Forscher des Julius Kühn-Instituts wollen das Brotgetreide im internationalen Verbund attraktiver machen und außerdem für den Klimawandel wappnen. Aktuelle Studie liefert Präzisionswerkzeuge für die züchterische Nutzung des Kurzstroh-Gens Ddw1 und beleuchtet seine Wirkungsweise.
Groß Lüsewitz/Quedlinburg. Roggenanbau hat in Deutschland eine lange Tradition. Die Brotspezialitäten aus dem genügsamen Verwandten des Weizens werden geschätzt und fehlen in keiner Bäckerei. Ein internationales Forschungskonsortium, zu dessen elf Partnern auch das Julius Kühn-Institut (JKI) zählt, will das Getreide züchterisch auf die Zukunft vorbereiten und so den Roggenanbau attraktiver machen. Aufbauend auf den guten Grundeigenschaften des Roggens wie Winterhärte, geringe Ansprüche an den Boden sowie dem geringsten CO2-Fußabdruck unter den Getreiden, sollen im Projekt RYE-SUS die Trockenstresstoleranz verbessert und das Umknicken der Halme verhindert werden.
Von besonderer Bedeutung ist dabei die Verkürzung der Halme der Pflanzen. Die Züchtungsforscher setzen dazu auf einen Durchbruch, den sie in der Fachzeitschrift „Frontiers in Plant Science“beschreiben. Mit moderner Sequenziertechnologie haben sie kurz- und normalstrohigen Roggen umfassend charakterisiert. Sie erhielten so erstmals Einblicke, auf welche Weise das Wachstumshormon Gibberellin die Wuchshöhe der Pflanze auf molekularer Ebene kontrolliert. Die Aktivität eines Gens aus der Gibberellinbiosynthese wird in Roggen, der das Kurzstroh-Gen Ddw1 trägt, deutlich gesteigert.
„Wir konnten diesen Erkenntnisgewinn für die Entwicklung von neuen Selektionswerkzeugen nutzen, mit denen Ddw1 in Elitezuchtmaterial eingekreuzt werden kann“, sagt Dr. Bernd Hackauf vom JKI. Das sei vorher mit dieser Präzision nicht möglich gewesen.
Die Forscher wollen nun an einen zentralen Aspekt der so genannten Grünen Revolution anknüpfen: Mitte des 20. Jahrhunderts hatte die Züchtung von Halbzwergen beim Weizen zu einer enormen Ertragssteigerung geführt, unter anderem, weil kurze Halme deutlich schwerere Ähren tragen können, ohne umzuknicken. „Beim Roggen wollen wir nun die entsprechende Kurzstroh-Ära einleiten. Die molekularen Daten zeigen, dass Ddw1 auch ein Schlüssel sein könnte, um die Dürretoleranz des Roggens zu erhöhen“, erklärt Hackauf weiter.
Die Züchtungsforscher am JKI haben mit ihren Projektpartnern das Gen Ddw1 in erste Saat-Elternlinien eingekreuzt. Im Sommer 2019 wuchsen kurzstrohige Linien, die das Ddw1-Gen reinerbig tragen – eine Weltpremiere. Kreuzt man diese Saatelterlinien weiter, vererben sie Ddw1 an ihre Nachkommen; deren Halme bleiben aufgrund der dominanten Wirkungsweise von Ddw1 ebenfalls verkürzt. Über die Kreuzung mit genetisch verschiedenen Polleneltern können die Wissenschaftler nun einen sogenannten Heterosis-Effekt nutzen: Werden reinerbige Elternlinien miteinander gekreuzt, liegt die Leistung der ersten Nachkommengeneration (F1-Hybriden) zumeist deutlich über der ihrer Eltern. Auf diese Weise erstellen die Forscher besonders leistungsstarke Nachkommen, die neben Kurzstrohigkeit weitere vorteilhafte Merkmale in sich vereinen.
„Leistungsstarke Hybriden mit hoher Mutterkornabwehr und verkürzten Halmen sollen die Nachhaltigkeit im Getreidebau erhöhen. Es kann auf chemische Wachstumsregler verzichtet werden, und die Energiekosten für Ernte und Trocknung reduzieren sich“, so Hackauf.
Um die Leistung der Züchtungen unter verschiedenen Klimaszenarien vorhersagen zu können, wollen die Experten des JKI im Rahmen von RYE-SUS, das erste Wachstums- und Entwicklungsmodell für Roggen etablieren. Weitere Merkmale, denen sie sich widmen, sind das Wurzelsystem sowie die genetischen und molekularen Grundlagen der ausgeprägten Winterhärte des Roggens.