Rückkehr der Riesen

(c) Rustam Maharramov / WWF

Leise schnaubend trottet der zottelige Riese durch das hohe Gras und bewegt sich trittsicher auf seine Herde zu – es ziehen wieder Wisente durch die abgelegenen Gegenden des Kaukasus. Doch das ist keine Selbstverständlichkeit: Europas größtes Landsäugetier galt seit über 90 Jahren in der Natur als ausgestorben. Der Tierpark Berlin setzt sich für die Rückkehr der Wisente ein und wildert auch in diesem Jahr wieder gemeinsam mit dem WWF Deutschland Wisente aus.

Die größten Landsäugetiere Europas: Die Wisente sind die etwas kleineren europäischen Vettern der amerikanischen Bisons. Dennoch sind sie die größten Landsäugetiere Europas. Große Männchen werden bis zu einer Tonne schwer. In historischer Zeit umfasste ihr Verbreitungsgebiet ganz Mittel-, West- und Südosteuropa. Im Osten waren sie bis zur Wolga und zum Kaukasus verbreitet. Lebensraumverlust und Landschaftszerschneidung für den Ackerbau, Waldabholzungen, sowie uneingeschränkte Jagd und Wilderei waren die Hauptursachen für die Bestandsabnahmen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in der Wildnis nur noch zwei Wisentpopulationen im polnischen Urwald von Bialowieza und im Westkaukasus. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges starben sie dort um 1920 herum ebenfalls aus. Doch zum Glück hatten einige Wisente in der Obhut zoologischer Gärten überlebt. Nach Jahren planmäßiger Züchtung wurden deren Nachfahren ab 1952 wieder erfolgreich in Bialowieza ausgewildert. Das Ziel für den Wisentschutz ist die Etablierung langfristig überlebensfähiger Wisentbestände in der Wildnis. Der WWF begann 1996, gemeinsam mit mehreren europäischen Zoos und Tierparks, ein weiteres Projekt zur Wiederansiedlung nachgezüchteter Wisente in ihrer angestammten Heimat. Ziel ist es, die Tiere vor allem in den Waldgebieten von Orel und Bryansk südwestlich von Moskau wiederanzusiedeln. Ab einer Herdengröße von 500 Tieren rückt das langfristige Überleben der Art in freier Wildbahn in greifbare Nähe. Die Jagd auf sie ist heute überall weitgehend verboten.

Nachdem Zoo und Tierpark Berlin bereits im vergangenen Jahr mehrere Wisente in Rumänien auswilderten, verließen am 29. Mai 2019 vier weitere Tiere Berlin in Richtung Aserbaidschan. Zwei der vier Wisente lebten bereits mehrere Jahre im Tierpark, die anderen beiden kamen im Rahmen des Projekts vor einigen Wochen aus den tschechischen Zoos Prag und Pilsen vorbereitend dazu.

Foto: WWF

„Bevor die Tiere ihre Heimreise angetreten haben, wurden sie mit modernen GPS bzw. VHF-Halsbändern ausgestattet. So wird es möglich sein ihren Aufenthaltsort nachzuvollziehen und sie auf ihrem neuen Lebensweg zu begleiten“, erklärt der Zoologische Leiter des Tierparks Christian Kern. Noch in diesem Sommer soll die kleine Herde zusammen mit anderen Wisenten aus europäischen Einrichtungen im Shahdag-Nationalpark, am Fuße des großen Kaukasus-Gebirges, ausgewildert werden. Bis dahin werden sich die Wildrinder in einem umzäunten Areal an ihre neue Heimat gewöhnen. „Die Wiederansiedlung von Tieren, deren Art im natürlichen Lebensraum vom Aussterben bedroht oder gar bereits ausgestorben ist, verdeutlicht eindrucksvoll die Bedeutung von Zoos in der heutigen Zeit“, verkündet Zoo- und Tierpark-Direktor Dr. Andreas Knieriem.

Wisent © Ola Jennersten / WWF Schweden

Die Organisation, Koordination und wissenschaftliche Betreuung der Wisent-Auswilderung vor Ort übernimmt der WWF. „Die Wiederansiedlung bringt die Wisente zurück in ihren angestammten Lebensraum. Die großen Pflanzenfresser spielen eine wichtige Rolle bei ökologischen Prozessen und sorgen zum Beispiel dafür, dass in Wäldern Flächen offengehalten werden, die von anderen Tier- und Pflanzenarten besiedelt werden können“, erklärt Kaukasus-Referent des WWF Deutschland Aurel Heidelberg. „Die Kooperation zwischen dem Tierpark Berlin und dem WWF leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt im Kaukasus.“ Das gesamte Projekt wird im Rahmen eines grenzüberschreitenden Naturschutzprogramms der deutschen Regierung über die KfW Entwicklungsbank finanziert und wurde vom WWF, der EAZA (europäischer Verband der Zoos und Aquarien) sowie nationalen Partnern vor Ort ins Leben gerufen.

Hintergrund: Der Wisent wurde 1927 in der Natur durch den Menschen gänzlich ausgerottet, als die letzten Wisente im Kaukasus erschossen wurden. Nur Dank etwa 70 Tieren in der Obhut zoologischer Einrichtungen, konnte diese Tierart vor dem endgültigen Aussterben gerettet werden. Um das weitere Überleben der Art zu sichern, wurde im August 1923 durch die Initiative europäischer Zoodirektoren und Wissenschaftler die „Internationale Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents“ im Zoo Berlin gegründet. Diese gemeinsamen Bemühungen sind somit der Vorläufer der heutigen Erhaltungszuchtprogramme für viele bedrohte Tierarten. Bereits seit 1872 zählen Wisente zum Tierbestand des Zoo Berlin. Auch der Tierpark trägt seit seiner Eröffnung 1955 beachtlich zur Erhaltungszucht der Wisente bei. Bis heute wurden in den Zoologischen Gärten Berlin über 200 Wisente geboren. Der Wisent gilt laut der Weltnaturschutzunion (IUCN) als gefährdete Tierart.