Ein offener Brief für Substainable Finance

red. Ein breites Bündnis von Finanzakteuren, Wissenschaftlern sowie Organisationen der Zivilgesellschaft und der Kirche haben konkrete Forderungen bezüglich Sustainable Finance an die handelnden politischen Akteure auf europäischer und deutscher Ebene formuliert.

Offener Brief zum Thema Sustainable Finance an
 den ECON-Ausschuss des Europa-Parlamentes,
 die EU-Kommission,
 die Bundesregierung und die Bundesministerien für Finanzen, Wirtschaft und Umwelt,
 sowie alle an dem Thema Interessierte.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens und den Nachhaltigkeitszielen der Ver-einten Nationen (SDGs) hat die Weltgemeinschaft wichtige und dringend notwendige Entscheidungen für eine nachhaltigere Entwicklung für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft getroffen. Spätestens seitdem sind diese Themen ganz oben in der politischen und öffentlichen Diskussion angekommen. Es ist höchste Zeit aktiv zu werden, um die notwendigen Schritte zur Erreichung dieser Vereinbarungen nun auch in die Tat umzusetzen. Der Finanzindustrie kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn Banken und Investoren haben mit der bewussten Steuerung von Geldströmen einen enormen Einfluss auf die nachhaltige Transformation der Gesamtwirtschaft und vieler gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Richtigerweise arbeiten sowohl EU-Kommission als auch Europa-Parlament aktuell an verschiedenen Gesetzgebungsinitiativen, die konkrete Vorschläge beinhalten, wie die Finanzwirt-schaft ihren notwendigen und wichtigen Beitrag leisten und gleichzeitig auch zu Stabilität bei-tragen kann.

Wir, die Initiatoren und Unterzeichner dieses Briefes, begrüßen die aktuelle Dynamik zum Thema Sustainable Finance. Wir sehen bereits eine Vielzahl von richtigen und wichtigen Aspekten in den aktuellen Initiativen berücksichtigt, bei denen jeweils in den nächsten Wochen entscheidende Schritte anstehen. Daher möchten wir Sie, als handelnde politische Akteure auf europäi-scher sowie auf deutscher Ebene, darin bestärken, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen und bereits angedachte, weitreichende Maßnahmen nicht mehr aufzuweichen. Bei einigen Punkten sehen wir allerdings noch zusätzlichen und dringenden Handlungsbedarf, da sie unserer Mei-nung nach noch nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Wir erachten folgende Punkte als besonders wichtig und möchten Sie daher dazu aufrufen, diese in der weiteren Umsetzung entsprechend zu berücksichtigen.

1. EU-Klassifizierungssystem zur Definition von Sustainable Finance (nicht nur Green Finance)

Der Ansatz der EU-Kommission, ein EU-Klassifizierungssystem für Nachhaltigkeit am Finanz-markt und in der Finanzwirtschaft zu entwickeln, ist ein sehr wichtiges, grundlegendes Element, um das europäische Finanzsystem im Kern nachhaltig auszurichten. Daher begrüßen wir expli-zit die im kürzlich vorgestellten „Action Plan: Financing Sustainable Growth“ angekündigte Maßnahme, schnellstmöglich eine solches Klassifizierungssystem einzuführen und sehen dafür folgende Punkte als besonders wichtig an.

a) Keine Positivliste, sondern klare Richtungsvorgaben

Die Herausforderungen für ein nachhaltig wirkendes Finanzsystem liegen darin, Mittel auch langfristig dorthin zu lenken, wo ein Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung geleistet wird. Ein Klassifizierungssystem muss deswegen zuallererst in seiner Grundmechanik so aufgebaut sein, dass die entsprechenden Transformationspfade für Sektoren und Technologien auf der Basis transparenter und nachvollziehbarer wissenschaftlicher Grundlagen geschaffen werden. Eine reine Positivliste möglicherweise investierbarer Assets reicht hier nicht aus. Vielmehr müssen sich mit Hilfe eines solchen Klassifizierungssystems auch jene Anlagemöglichkeiten identifizie-ren lassen, in die nicht mehr investiert werden darf, wenn man drängende ökologische und soziale Herausforderungen bewältigen möchte. Die Marktakteure erhielten so ein stabiles und robustes Rahmenwerk, mit dem sich auch auf zukünftige Entwicklungen aus Regulierung, Politik und Technologie adäquat reagieren ließe, sobald in einzelnen Bereichen technologische Fragen gelöst werden oder ein neuer Wissensstand erreicht wird.

b) Institutionelle Absicherung der Dynamik
Ein derartiges Rahmenwerk muss über die Zeit fortentwickelt werden. Die EU-Kommission sollte hierfür den erforderlichen institutionalisierten Rahmen schaffen, innerhalb dessen diese Weiterentwicklung in unabhängiger, wissenschaftsbasierter und fachlich kompetenter Weise gewährleistet werden kann. Vor dem Hintergrund der komplexen Thematik und der geforderten Unabhängigkeit und Zielorientiertheit ist es wichtig, eine belastbare Institutionalisierung für den Prozess der Pflege und Weiterentwicklung des Klassifizierungssystems vorzusehen. Die Schaf-fung einer für dieses Vorhaben zu entwickelnden und eigenständigen Institution erscheint uns erforderlich.

c) Prozessklarheit hinsichtlich der Zielsetzung
Die von der Kommission angekündigten Prozesse erstrecken sich konkret zunächst auf den Klimawandel. Wir erachten es demgegenüber als unabdingbar, bereits von Beginn an von einem umfassenden Nachhaltigkeitsverständnis auszugehen und die Auswirkungen von finan-ziellen Aktivitäten sowohl auf ökologische wie auch soziale Themen zu berücksichtigen. Eine entsprechende Orientierung hierfür können die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen sein. Eine isolierte Fokussierung auf Klimaaspekte hätte zur Folge, dass – mit dem Klimawandel durchaus in Beziehung stehende – darüber hinausgehende ökologische und soziale Herausforderungen unbeachtet bleiben. Die vorgeschlagene stufenweise Herangehensweise – erst Klimawandel, dann andere Nachhaltigkeitsaspekte – bietet zwar die Möglichkeit einer schnelleren Umsetzung zumindest von ersten Schritten, birgt aber die Gefahr, dass gleichrangige Nachhaltigkeitsziele im weiteren Prozess vernachlässigt und gegeneinander ausgespielt werden. Die EU-Kommission steht hier in der Pflicht, einen glaubwürdigen Prozess zu organisieren, der Praktikabilität und Integrität austariert.

d) Entwicklung am Stand der Wissenschaft
Die bisherigen Überlegungen der Kommission orientieren sich maßgeblich an den Empfehlun-gen der von ihr eingesetzten High-Level Expert Group (HLEG). In diesem Prozess spielte die wissenschaftliche Expertise zum Thema Nachhaltigkeit eine untergeordnete Rolle. Demnach sollten insbesondere in den nun für das Thema Klassifizierungssystem folgenden Arbeitspro-zessen der tatsächlichen Festlegung und Methodendiskussion Personen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Praxis mit ausgewiesener Nachhaltigkeitskompetenz maßgeblich eingebunden sein.

2. Treuhänderische Pflichten und Nutzung von Stimmrechten
Die Forderung der High-Level Expert Group Nachhaltigkeitskriterien im Investmentprozess von Investoren verpflichtend zu integrieren, ist unbedingt weiterhin zu unterstützen und wurde be-reits als Maßnahme in den Action Plan der EU-Kommission aufgenommen. Der verantwor-tungsvolle Umgang mit den Mitteln von Dritten erfordert zwingend, ESG-Aspekte in den Ent-scheidungsprozess für Investitionen einzubeziehen und gegenüber den Investoren transparent zu machen, denn jede Investition hat neben der finanziellen auch eine gesellschaftliche Wir-kung. Aktuell wird dies in den einschlägigen Bestimmungen wie MiFID II, Solvency II, UCITS oder auch IORPII noch nicht ausreichend und eindeutig berücksichtigt. Durch die Erweiterung der treuhänderischen Pflichten kann wesentlich dazu beigetragen werden, dass Nachhaltigkeit stärker in den Fokus von Investoren gelangt und eine größere Nachfrage entsteht. Ergänzend dazu sollten Ideen entwickelt werden, wie Investoren stärker als bisher dazu moti-viert werden können, durch eine nachhaltigkeitsorientierte, aktive Wahrnehmung ihrer Stimm-rechte auf Unternehmen bezüglich ESG-Themen und damit verbundener Handlungsfelder und Risikofaktoren Einfluss zu nehmen und darüber zu berichten. Die Risikokomponente der Miss-achtung von Nachhaltigkeitsfaktoren wird zunehmend auch quantitativ erfassbar und damit auch im konventionellen Verständnis wesentlich.

3. Transparenz und weiterentwickelte Finanzmarkt-Regulierung
Die Diskussion zur Anpassung der Bankenregulierung steht bereits am 17. Mai zur Abstimmung im EU-Parlament an. Von EU-Parlamentariern wurden hierzu Vorschläge eingebracht, die inhaltlich auch von der High-Level Expert Group adressiert wurden. Die Offenlegung von ESG-Risiken und damit die Schaffung von Transparenz sind zwingend. Dabei sollten die Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) auf EU-Ebene als erster Schritt umgesetzt werden. Weitere Schritte zur umfassenden und einheitlichen Offenlegung von ESG-Risiken bei Finanzinstituten sollten folgen. Die Non-Financial Reporting Directive sollte mit den Richtlinien der TCFD in Einklang gebracht werden und dabei zwischen Finanz- und Nicht-Finanzinstitutionen unterschieden werden. Grundsätzlich ist es wünschenswert, dass Banken, Versicherungen und Pensionsfonds ihre Investitionen deutlich transparenter gestalten, wie das bei Publikumsfonds derzeit schon der Fall ist. Nur so kann eine Kontrolle der vielschichtigen ESG-Themen gewährleistet werden.
Über ESG-Risiken muss nicht nur einheitlich berichtet werden, sondern diese Risiken müssen auch bei den Eigenkapitalanforderungen Berücksichtigung finden. In diesem Kontext wird der „Green Supporting Factor“ diskutiert, der sich konzeptionell an den KMU-Faktor anlehnt. Dies ist jedoch eine reine politische Maßnahme und nicht systemkonform. Es erschließt sich nicht, warum „grüne“ Finanzierungen bzw. Investitionen grundsätzlich risikoärmer sein sollen. Als Gegenentwurf wird der „Brown Add on“ in die Debatte eingebracht, der konzeptionell in die richtige Richtung führt, da hier Risiken – insbesondere Klimarisiken – in die Eigenkapitalbe-rechnung einfließen.
Die Betrachtung von ESG-Risiken sollte als Bestandteil des Dialogs zwischen Aufsichtsbehör-den und Banken (im Rahmen des Supervisory Review and Evaluation Process / Säule 2) einge-führt werden. Wie von EU-Parlamentariern gefordert, sollten die ESG-Risiken außerdem in der ICAAP Kalkulation integraler Bestandteil sein. Dies kann durch die Entwicklung von Szenarien erfolgen, wie bereits z.B. von der niederländischen Zentralbank DNB (Dutch National Bank) vorgeschlagen.

4. Aufnahme von Nachhaltigkeit in die Mandatierung der europäischen Aufsichtsbehörden
Die HLEG empfahl bereits mit ihrem Zwischenbericht die explizite Erweiterung der Mandate der europäischen Aufsichtsbehörden für das Finanzsystem (European Supervisory Authorities / ESAs – also ESMA, EBA, EIOPA und anderer), um Aspekte der Sicherung eines nachhaltigen Finanzsystems. Wir möchten die Kommission darin bestärken, die Vollintegration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Aufsichtsmandate der europäischen Behörden, wie in ihrem Vorschlag im September 2017 ausgeführt, weiterzuverfolgen. Die Vorgaben an die ESMA (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) zur Prüfung der aktuellen Berücksichtigung im Creditrating-Geschäft halten wir für richtig; die ESMA sollte die konsequente Anforderung an Ra-ting-Agenturen zur Veröffentlichung von ESG-Einschätzungen und -Informationen im Ratingprozess und beim abschließenden Rating umsetzen. Wir unterstützen den Ansatz, dass die ESMA Nachhaltigkeitspräferenzen in die Eignungsbeurteilung aufnimmt und verweisen auf die erforderliche Entwicklung seitens des Klassifizierungssystems.

Die ESAs werden ebenfalls richtigerweise aufgefordert, systematisches Kurzfristdenken in ihren Aufsichtsbereichen zu identifizieren und müssen sich dafür einsetzen, dieses systematisch und strukturell auszuschließen. Wir möchten noch einmal ausdrücklich dahingehend unterstützen, dass auch die anderen Aufsichtsbehörden wie EIOPA (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und EBA (Europäische Bankenauf-sichtsbehörde) in ihren jeweiligen Einflussbereichen ebenfalls zahlreiche Möglichkeiten haben, Beiträge zur Erreichung eines nachhaltigen Finanzsystems zu leisten, nicht zuletzt in den Be-reichen von Risikomanagement und -minimierung.

Mit freundlichen Grüßen
Die Initiatoren/innen
Die Unterzeichner/innen:
Unterzeichner/innen aus Forschung und Wissenschaft:
 Prof. Dr. Alexander Bassen – Lehrstuhl für Betriebswirtschaft, insb. Kapitalmärkte und Unternehmens-führung, Universität Hamburg
 Prof. Dr. Timo Busch – Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg
 Dr. Daniel Dahm – Vice Director, European Center for Sustainability Research ECS, Zeppelin University
 Prof. Dr. Gregor Dorfleitner – Lehrstuhl für Finanzierung und Center of Finance, Universität Regensburg
 Prof. Dr. Rüdiger Hahn – Fachgebiet BWL, insb. Nachhaltigkeitsmanagement, Universität Hohenheim
 Prof. Dr. Doris Neuberger – Lehrstuhl Geld und Kredit, Universität Rostock
 Prof. Dr. Dorothea Schäfer, Forschungsdirektorin Finanzmärkte Deutsches Institut für Wirtschaftsfor-schung DIW, Jönköping International Business School/Department of Economics, Jönköping University, Schweden
 Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schaltegger – Centre for Sustainability Management, Leuphana Universität Lüneburg
 Prof. Dr. Dirk Schiereck – Corporate Finance, TU Darmstadt
 Prof. Dr. Marco Wilkens – Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft, Universität Augsburg
 Priv.-Doz. Maximilian Wimmer – Lehrstuhl Finanzwirtschaft und Finanzmarktinstitutionen, Universität Mannheim