Buchbesprechung: „Nestwärme“

Das Buch „Nestwärme“ kommt auf den ersten Blick, wegen seiner Aufmachung, fast niedlich daher. Doch der Schein trügt. Gleich zu Beginn steigt der Leser in eine, besonders für die Westdeutschen überraschend, ostdeutsche Biografie ein; in  die Biografie eines engagierten Umweltschützers, der allein aus seinem Engagement für die Natur schon ins Visier der Staatsorgane der Deutschen Demokratischen Republik gekommen ist. Als es im Westen gerade modern und chic wurde „grün“ oder „öko“ zu sein, führten ähnliche und frei von Modeströmungen beseelte Überzeugungen im Osten Deutschlands geradewegs in die operative Personenkontrolle des Herrn Mielke.

Das Sammeln und Verbreiten von Umweltinformationen waren in der DDR ein Straftatbestand. Für den Autoren Ernst Paul Dörfler waren damit die meisten Türen im Arbeiter und Bauernstaat verschlossen. Trotz Repression blieb Dörfler seiner Sache treu, Naturschutz auf die etwas leisere Weise zu betreiben. Er schafft es, 1986 mit Hilfe von Unterstützern, fast in Eulenspiegelmanier, noch in der DDR sein Buch „Zurück zur Natur?“ zu veröffentlichen. Auch wenn die DDR Staatsmedien natürlich nicht über das Buch berichteten, wurde es dennoch zu einem Kultbuch der ostdeutschen Umweltbewegung.

Dörfler schrieb aber nicht nur, im November 1989 wurde er gemeinsam mit seiner Frau Marianne Mitbegründer der Grünen Partei in der DDR und war bis März 1990, abwechselnd mit seiner Frau, Vertreter der Grünen am Zentralen Runden Tisch. Er war Gründungsmitglied der Stiftung Umwelt und Naturschutz und von April bis Oktober 1990 als Abgeordneter der Fraktionsgemeinschaft von Grünen und Bündnis 90 in der Volkskammer Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit. Ein ernstzunehmender Autor also und eine lebende Erinnerung daran, dass westdeutsche Ignoranz bezüglich ostdeutscher „Helden“ unangemessen ist.

Nun hat Dörfler ein Buch vorgelegt.  „Nestwärme“ erscheint   auf den ersten Blick ganz unpolitisch und fast romantisch, ist es aber nicht. Es nimmt uns mit in die Natur, packt uns bei Erlebnissen und den staunenden Erinnerungen unserer eigenen Kindheit (jedenfalls an die des Rezensenten) und führt uns in die Verhaltensforschung der Vögel ein. Er macht dies ohne die oftmalige Kälte mathematikorientierter Verhaltensforscher, aber zum Glück auch ohne den Intellekt vernebelnde Romantizismen.

Nach der Lektüre des Buches ist man in Sachen Vogelwelt wirklich schlauer und beginnt beim Blick in die Landschaft anders zu schauen. Da werden Hochleitungsmasten und Windkrafträder zu Schlachtanlagen, Vogelnester plötzlich aus architektonischer Sicht interessant und bei der Beobachtung einer Elster, die durch den Garten stöbert, kommen plötzlich merkwürdige Fragen nach Bewusstsein, dem eigenen Ich und der Evolution hoch. Auch wenn es an einigen Stellen vielleicht mal zu detailreich wurde – dieses Buch ist absolut lesenswert!

 

Erschienen 2019. 288 S. Hardcover Verlag: Hanser, Carl GmbH + Co. ISBN 978-3-446-26185-3

Preis: 20,00 Euro