Die Stadt, das Land und der demographische Wandel

Foto: Die Linde

Über den demographischen Wandel wird viel gesprochen. Meist bleibt es aber bei  Betrachtungen oder der zunehmenden Sorge über die Zukunft des Rentensystems. Und bei einem abendlichen Spaziergang durch die Hauptstadt verschwindet das Thema sehr schnell aus dem Bewusstsein. Die Ursache für diesen Effekt zur Veränderung der Wahrnehmung fasst das Lexikon der Nachhaltigkeit zusammen: „Gründe, warum wir gegenwärtig nur wenig von den Folgen des demographischen Wandels spüren, gibt es in zweierlei Hinsicht. Zum einen gibt es in Deutschland ca. 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die den Rückgang einigermaßen ausgleichen. Zum anderen ist die durchschnittliche Lebenserwartung seit 1970 um 10 Jahre gestiegen. Beide Faktoren konnten bisher die Lücken, die durch die sinkenden Bevölkerungszahlen entstanden sind, auffangen.“[1].

Aber die Optik täuscht, wie so oft, denn schon heute zeichnet sich hier schon  eine deutliche Veränderung ab. Es wird es nicht mehr lange dauern, bis die Generation der sogenannten Babyboomer in Rente geht, unter diesem Begriff fassen die Statistiker die im Zeitraum von 1955 bis 1969 Geborenen aus den geburtenstarken Jahrgänge zusammen.  Und dieser Umstand werde das Bild schnell und deutlich verändern, so die Fachredaktion weiter.  Und wenn diese geburtenstarken Jahrgänge altern, wird entsprechend die Zahl der Sterbefälle, die übrigens bereits seit dem Jahr 1972 die Zahl der Geborenen übersteige, weiter anwachsen und kann dann auch nicht mehr durch Zuwanderung ausgeglichen werden. Jedenfalls wenn man auch nur halbwegs realistische Zahlen zugrunde legt.

 

Berechnung des Wiesbadener Statistischen Bundesamtes zeigen, dass bei einer durchschnittlichen jährlichen Netto-Zuwanderung von 200.000 Personen die Einwohnerzahl Deutschlands bis zum Jahr 2050 auf 75 Millionen zurückgehen werde.[2] Für den angenommenen Fall, dass jährlich nur etwa 100.000 Menschen nach Deutschland migrierten, und dieser Zahl entspricht in etwa den  gegenwärtigen Werten, würde dies eine noch drastischere Reduzierung der deutschen Bevölkerung auf 68 Millionen bedeuten. Aber damit nicht genug, auch das Bild beim bereits zitierten abendlichen Spaziergang durch Berlin wird nicht mehr das gleiche sein, denn es wird deutlich grauer, da unabhängig von der absoluten Bevölkerungszahl sich das Verhältnis von jüngeren zu älteren Menschen stark verändern. Der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird von heute 25 Prozent, auf dann 37 Prozent steigen.

In den ländlichen Räumen ist die dargestellte Entwicklung allerdings noch deutlich dramatischer. 2015 lebten laut Raumordnungsbericht 2017 der Bundesregierung 82,2 Millionen Menschen in Deutschland, damit etwa zwei Millionen mehr als im Jahr 1990. Von 1990 bis 2015 seien fünf Millionen Menschen zugewandert, vor allem in die Großstädte und ihre Ballungsräume.[3] In vielen ländlichen Regionen nehme die Bevölkerungszahl dagegen stetig ab. Derzeit würden 68 von 401 Kreisen, einschließlich der kreisfreien Städte, in Deutschland mit weniger als 100 Einwohnern pro Quadratkilometer als „dünn besiedelt“ gelten, heißt es in dem Bericht weiter. Die Bundesregierung macht weiter deutlich, dass die peripheren Landgemeinden Bevölkerung verloren haben. Auch seien 37 Prozent der Mittelstädte und 52 Prozent der Kleinstädte im Berichtszeitraum geschrumpft. Der Altersdurchschnitt in vielen ländlichen Regionen und Umlandregionen der Großstädte steige im Verhältnis stärker an. Und damit wird ein sich selbstverstärkender Prozess angestoßen.  Junge Menschen werden weiter und wieder zunehmend aus den ländlichen Räumen abwandern, die Bevölkerung schrumpft und überaltert somit noch schneller und entsprechend werden die Auslastung und der Erhalt der Infrastrukturangebote noch schwieriger werden als er sowieso schon ist.

Natürlich gibt es seitens der Politik und der Zivilgesellschaft zahlreiche Initiativen, an den schieren Fakten werden aber auch diese nichts ändern. Für ein systemisches Problem braucht es systemische Lösungen. Weniger Menschen in den ländlichen Räumen bedeuten weniger Infrastruktur und werden zwangsläufig auch auf dem Land zu einer Konzentration auf das noch funktionierende bedeuten. Sprich stadtnahe ländliche Gemeinden, die am urbanen Tropf hängen, haben bessere Entwicklungsmöglichkeiten als weitentferne und isolierte Dörfer. Die allerdings politisch noch relevanteren Fragen nach den zukünftigen Strukturen auf dem Land und damit besonders der Landwirtschaft, unter den Vorzeichen der sich stets verringernden bäuerlichen Kultur – und Verantwortung, bleib politisch noch weitgehend unbearbeitet. Wer bewirtschaftet zukünftig die Äcker?

[1] https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/deographischer_wandel_1765.htm

[2] https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/VorausberechnungBevoelkerung/BevoelkerungDeutschland2060Presse5124204159004.pdf?__blob=publicationFile

[3] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/137/1813700.pdf