Der Wandel von Saatgut-Sammlungen zu bio-digitalen Ressourcenzentren

Akzessionen in der bundeszentralen Ex-situ-Genbank für landwirtschaftliche und gartenbauliche Kulturpflanzen in Gatersleben. Regina Devrient / IPK Gatersleben

Wissenschaftler des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung haben die bevorstehenden Herausforderungen und Möglichkeiten für die Zukunft von Genbanken betrachtet. Sie betonen, dass die Entwicklung der Genbanken zu bio-digitalen Ressourcenzentren, welche Saatgut sowie die molekularen Daten der eingelagerten Proben sammeln, gleichermaßen von großem Vorteil für Wissenschaftler, Pflanzenzüchter und die gesamte Gesellschaft wäre.

Mit einem Staudengarten, wilden Ecken und hübschen Frühblühern können wir Insekten in unseren Gärten einen Lebensraum bieten. – Foto: Helge May

„Die Erhaltung der Pflanzenbiodiversität“, so lautet die Mission von Pflanzen-Genbanken. Weltweit gibt es ca. 1.750 solcher Sammlungen. Bislang werden in ihnen vornehmlich Saatgutmuster, und oftmals zusätzliche phänotypische oder genetische Information, von insgesamt ca. 7.4 Millionen Pflanzenarten aufbewahrt. Es ist zu erwarten, dass die Anzahl der gut charakterisierten Akzessionen und die Menge an detaillierten Informationen, die neben dem biologischen Material aufbewahrt werden muss, mit dem erleichterten Zugang zu besseren, schnelleren und billigeren Sequenzierungs- und anderen „Omics“-Technologien, rasant und kontinuierlich ansteigen wird.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind Landrassen unserer Kulturpflanzen in vielen Regionen der Welt nach und nach durch modern gezüchtete Pflanzensorten ersetzt wurden, sodass die Kulturpflanzendiversität der Vergangenheit zu verschwinden droht. Um diesem Trend zu begegnen, wurden die ersten Genbanken mit der Aufgabe gegründet, diese pflanzengenetischen Ressourcen zu erhalten und den Verlust von genetischer Diversität und Biodiversität vorzubeugen. Heutzutage fungieren Genbanken als Archive, um pflanzengenetische Informationen und das entsprechende Pflanzenmaterial als wertvolle Ressourcen frei zugänglich zu machen. So können Wissenschaftler, Pflanzenzüchter und auch interessierte Laien aus aller Welt die Daten, welche in den mehr als 1.750 Genbanken weltweit gelagert werden, anfordern und für Forschung, Pflanzenzüchtung oder eigene Studien nutzen.

Biodiversität – Biodiversität – Natur und Landschaft Foto: Kanton Graubünden

Die Genbank des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben hält zurzeit eine der weltweit umfassendsten Sammlungen von Kulturpflanzen und deren wild-verwandter Arten. So werden in Gatersleben 151.002 Akzessionen aus 2.933 Arten und 776 Gattungen aufbewahrt. Der Großteil der pflanzlichen Muster wird als getrocknetes Saatgut bei -18 °C gelagert. Hingegen werden Akzessionen, welche vegetativ vermehrt werden, dauerhaft im Feld (ex situ) kultiviert oder in flüssigem Stickstoff bei -196 °C konserviert. Auf dem Online-Portal der IPK Genbank können Interessierte die gelagerten Pflanzenmuster und deren zugehörige „Passdaten“ sichten und durchsuchen sowie Pflanzenmaterial in einem nichtkommerziellen Umfang anfragen. In einem neuen Perspektivenpapier betrachten Dr. Martin Mascher und Kollegen am IPK nun die Herausforderungen für Genbanken, aber auch die Chancen für deren Weiterentwicklung.


Landnutzung in Kulturlandschaften ist vom Klimawandel beeinflusst – und umgekehrt. Die Entwicklung der natürlichen Biodiversität ist von beiden Faktoren abhängig. (© Oliver Mohr/pixelio )

Zwei der drei wichtigsten Herausforderungen, welche die Wissenschaftler identifizierten, entstehen aus Konsequenzen der Verwaltung zehntausender Saatgutproben. So stehen Genbanken vor der Problematik, die Identität der verschiedenen Akzessionen zu verfolgen sowie Duplikationen innerhalb und zwischen verschiedenen Genbanken herauszufiltern und zu vermeiden. Des Weiteren bringt die Praxis der ex situ Konservierung inhärente Nachteile mit sich, die zu differenziellem Überleben und dadurch zu genetischer Drift sowie Erosion während der Lagerung führen können, und somit die Erhaltung der genetischen Integrität von Akzessionen bedroht. Ein zunehmend durch die Anwendung von „Genomik“ getriebener Arbeitsansatz in Genbanken würde jedoch bei der Bewältigung dieser Herausforderungen helfen, wie in dem von den Autoren geschilderten Beispiel der „Passdaten“ von Genbank-Mustern exemplarisch gezeigt.

Diese „Passdaten“ beinhalten üblicherweise die Taxonomie und Herkunft der Akzessionen. Durch das Hinzufügen von Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) als „Fingerabdruck“ der Akzessionen, könnten diese genotypischen Informationen als molekulare Passdaten helfen, die traditionellen Passeinträge zu komplementieren oder auch zu korrigieren. Zudem würde die zusätzliche Information zur Identifizierung von Duplikaten beitragen und die Qualität und Integrität der Sammlungen verbessern. Die Wissenschaftler beschreiben, dass es durch die Wende in Richtung Bioinformatik und Big-Data-Analytik in den Pflanzenwissenschaften nun die Möglichkeit gibt, traditionelle Genbanken, welche sich auf den Erhalt von Saatgutsammlungen fokussieren, in bio-digitale Ressourcenzentren umzuwandeln und somit die Lagerung von Saatgut mit deren zugehöriger genomischer und molekularer Charakterisierung zu kombinieren.

Biotech-Campus Gatersleben Foto: Bicom

Noch erlaubt das aktuelle Finanzierungsszenario von Genbanken keine systematische Generierung von molekularen Passdaten für jede eingelagerte Pflanzenprobe. Jedoch wurden die ersten Schritte in Richtung einer Hochdurchsatz-Genotypisierung ganzer Sammlungen schon absolviert. Tatsächlich charakterisierte ein vom IPK geführtes internationales Forschungskonsortium in einer Fallstudie bereits eine globale Sammlung von mehr als 22.000 Gerste-Mustern auf molekularer Ebene durch Genotyping-by-Sequencing.