In seinem Vortrag betonte Prof. Dr. Fritz Vahrenholt, Alleinvorstand der Deutschen Wildtier Stiftung, die Schlüsselrolle der Agrarpolitik. „Wir müssen endlich weg von Subventionen per Gießkanne. Der Artenschutz muss Produktionsziel werden, das den Landwirten über die Agrarpolitik vergütet wird“, lautete eine seiner Forderungen. Und weiter: „Das Wort Biogas ist eine schlimme Vertuschung: An Biogas ist wirklich nichts bio!“ Für den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Wildtier Stiftung müssen jetzt agrarpolitisch die Weichen für die Förderperiode ab 2021 gestellt werden.
Lesen hier die Rede von Prof. Dr. Fritz Vahrenholt, Alleinvorstand Deutsche Wildtier Stiftung:
Das Insektensterben ist in der Politik angekommen. Zumindest in der Koalitionsvereinbarung. Dort heißt es u.a.: „Wir werden das Insektensterben umfassend bekämpfen. Mit einem „Aktionsprogramm Insektenschutz“ wollen wir die Lebensbedingungen für Insekten verbessern.“ Und an anderer Stelle schon fast emotional: „Dabei liegt uns der Schutz der Bienen besonders am Herzen. Wir legen diese Strategien bis Mitte der Legislaturperiode vor.“
Dass ein Rückgang von Insekten weitreichende Folgen für ihre Funktion im gesamten Ökosystem hat, liegt auf der Hand. Insekten bestäuben Pflanzen und sind eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel und Säugetiere. Noch wissen wir wenig über Art und Ausmaß des Rückgangs, es gibt wenig belastbare Zeitreihen. Die Deutsche Wildtier Stiftung hat eine Studie bei Prof. Reichholf in Auftrag gegeben über den Rückgang der Schmetterlinge. Denn die Situation der Schmetterlinge ist über längere Zeitreihen als bedrohlich belegt. Über 50% der Tagfalterarten stehen heute auf der Roten Liste. Reichholf konnte den Rückgang der Arten als auch der Gesamtzahl der Schmetterlinge am Beispiel einer bayerischen Untersuchungsregion seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts dokumentieren. Besonders auffällig: Während im Wald und im urbanen Raum die Veränderungen gering sind, ist die Abnahme der Falter in der Feldflur dramatisch.
Bei der Ursachenfindung kam die Studie zu differenzierten Analysen, anders als bei politischen Wunschvorstellungen, wie etwa Insektizide seien vor allem Schuld oder aber der Klimawandel. Aber: der Aufwand an Insektiziden ist seit 20 Jahren nicht gestiegen und eine Erwärmung sollte den wärmeliebenden Schmetterlingen eher helfen.
Unstrittig ist, dass der Landwirtschaft eine Schlüsselrolle zukommt. Fast 50% des Ackerlandes werden heute mit zwei Kulturen bestellt: Winterweizen und Mais, im Jahr 2000 lag dieser Wert noch bei 36%. Eine dominante Rolle auf dem Acker nimmt der Mais ein. Sein Anteil stieg dramatisch mit dem Biogas-Boom. Über 1 Million ha Mais wandert heute in Biogasanlagen. Das Wort Bio-Gas ist eine schlimme Vertuschung. Nichts ist bio an Biogas. Diese Förderung muss beendet werden. Die Deckelung des Einsatz von Mais bei neueren Anlagen reicht nicht. Leider setzt die Koalitionsvereinbarung widersprüchliche Signale: „Den Bestand von Bioenergieanlagen wollen wir im Zuge der Ausschreibungen weiterentwickeln. Die Reststoffverwertung werden wir verstärken und den Einsatz von Blühpflanzen erhöhen“. Die Deutsche Wildtier Stiftung konnte in praktischen Großversuchen zeigen, dass mehrjährige Wildpflanzen sich als Biogassubstrat gut eignen. Schmetterlings- und Wildbienenfreundliche Blühflächen statt Mais. Nur mit Null Mais für Biogas sind solche Anlagen zu verantworten.
Der Hebel, um die Landwirtschaft insektenfreundlicher zu machen, ist die EU-Agrarpolitik. 5% ökologische Vorrangflächen sind heute im Ackerbau Pflicht. 5% Brachen oder Blühflächen wären prima – doch durch gezielte Lobbyarbeit des Bauernverbandes wurden auch Zwischenfrüchte und Leguminosen als ökologische Vorrangflächen zugelassen. Logisch, dass Landwirte auf diese Variante aufgesprungen sind. So ist die Idee der ökologischen Vorrangflächen ins Leere gelaufen. Nur noch rund 200 000 ha, das sind knapp 1,5% der Fläche, sind wirklich ökologische Flächen. Da muss man sich nicht wundern, wenn es Schmetterling und Co. schlechter geht.
Aber auch der Verlust von Grünland schlägt zu Buche. 600 000 ha Grünland sind seit 1990 verlorengegangen. Und durch intensive Nutzung hat eine Verarmung der Gräservielfalt eingesetzt. Verlorengegangen sind die für den Naturschutz so wichtigen Magerrasen und Feuchtwiesen. Deutschland erstickt im Stickstoff, nicht der aus den Auspuffgasen – der geht deutlich zurück. Überdüngung führt immer noch zu einem Stickstoffüberschuss von rd. 90 kg/ ha. 62% trägt der Pflanzenbau, 33% die Tierproduktion und 5% Verkehr, Industrie und Haushalte bei. Schnell wachsendes, intensiv gedüngtes Grünland führt zu einem feuchten und kühlen Mikroklima. Schmetterlinge und Wildbienen bevorzugen aber trockene warme Bedingungen.
Die Agrarpolitik muss endlich weg von Subventionen per Gießkanne. Der Artenschutz muss Produktionsziel werden, das den Landwirten über die Agrarpolitik vergütet wird. Prämien für gesellschaftlich nachgefragte Leistungen statt Subventionen für eine aus Umweltsicht fragwürdige Landwirtschaft. Agrarpolitisch müssen jetzt die Weichen gestellt werden für die Förderperiode ab 2021.
Diese politischen Anstrengungen müssen flankiert werden von Forschung und technischem Fortschritt. Wenn Pestizideinsatz, dann müssen die Wirkstoffe zukünftig selektiver wirken; wenn Stickstoffdüngung, dann muss sie zukünftig gezielt auf Bodentyp und Pflanzenbedarf abgestimmt werden. Und wir brauchen mehr Wissen, über die komplexen Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und Insektenwelt.
Zum Schluss noch ein Wort zum Ökologischen Landbau, den auch wir auf unserem Gut Klepelshagen in Mecklenburg-Vorpommern betreiben. Natürlich hilft der Ökologische Landbau den Insekten: Geringere Düngung, keine Pestizide, weite Fruchtfolgen, der hohe Kleegrasanteil, die Pflicht zur Weidehaltung – all dies erhöht die Qualität ökologisch bewirtschafteter Flächen für Insekten. Doch noch immer hat der ökologische Landbau nur rund 6,5% der landwirtschaftlich genutzten Fläche – das reicht nicht aus, den Artenschwund zu stoppen. 20% würde vielen gefährdeten Arten helfen.
In Klepelshagen bewirtschaften wir rund 1.300 ha Agrarfläche nicht nur nach ökologischen Kriterien, sondern darüber hinaus auch besonders wildtierfreundlich, was sich u.a. in einem späten Mahdtermin auf dem Grünland niederschlägt. 2016 haben wir die Wildbienenfauna in Klepelshagen erfassen lassen. Der Gutachter, Herr Dr. Schmidt-Egger ist hier heute auch unter uns. 109 Wildbienenarten konnte er nachweisen, davon 21 Rote Liste Arten. Für den, wegen seiner naturräumlichen und klimatischen Bedingungen eher artenärmeren Nordosten, ein für uns besonders erfreulicher Befund, der deutlich über Ergebnissen von konventionell bewirtschafteten Betrieben liegt. Sie sehen: die Wildbienen sind uns besonders an Herz gewachsen – nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in den Städten. In Hamburg und nun mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Umwelt auch hier in Berlin gestalten und schaffen wir Wildbienenlebensräume. Die Betonung liegt dabei auf WILDbienen, denn sie sind gefährdet, nicht die Honigbiene! Sie ist ein Nutztier des Menschen und kann sogar zur Konkurrenz für ihre wilden Verwandten werden.
Wir brauchen mehr wildtierfreundliche Landwirtschaft, wir brauchen mehr Vielfalt in unseren Landschaften durch Hecken, Raine, Tümpel und Feldgehölze, wir müssen Sonderbiotope wie Heiden, Magerrasen und Feuchtwiesen bewahren und wir brauchen mehr Naturerbeflächen und damit mehr Wildnis in Deutschland – all dies brauchen wir, um der faszinierenden und so bedeutsamen Welt der Insekten eine Zukunft zu geben.
Dass Sie, sehr verehrte Frau Bundesministerin Schulze zu diesem Abend gekommen sind, zeigt uns, dass wir eine Verbündete haben, eine, die den Naturschutz, die wildlebenden Tiere und Pflanzen, bis hin zu Schmetterlingen und Wildbienen, Libellen und Laufkäfern wieder zum Markenkern der Umweltpolitik in Deutschland werden lässt.