr. Hervé Bocherens vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen.

Die Studie unterstreicht den Wert naturhistorischer Sammlungen für die Forschung zu globalen Umweltveränderungen. Das Team untersuchte Knochenmaterial von Braunbären und Rothirschen, das in 14 naturhistorischen und paläontologischen Sammlungen in ganz Europa aufbewahrt wird. Rothirsche wurden einbezogen, da sie ausschließlich pflanzliche Nahrung zu sich nehmen und somit eine klare Referenz liefern, um zu bestimmen, ob Braunbären auf niedrigeren oder höheren Ebenen des Nahrungsnetzes fressen.

„Die Arbeit mit den Sammlungsobjekten gleicht einer Detektivarbeit: Isotopenanalysen eröffnen ein Fenster in die Vergangenheit und ermöglichen es uns, zu rekonstruieren, was diese Tiere vor Tausenden von Jahren während der letzten Eiszeit gefressen haben – zu einer Zeit, als die Welt ganz anders war als heute“, so Seniorautorin Prof. Dr. Nuria Selva von der Doñana Biological Station (CSIC) in Spanien und dem Institut für Naturschutz der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN).

Die Ergebnisse zeigen einen bisher wenig beachteten Zusammenhang: Große Allesfresser verändern ihre Rolle im Ökosystem – das Forschungsteam spricht von einer „trophischen Neuverdrahtung“. „Unsere Ergebnisse heben die entscheidende Rolle der omnivoren Megafauna, zu der viele große Fleischfresser gehören, in Ökosystemen hervor. Sie können dazu beitragen, dass Nahrungsnetze trotz globaler Umweltveränderungen wie dem Klimawandel stabil bleiben. Auf diese Weise tragen große Fleischfresser zur Resilienz und Stabilität von Ökosystemen bei, was in einer sich schnell verändernden Welt von entscheidender Bedeutung ist“, sagt Selva.

Braunbär mit gefangenem Lachs im Katmai Nationalpark, Alaska. Copyright: Adam Wajrak

Albrecht fasst zusammen: „Der globale Wandel verändert die Struktur von Nahrungsnetzen an Land und im Wasser grundlegend – mit teils drastischen Folgen für ganze Ökosysteme. Gerade große Allesfresser an der Spitze der Nahrungskette sind hier besonders interessant. Sie nutzen ein breites Spektrum an Nahrungsquellen, sind sehr anpassungsfähig und reagieren oft schnell auf Umweltveränderungen. Wenn sich ihre Rolle im Ökosystem – etwa von Räubern zu Pflanzenfressern – verschiebt, kann das die Struktur ganzer Nahrungsnetze verändern. Die Art und Weise, wie Allesfresser auf Umweltveränderungen reagieren, könnte daher ein empfindlicher Frühindikator für tiefgreifende Umbrüche in Ökosystemen sein.“