Umweltpsychologin der Uni Magdeburg übergibt Gutachten an die Bundesregierung: „Angesichts der Tendenz von Menschen zur Vermenschlichung von autonomen Systemen stellen sich drängende gesellschaftliche Fragen“, so Prof. Ellen Matthies, Leiterin des Lehrstuhls Umweltpsychologie der Universität Magdeburg. „Teilweise interagieren wir mit autonomen Systemen, ohne es zu wissen, teilweise werden bereits heute teilautonome Systeme in vulnerablen Bereichen eingesetzt, etwa in der Pflege, bei dementen Patientinnen und Patienten oder im Kinderzimmer. Hier sind Zulassungsstandards unerlässlich, aber eben auch der gesellschaftliche Austausch über Grenzen möglicher Einsatzbereiche.“
„Weltkommission für Nachhaltigkeit im Digitalen Zeitalter“ gefordert
Die Umweltpsychologin Prof. Dr. Ellen Matthies von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat heute gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates Globale Umweltveränderungen WBGU der Bundesregierung das Gutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ übergeben. Ellen Matthies ist seit Dezember 2011 Professorin für Umweltpsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ihr Forschungsinteresse gilt vorrangig dem Bereich der Mensch-Umwelt-Interaktion mit Schwerpunkt auf umweltrelevanten Verhaltensweisen und Entscheidungen (Energienutzung, Autonutzung) sowie theoriegeleiteter Entwicklung und Evaluation von Interventionsmaßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen Konsums.
Das Gutachten beschäftigt sich mit den Folgen der Digitalisierung für globale Nachhaltigkeitsstrategien
Das interdisziplinäre Team der Gutachter mahnt, dass ohne aktive politische Gestaltung der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen werde. Der Beirat warnt vor tiefen gesellschaftlichen Umbrüchen, die mittelfristig mit der Digitalisierung einhergehen. Beispiele seien der absehbare radikale Strukturwandel auf den Arbeitsmärkten, der Ersatz realweltlicher Erfahrungen in virtuellen Räumen, die Wirkungen von Künstlicher Intelligenz auf Bildung, Wissenschaft, Demokratie oder auch die Herausforderung, die Überwachungspotenziale der neuen Technologien demokratisch einzugrenzen. Alle digitalen Veränderungen, so der WBGU, sollten auf das Gemeinwohl der Menschen hin ausgerichtet werden. Schließlich gehe es auch darum, sich auf langfristig mögliche Umbrüche vorzubereiten. So sind z. B. bei der Mensch-Maschine-Interaktion bereits Dheute Risiken für die menschliche Integrität erkennbar.
Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Energie und Informationen schaffen
In dem Gutachten heißt es weiter, dass neue Technologien gezielt und umfassend genutzt werden müssen, um Menschen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Energie und Informationen zu verschaffen. Beispiele seien die Förderung der Energiewende durch den Einsatz intelligenter Energienetze, die Senkung des Fahrzeugaufkommens in Städten durch geteilte Mobilität, die den Besitz eines PKW überflüssig macht und die Nutzung digitaler Technologien für die Kreislaufwirtschaft.
Die zukünftige digitale Welt ist nur schwer abschätzbar
Auch wenn die zukünftige digitale Welt nur schwer abschätzbar ist, sollte Politikgestaltung auf tiefgreifende Veränderungen, wie etwa Umbrüche auf den Arbeitsmärkten oder Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, vorbereitet sein. Dafür müssen Staaten eine starke antizipative Kapazität aufbauen und ein strategisches Bündel von Institutionen, Gesetzen und Maßnahmen schaffen, um die digitalen Kräfte nutzbar zu machen und zugleich einzuhegen. Dafür brauche es vorausschauende Mechanismen wie Technologiefolgenabschätzung, aber auch eine Vernetzung von Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsforschung. Zur Vorbereitung des vorgeschlagenen UN-Gipfels „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ im Jahr 2022 empfiehlt der WBGU die Einsetzung einer „Weltkommission für Nachhaltigkeit im Digitalen Zeitalter“ nach dem Vorbild der „Brundtland-Kommission“.
Zum Hintergrund
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung („Erdgipfel von Rio“) von der Bundesregierung als unabhängiges wissenschaftliches Beratergremium eingerichtet. Seine Aufgabe ist es, globale Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu analysieren und darüber in Gutachten zu berichten, nationale und internationale Forschung auf dem Gebiet des Globalen Wandels auszuwerten, im Sinne von Frühwarnung auf neue Problemfelder hinzuweisen, Forschungsdefizite aufzuzeigen und Impulse für die Wissenschaft zu geben. Die neun Mitglieder des WBGU werden vom Bundeskabinett auf Vorschlag der Ministerien für Bildung und Forschung (BMBF) und Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) für eine Dauer von vier Jahren berufen. „Von der Berufung in den Beirat fühle ich mich geehrt und freue mich nicht nur für mein Fach, die Umweltpsychologie, sondern auch für meine Universität, die das so wichtige Thema Umwelt und Nachhaltige Entwicklung von Beginn ihrer Gründung vor fünfundzwanzig Jahren beständig in Forschung und Lehre ausgebaut hat“, sagt Prof. Dr. Ellen Matthies. „Der WBGU hat seit der Riokonferenz 1992 mit Weitblick und Nachdrücklichkeit drängende Themen der globalen Umweltkrise aufgegriffen und in die öffentliche wissenschaftliche Debatte gebracht. Heute, fast 30 Jahre nach Rio wird nun der mächtige Trend der Digitalisierung in den Blick genommen und auf Potenziale und Risiken für die globale Entwicklung abgeklopft.“
Mehr Informationen zur Umweltpsychologie an der Universität Magdeburg unter www.ipsy.ovgu.de
Mehr Informationen zum WBGU und das vollständige Gutachten unter www.wbgu.de