Regionalität und Lebensmittel Teil 2.
Auf der Suche nach regionaler Identität ist ein Blick in den Süden der Republik vielversprechend. Das Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat lässt hierzu wissen: „Die Stärkung regionaler Identität trägt zur Erfüllung des Verfassungsauftrags bei, gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern zu fördern und zu sichern: Eine hohe Identifikation und ein starkes Regionalbewusstsein sind Triebfedern für den kulturellen Reichtum Bayerns. Sie erhöhen aber auch die räumliche Wettbewerbsfähigkeit der Regionen und tragen so zum wirtschaftlichen Erfolg Bayerns bei“.
Weiter wird dort ausführt: „Ziel ist es dabei, die Eigeninitiative der Regionen zu fördern und geeignete Rahmenbedingungen für Ideen aus den Regionen und für eine eigenständige Regionalentwicklung zu schaffen. Die Abgrenzung der „Regionen“ und die Entscheidung, mit welchen Themen und Projektmaßnahmen sie ihre regionale Identität stärken wollen, verbleibt nach dem Bottom-up-Prinzip in den Händen der regionalen Akteure.“
Regionale Bindung findet auch im Unterbewußtsein statt
Trotz des überraschenden Anglizismus eine deutliche und strukturierte Aussage, die die Stellschrauben der Regionalität benennt. Der Regionalforscher Karl Martin Born von der Universität Vechta Regionalentwicklung macht im Gespräch mit „Die Linde“ deutlich, dass regionale Identität, regionale Bindung keine Prozesse seien, die vordergründig stattfänden, sondern eher Handlungen, die einerseits im Unterbewusstsein abliefen und andererseits auch sehr stark biografisch geprägt seien. Konkret benennt er dabei:
„Die Übernahme von Verantwortung für das Dorf oder die Region, das Engagement in Vereinen und natürlich auch die Nachfrage nach regionalen Produkten – beispielsweise das Einkaufen auf dem Wochenmarkt und nicht beim Discounter., so Born weiter.
Ob und wie weit dieses Zugreifen auf regionale Produkte auf irgendeine Art und Weise damit verbunden sei, dass man irgendwie die Region und vor allem die Produzenten von irgendwelchen Nahrungsmitteln unterstützen möchte, sei nicht ganz einfach zu beantworten.
Regionaler Konsum und Wertschöpfungsketten
„Denn die Selbstvergewisserung bedeutet ja nicht automatisch, dass man durch den regionalen Konsum eben auch die in der Regionalentwicklung heiß diskutierten regionalen Wertschöpfungsketten unterstützen möchte. Das kann gut ineinandergreifen, muss aber nicht automatisch der Fall sein“, sagt Prof. Born. Wenn man auf regionale Produkte zugreife, habe dies auch mit einer geographisch bezogenen Selbstvergewisserung zu tun hat, verdeutlicht Born und erklärt weiter: „Man versucht sich an einer Stelle über sein alltägliches Handeln, über den alltäglichen Konsum, mit einer spezifischen Lebensumwelt zu identifizieren.
Regionalität ist sehr häufig nur ein Marketinginstrument
Wenn man jemand ist, der aus dem Oldenburger Münsterland kommt oder sich zu Ostfriesland zugehörig fühlt, dann ist es ganz selbstverständlich, dass man ostfriesischen Tee trinkt oder entsprechende Fleischprodukte konsumiert. Also eine Selbstvergewisserung seiner eigenen Zugehörigkeit, damit seiner eigenen Identität“. Regionalität würde von den Menschen häufig mit einer speziellen Qualität verbunden. Beispielsweise assoziierten die Verbraucher mit dem Label „Regional“ automatisch höhere Erzeugerqualität, mehr Tierwohl und Tiergerechtigkeit oder eben auch weniger Nutzung von Pestiziden, Fungiziden. „Es ist aber aus meiner Sicht nicht deutlich, in wie weit das tatsächlich ist, da Regionalität sehr häufig ein Marketinginstrument ist“, ergänzt Born.
Regional Produkte können auch regionale Strukturen erhalten
„Regionale Produkte sind kein Selbstzweck!“ sagte uns Rainer Hesse, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung im Landkreis Nienburg. Aus Sicht der Wirtschaftsförderung seien sie sehr wichtig, weil sie auch eine Wirkung auf die Identität einer Region hätten. „Viele können sich damit identifizieren, weil sie sagen, ich komme aus dem Landkreis, wo der Spargel herkommt – als dritt bekannteste Anbaugebiet in Deutschland. Und sie schaffen natürlich auch eine lokale Wertschöpfung. Sie erhalten dörfliche Strukturen. Sie tragen dazu bei, dass Arbeitsplätze in Dörfern erhalten und geschaffen werden. Sie schaffen auch eine Existenz für ganze Familien und sie tragen dazu bei, dass die bäuerlichen Strukturen erhalten bleiben und die sich auch neu ausrichten können. Hin zu auch einem im besten Fall umweltverträglichen Landbau mit kurzen Wegen und hoher Wertschöpfung.“, so der Wirtschaftsförderer Hesse weiter.
Der Kauf regionaler Produkte befriedigt ein Bedürfnis nach Heimat
Gesine Tuitjer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Thünen Institut Braunschweig macht im Gespräch mit unserer Redaktion deutlich: „Bei jeder regionalen Marke ist die Frage, wie hoch ist der Anteil der regionalen Wertschöpfung ist oder ob es nur eine Marketingstrategie handelt.“ Und hier müsse man sehr genau und kritisch hinschauen, denn viele Menschen befriedigten mit dem Kauf regionaler Produkte ein Bedürfnis nach Heimat und gingen darüber hinaus auch von einer sozialgerechten und ökologischen Produktion der regionalen Produkte aus, so die Braunschweiger Wissenschaftlerin weiter.Und kritisch warnt sie vor den möglichen Schattenseiten eines übertriebenen Regionalismus: „Aber nichtsdestotrotz lohnt es sich, darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn jeder nur noch Produkte aus seinem eigenen Landkreis kauft. Also die Vorstellung: Die Einwohner von Landkreis A kaufen nicht den Käse B, denn der ist ja von den Anderen gemacht worden. Das wären bedenkliche Auswirkungen. In die Richtung will man nicht gehen!“, so die Expertin. Stadt-Land-Beziehungen sind zum Beispiel wichtig, wie Gesine Tuitjer aus ihrer Arbeit zu berichten weiß: „In einem unserer Projekt gibt es einige Firmen, Kleinstunternehmer, die lokale Eiweißfrüchte herstellen, die vor Ort rösten, mahlen und daraus Kaffee machen. Allerdings wird der Kaffee nicht nur vor Ort gekauft. Im Gegenteil. Touristen sind ganz wichtige Konsumenten!“
Aus Regionalität darf kein Regionalismus werden
Die Produktion könne lokal sein, aber gerade für Nischenprodukte brauche es kaufkräftige Kunden aus dem größeren regionalen Einzugsgebiet. Ihre Warnung vor einer falsch verstandenen Regionalität bringt die Expertin für Wertschöpfungsketten in den ländlichen Räumen brillant auf den Punkt: „Wenn sie jetzt zum Beispiel an Hersteller denken, die in Nischenmärkten Lebensmittel produzieren, regionale Spezialitäten, ganz besondere Produkte. Wenn Sie so wollen Parmesan, das ist ein Paradebeispiel dafür. Ist regional zertifiziert durch die EU, wird aber auf der ganzen Welt, in ganz Europa verkauft. Die Vorstellung, dass nur die Menschen aus der Region Parmesan essen, ist ja fast lächerlich. Es muss ja darum gehen, ein besonderes Produkt möglichst weit zu verkaufen.“ (wird fortgesetzt)