Grünflächen in der Innenstadt können das Wohlbefinden im Alltag von Stadtbewohnerinnen und -bewohnern unmittelbar verbessern. Das zeigt eine aktuelle interdisziplinäre Studie, an der auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beteiligt war. Demnach profitieren von den Grünflächen vor allem Menschen, bei denen die Gehirnkapazität, negative Gefühle selbst zu regulieren, vermindert ist.
Nicht nur bei sommerlicher Hitze tut die Nähe von Grünanlagen mit Bäumen, Sträuchern, Rasenflächen und Blumenbeeten gut – warum das so ist, haben Forscherinnen und Forscher am Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) des KIT, am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim und an der Universität Heidelberg nun auf neuronaler Ebene untersucht. „Die Studie bedurfte eines interdisziplinären Ansatzes, der Methoden aus Epidemiologie, Psychologie, Neuroimaging und Geoinformatik verbindet“, erklärt Professor Ulrich Ebner-Priemer, stellvertretender Leiter des IfSS des KIT und Leiter des Mental mHealth Lab, das auf Ambulantes Assessment spezialisiert ist, das heißt auf die Erfassung menschlichen Erlebens und Verhaltens im Alltag.
In der am ZI Mannheim koordinierten Untersuchung wurden zunächst 33 Stadtbewohner im Alter von 18 bis 28 Jahren gebeten, mit speziell ausgestatteten Smartphones innerhalb einer Woche rund neun Mal pro Tag ihre Stimmung zu bewerten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gingen währenddessen wie gewohnt ihrem Alltag nach. Der Anteil der Grünflächen in der jeweiligen Umgebung wurde anschließend anhand hochaufgelöster Luftaufnahmen und geoinformatischer Methoden bestimmt. Die Teilnehmer zeigten in Situationen, in denen sie von mehr Grünflächen in der Stadt umgeben waren, ein höheres Wohlbefinden. In einem zweiten Schritt wurden 52 weitere junge Erwachsene gebeten, auf die gleiche Weise ihre Stimmung im Alltag zu bewerten. Diese Teilnehmer wurden nach der siebentägigen Erhebungsphase zusätzlich einer funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) unterzogen. Mit dieser Methode lassen sich bestimmte Hirnfunktionen darstellen. Die Ergebnisse in der zweiten Gruppe stimmten mit denen des ersten Durchgangs überein.
Das Mental mHealth Lab des KIT war verantwortlich für das Erfassen und Auswerten der Aufenthaltsorte der Probandinnen und Probanden sowie das wiederholte Erfassen des Wohlbefindens auf den Smartphones in sogenannten GPS-triggered Electronic Diaries. Ebenso erfasste das Team weitere Sensordaten zur körperlichen Aktivität der Probanden im Alltag sowie Wetterdaten, zudem übernahm es die Auswertung dieser komplexen Daten mit statistischen Mehrebenenmodellen. „Unser Methoden-Setup ermöglichte es, festzustellen, ob momentane innerstädtische Grünflächenexposition das Wohlbefinden der Probanden direkt verändert“, erläutert Markus Reichert vom Mental mHealth Lab, zusammen mit Dr. Urs Braun und Professorin Heike Tost vom ZI einer der Erstautoren der Studie. „Diese sogenannte Within-Subject-Frage wurde in dieser Form erstmals untersucht.“
Stadtplanung und Gesundheitsförderung
Ergebnisse der Studie, die nun in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience publiziert wurden, sind: Je höher der momentane Anteil an Grünfläche in der Umgebung der Stadtbewohner, desto größer war das Wohlbefinden. Bei Menschen, die in ihrem Alltag besonders positiv auf Grünflächen reagierten, beobachteten die Forscherinnen und Forscher eine verminderte Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Cortex. Diese Hirnregion übt eine zentrale Kontrollfunktion beim Verarbeiten negativer Emotionen und stressiger Umwelterfahrungen aus. „Diese Ergebnisse legen nahe, dass Grünflächen besonders für solche Menschen wichtig sind, deren Kapazität vermindert ist, negative Emotionen selbst zu regulieren“, sagt Professor Andreas Meyer-Lindenberg, Vorstandsvorsitzender des ZI und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.
„Die Ergebnisse der Studie sind für die Stadtplanung unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung äußerst interessant“, ergänzt Markus Reichert. „Entsprechend gut über eine Stadt verteilte Grünflächen könnten ein erhebliches Potenzial zur Prävention psychischer Erkrankungen entfalten.“
Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass in der Stadt aufgewachsene und gegenwärtig in der Stadt lebende Menschen anders auf Stress reagieren als Landbewohner und ein deutlich höheres Risiko haben, an Depressionen, Schizophrenie oder Angststörungen zu erkranken. Diese Feststellung wiegt umso schwerer, als die Urbanisierung rasch voranschreitet: Nach Angaben der Vereinten Nationen wohnen schon jetzt mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Im Jahr 2050 werden schätzungsweise sogar rund zwei Drittel aller Menschen in Städten leben.