Egal, ob einzelne Auenlandschaften oder ganze Nationalparks: Der Erfolg von Renaturierungsprojekten hängt nicht nur davon ab, ob einzelne Pflanzen- oder Tierarten wieder in einem Gebiet angesiedelt werden. Wie ein internationales Forscherteam unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig zeigt, geht es vielmehr darum, dem geschädigten Ökosystem zu helfen, sich selbst zu regenerieren und zu erhalten. In der aktuellen Ausgabe von „Science“ beschreiben sie, wie Rewilding-Maßnahmen besser geplant und umgesetzt werden können – und welche Vorteile sich daraus für den Menschen ergeben.
Der Bau von Städten, Straßen oder Fabriken sowie die intensive Landwirtschaft haben die Natur weltweit stark in Mitleidenschaft gezogen. In der Folge wurden auch komplette Ökosysteme zerstört, wodurch die Artenvielfalt kontinuierlich gesunken ist. „Viele Ökosysteme sind deshalb heute nicht mehr in der Lage, wichtige Aufgaben, wie den Hochwasserschutz, zu erfüllen“, sagt Prof. Dr. Henrique Pereira von MLU und iDiv.
Beim Rewilding richtet man den Blick auf das Ökosystem als Ganzes
Seit einigen Jahrzehnten gibt es weltweit Projekte, die darauf abzielen, bestimmte Regionen wieder naturnaher zu gestalten. Ein bekannter Ansatz ist dabei das sogenannte Rewilding. „Beim Rewilding richtet man den Blick auf das Ökosystem als Ganzes und versucht durch gezielte Maßnahmen, seine Funktionalität wiederherzustellen. Ziel ist ein Ökosystem, das sich auf lange Sicht weitgehend ohne menschliche Hilfe regeneriert und selbst erhält“, erklärt Erstautorin Andrea Perino, die in Pereiras Arbeitsgruppe an ihrer Promotion arbeitet. Gleichzeitig diene das Rewilding auch dazu, den Menschen den ästhetischen und ideellen Wert der Natur zugänglich zu machen.
Ein prominentes Beispiel für ein erfolgreiches Rewilding-Projekt in Deutschland ist das Oder-Delta, eine Region an der Ostseeküste zwischen Deutschland und Polen am Stettiner Haff. Hier leben zahlreiche Tiere, zum Beispiel Seeadler, Wisente und Biber in freier Wildbahn. In dem Gebiet hat sich in den letzten Jahren eine lebendige Naturtourismus-Industrie entwickelt. „Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Rewilding Vorteile für die Umwelt und die Gesellschaft gleichzeitig entwickeln kann“, so Perino weiter.
In ihrem „Science“-Artikel stellen die Forscher eine Art Blaupause vor, wie Rewilding-Projekte geplant und durchgeführt werden können. Dabei fordern sie vor allem einen Perspektivwechsel ein: Es gebe nicht das eine ideale Ökosystem, das man durch bestimmte Maßnahmen herstellen könne. Stattdessen kommt es viel mehr darauf an, die Funktionen des jeweiligen Ökosystems zu betrachten, die Störungen in diesem System zu analysieren und daraus geeignete Maßnahmen abzuleiten, die die gestörten Prozesse wiederherstellten und gleichzeitig auf eine Verringerung menschlicher Eingriffe abzielen. In einer Auenlandschaft könnte man das zum Beispiel dadurch erreichen, dass man nicht mehr benötigte Dämme entfernt und so zumindest einen Teil der Landschaft wieder verwässere. Dadurch entsteht womöglich wieder ein Lebensraum für Tiere und Pflanzen, die zuvor durch den Menschen vertrieben worden waren.
Wichtig sei dabei, immer die geografischen und auch die gesellschaftlichen Möglichkeiten zu berücksichtigen. „Beim Rewilding muss es auch immer darum gehen, die Bevölkerung vor Ort mit in die Projekte einzubeziehen“, erklärt Perino. Ansonsten hätten die Projekte keine Chance auf Erfolg. Es müsse also auch immer einen Kompromiss zwischen dem theoretisch Machbaren und dem tatsächlich Umsetzbaren geben. Auch sei nicht jede Region für alle Rewilding-Maßnahmen geeignet: „Es geht nicht darum, alle Aktionen auf eine bestimmte Zielvorstellung eines idealen Ökosystems auszurichten. Ökosysteme sind dynamisch und deshalb müssen es auch die Maßnahmen sein.“