Mit der Einweihung des ALTMARKTgarten auf dem Dach des neuen Oberhausener Jobcenters am 26. September 2019 fällt gleichzeitig der Startschuss für das Vorzeigeprojekt des inFARMING®-Konzepts. Wissenschaftler vom Fraunhofer UMSICHT erforschen vor Ort die innerstädtische Lebensmittelproduktion. Produktionssysteme und Gebäudeinfrastrukturen sind hierfür miteinander verknüpft, sodass Stoff- und Energieströme nachhaltig für den Anbau von Obst, Gemüse oder Kräutern genutzt werden können.
Weltweit ist ein stetiges Wachstum der Städte und Megacitys zu verzeichnen. Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 ca. 75 Prozent* der Bevölkerung in Städten leben. Deren nachhaltige Versorgung mit regionalen Nahrungsmitteln ist eine enorme Heraus-forderung, denn insbesondere für den Anbau von Lebensmittelpflanzen fehlen vor Ort die Flächen. Gefragt sind neue Konzepte für eine urbane Lebensmittelproduktion. Weltweit werden zurzeit verschiedene Möglichkeiten erforscht, wie diese Produktion unter opti-malem Einsatz von Ressourcen wie Energie, Wasser und Nährstoffe realisiert werden kann. Das Fraunhofer UMSICHT hat mit dem inFARMING®-Konzept einen vielversprechenden Ansatz entwickelt, der Produktionssysteme und Gebäudeinfrastrukturen miteinander verknüpft.
Anbau in verschiedenen Klimazonen
Mit dem ALTMARKTgarten auf dem Dach des neuen Jobcenters in Oberhausen ist nun ein Zentrum zur nachhaltigen regionalen Lebensmittelversorgung entstanden, das auf dem inFARMING®-Konzept basiert und in dieser Form einzigartig in Deutschland ist. In drei verschiedenen Klimazonen werden künftig Obst, Gemüse und Co. angebaut, in einer vierten Klimazone wird geforscht. Die einzelnen Zonen des Dachgewächshauses können je nach Bedarf an Temperatur und Feuchtigkeit der Pflanzen unterschiedlich gesteuert werden. Eine weitere Besonderheit ist, dass die produktionsorientierten Bereiche unterschiedliche Kultivierungssysteme nutzen. Neben den Ebbe-Flut-Tischen, die Pflanzen zeitgesteuert durch Flutung mit Wasser und Nährstoffen versorgen, wird in UV-stabilen Growbags angebaut. Düngung und Wasserzugabe erfolgen hier per Tröpfchenbewässerung, das überschüssige Wasser wird durch ein Rinnensystem in den Wasserkreislauf zurückgeführt. Bei einem weiteren Kultivierungssystem befinden sich die Pflanzen auf Kulturplatten (Floats/Pontons) in Schwimmteichen. Aussparungen in den Platten sorgen für Halt und ermöglichen ein direktes Wurzeln in das Wasser. Alle verwendeten Kultivierungssysteme sind somit hydroponisch, d. h. die Pflanzen wer-den durch eine wässrige Lösung ernährt. Ein Düngerautomat steuert die Nährstoffversor-gung individuell angepasst an Pflanzen und Kultivierungssystem.
Das Gebäude als Ressource
Die Nutzfläche des Dachgewächshauses beträgt mehr als 1 000 m², wovon das Fraun-hofer UMSICHT auf 160 m² Forschung und Entwicklung (FuE) betreiben wird. »Gemein-sam mit Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen können wir neueste Entwicklun-gen und Technologien im Bereich der gebäudeintegrierten Landwirtschaft testen und weiterentwickeln«, erklärt Volkmar Keuter, Leiter der Abteilung Photonik und Umwelt am Fraunhofer UMSICHT. Das Gebäude dient dabei als Ressource. Keuter: »Wir untersuchen, inwieweit z. B. Wasserströme oder Abwärme aus dem Gebäude zur Versorgung der Pflanzen genutzt werden können.«
Grauwasser und Abwärme als Ressource
Die Abwärme wird aus dem Jobcenter direkt in den FuE-Bereich geführt. Das Grauwasser – Wasser aus Duschen und Handwaschbecken – wird im Keller aufbereitet. Zum einen, damit es innerhalb des Gebäudes genutzt werden kann, zum anderen, um im FuE-Bereich die Verwendung für die Bewässerung zu testen. Auch die Belichtung steht im Fokus der Forschenden, denn mit bestimmten Lichtszenarien lassen sich das Pflanzenwachstum und die Pflanzenqualität positiv beeinflussen. Für das Fraunhofer UMSICHT bietet der ALTMARKTgarten gute Voraussetzungen: Die Ergebnisse aus den Forschungsprojekten können nach der Entwicklungsphase theoretisch direkt vor Ort in der Praxis erprobt werden.
Nachhaltig und nah an der Kundschaft
Das inFARMING®-Konzept minimiert die Transportwege zwischen Anbau und Verbrauch, indem das auf dem Dach angebaute Gemüse lokal im urbanen Raum vermarktet wer-den kann. Dadurch, dass Ressourcen optimal zum Einsatz kommen und Stoffkreisläufe geschlossen werden, können Energieverbrauch, Kohlenstoffemissionen und Abfälle reduziert werden. Beim ALTMARKTgarten steht aktuell besonders die Optimierung des Wasserverbrauchs im Fokus. Weitere Vorteile: Das städtische Bild wird positiv bereichert, und die Flächenversiegelung wird verringert, indem bereits bebaute Räume – wie das Gebäudedach des neuen Jobcenters – als Anbaufläche dienen.