Wir starten mit diesem Beitrag eine Serie über das Vereinsleben in den ländlichen Räumen. Wir werden unterschiedliche Aspekte beleuchten und Menschen aus den verschiedensten Regionen zu Wort kommen lassen:
Verein sind dem Deutschen wichtig, so glaubt man jedenfalls. Und besonders die ländlichen Räume scheinen traditionell eine Hochburg des Vereinslebens zu sein. Wer kann sich schon die Weiten ländlichen Räume ohne Schützenvereine, vereinigte Jäger oder gar Blaskappelen vorstellen. Aber ist das wirklich noch so – stimmt dieses „Vor“Urteil wirklich?
15.547 Vereine in ländlichen Regionen hätten sich seit 2006 aufgelöst und seien aus den Vereinsregistern gelöscht worden. Die Auflösung von Vereinen sei damit ein Problem auf dem Land und in der Stadt sähe es ganz anders aus. Bestehende Vereine in ländlichen Regionen kämpften besonders häufig damit, neue Mitglieder zu gewinnen. Damit sei auch ihr Bestand gefährdet. Zu dieser Einschätzung kam im vergangenen Jahr die Forschungsgruppe Zivilgesellschaft in Zahlen des deutschen Stifterverbandes in ihrer Studie „Vereinssterben in ländlichen Regionen“.
Ein Blick ins Land zeigt, dass das Vereinssterben wohl nicht nur eine abstrakte Größe ist. So gibt es beispielsweise seit mehr als 100 Jahren in Groß Bülten, im Kreis Peine, in jedem im August traditionelle Schützenfest. Träger ist seit inzwischen 50 Jahren die Volksfestgemeinschaft Groß Bülten e. V. Der Vorsitzende hat nach jahrelangem Engagement sein Amt abgeben. Und dann gab es keinen Nachfolger oder Nachfolgerin. Auch die Posten des Kassenwartes konnte nicht besetzt werden. Der Vorstand war dann nicht mehr geschäftsfähig. Am 16. März des vergangenen Jahres fand eine außerordentliche Mitgliederversammlung statt, Tagesordnungspunkt acht: „Gegebenenfalls Vereinsauflösung“. Und die wurde dann einstimmig beschlossen.
Notruf für Vereine
Und die Schützen von Groß Bülten sind nicht allein: Der Niedersächsische Sportschützenverband (NSSV) hat rund 162.000 aktuelle Mitglieder. Vor zehn Jahren waren es noch 180.000. Das entspricht einem durchschnittlichen Rückgang von rund einem Prozent pro Jahr. Das Vereinssterben im ländlichen Raum hat auch die Musikvereine erfasst. Allein im Bund Deutscher Blasmusikverbände haben sich in den vergangenen Jahren 23 Vereine aufgelöst. Diesem Trend wirkt der Verband sogar mit einer neuen Initiative entgegen und bietet betroffenen Vereinen über www.notruf-verein.de Hilfe und Unterstützung an.
Folgen des demographischen Wandels
Hat diese negative Entwicklung wirklich schon alle Teile des Landes erfasst? Im April des vergangenen Jahrs meldete die Mitteldeutsche Zeitung: „Der Fußballverband Sachsen-Anhalt warnt in einer Art Generalabrechnung mit der Landespolitik vor einer Verödung der Sportlandschaft und des ländlichen Raumes. Angesichts von Überalterung und Entvölkerung prangert der Verband an, dass die Landesregierung keine Lösungen habe, obwohl die Probleme des demografischen Wandels „seit langem bekannt sind“. Ähnliche Meldungen kommen aus fast allen Teilen der Republik – mit einem Schwerpunkt in Ostdeutschland.
Unterschiedliche Entwicklung im Vereinswesen
Anderseits bilden die Sportvereine mit 22 Prozent und 133.00 eingetragenen Vereinen immer noch den größten Teil des deutschen Vereinswesens. Doch merkwürdigerweise kann ausgerechnet in diesem Bereich gleichzeitig auch die geringste Steigung der Mitgliederzahlen ausgemacht werden. Weitaus stabiler sieht es im Bereich Bürger- und Verbraucherinteressen aus. Hier konnten die Untersuchungen von Zivilgesellschaft in Zahlen einen deutlichen Zuwachs ausmachen. Auch die Fördervereine – insbesondere in den Bereichen Kultur und Bildung – können vom aktuellen Aufschwung im Vereinswesen profitieren. Gleichzeitig werden Fitness und Gesundheit, so zahlreiche Untersuchungen den Menschen immer wichtiger. Aber sind die Menschen geblieben, wenn sie nicht mehr in die Vereine stürmen? Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte gibt eine mögliche Antwort: 2017 setzte die deutsche Fitnessbranche ihren Wachstumskurs fort: Mit 8.988 Anlagen, 10,61 Millionen Mitgliedschaften und einem Gesamtumsatz von 5,20 Milliarden Euro erreichte sie neue Spitzenwerte.
Fitnessstudio statt Sportverein
Besonderen Auftrieb verzeichneten dabei vor allem die Formate Discountfitness und Mikrostudios, die im Wesentlichen von Ketten betrieben werden. Die Studie zum deutschen Fitnessmarkt wurde von Deloitte in Zusammenarbeit mit dem DSSV (Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen) und der DHfPG (Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement) erstellt. Die zehn größten Fitnessketten verzeichneten 2018 rund 225.000 neue Mitgliedschaften. Der Marktführer, die McFIT Gruppe, hat inzwischen 1.170.000 Mitglieder – so viel wie die Top Ten des deutschen Vereinslebens von Bayern München bis Eintracht Frankfurt zusammen! Ein Satz aus der Untersuchung, der nachdenklich macht, lautet: „Die stationäre Fitnessbranche bedient diese Nachfrage mit innovativen Angeboten sowie einem immer dichteren Netz von Anlagen.“ Heißt dies im Umkehrschluss nicht schlicht und ergreifend, dass viele klassische Vereine schlicht den Anschluss an die Moderne verpasst haben. Könnte es sein das Turnvater Jahn schlicht beim Joggen am kalifornischen Muscle Beach verloren gegangen ist.
Prüfung auf Modernität
Wäre es nicht sinnvoll die Angebote der Vereine einfach mal auf Modernität zu prüfen. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder das Schlagwort Digitalisierung. Aber mit der Digitalisierung als Rettung für das Vereinsleben, wie sie in der Studie Vereinssterben in den ländlichen Regionen vorgeschlagen wird, ist es so eine Sache. Ja, eine zeitgemäße Außendarstellung in den sozialen Medien hilft, senkt die Schwelle besonders für Jugendliche. Anderseits hat die Digitalisierung auch eine Jugend entstehen lassen, deren Handynutzung unter streng wissenschaftlicher Betrachtungsweise schlicht einen Suchtcharakter hat.
Sucht und Sozialverhalten
Eine Sucht die natürlich das Sozialverhalten verändert. Eltern wissen genau was hier gemeint ist! Weitere Zweifel an dem vorgeschlagenen Heilsweg könnten durch die Tatsache gemehrt werden, das Auftraggeber der Studie, die Förderinitiative „digital.engagiert“ nicht nur vom Stifterverband sondern auch von Amazon unterstützt wurde.