Welche Innovationen sind erforderlich, damit Wind zu einer der weltweit wichtigsten Quellen für kostengünstige Stromerzeugung werden kann? Unter Federführung des National Renewable Energy Laboratory (NREL) des US-Energieministeriums hat ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die drei größten Herausforderungen für die Windenergieforschung identifiziert. Prof. Dr. Joachim Peinke und Dr. Stephan Barth vom Zentrum für Windenergieforschung (ForWind) an der Universität Oldenburg gehören zum Autorenteam, das seine Ergebnisse nun im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte.
„Dank intensiver Forschung sind in den letzten Jahrzehnten technologisch fortschrittliche Systeme entwickelt worden, um Windenergie zu erzeugen. So konnte Wind zu einer etablierten Energiequelle werden“, sagt Dr. Stephan Barth, Geschäftsführer von ForWind. „Doch um das ganze Potenzial der Windenergie auszuschöpfen und die globale Nachfrage nach sauberer Energie decken zu können, sind weitere Innovationen erforderlich.“
Windexperten aus den USA, Deutschland, Dänemark, Finnland, Schweden, Spanien und Norwegen haben in ihrer Studie im Wissenschaftsmagazin Science die drei größten Herausforderungen formuliert, vor denen die Windenergieforschung heute steht. Die insgesamt 29 Forschenden um die drei Hauptautoren, Katherine Dykes von der Technischen Universität Dänemark sowie Paul Veers und Eric Lantz von NREL, identifizieren darin die wichtigsten Aufgaben für die wissenschaftliche Gemeinschaft, um weitere Fortschritte zu erreichen.
Erste Herausforderung: Ein besseres Verständnis der Windressourcen und -strömungen in dem Bereich der Atmosphäre, in dem Windenergieanlagen Strom erzeugen
Um mehr Energie zu gewinnen, werden Windenergieanlagen immer höher und in größeren Entfernungen zueinander aufgebaut. Wissenschaftler müssen daher die Dynamik des Windes in diesen Höhen und Größenordnungen verstehen. Bisher verwendeten Betreiber vereinfachte physikalische Modelle und einfache Beobachtungstechnologien, mit denen sie Windenergieanlagen in unterschiedlichen Geländearten installieren konnten. Allerdings bestehen große Wissenslücken über Windströmungen in komplexem Gelände. Gelingt es der Wissenschaft, diese unterschiedlichen Bedingungen präziser zu berechnen, können Windenergieanlagen wirtschaftlich und technisch weiter optimiert und an den geeigneten Standorten installiert werden.
Zweite Herausforderung: Struktur- und Systemdynamik der größten rotierenden Maschinen der Welt
Windenergieanlagen sind heute die größten flexiblen, rotierenden Maschinen der Welt, mit Blattlängen von deutlich über 80 Metern und Türmen von weit über 100 Metern Höhe. Zum Vergleich: In die vom Rotor einer Windturbine durchstrichene Fläche passen Nase an Nase drei der größten Passagierflugzeuge vom Typ Airbus A380-800. Da die Turbinen immer größer werden, sind neue Materialien und Herstellungsverfahren nötig, um Probleme bei Skalierbarkeit, Transport und Recycling zu lösen. Viele vereinfachende Annahmen, unter denen frühere Generationen von Windenergieanlagen konzipiert wurden, sind nicht mehr gültig. Die Windenergieforschenden müssen nicht nur die Atmosphäre verstehen, sondern auch abschätzen, wie sich bauliche Sicherheit und effiziente Stromerzeugung gleichzeitig gewährleisten lassen.
Dritte Herausforderung: Windenergieanlagen so zu planen und zu betreiben, dass sie die Zuverlässigkeit und Resilienz des Stromnetzes unterstützen und fördern
Höhere Einspeisungen aus Wind- und Sonnenenergie werden die Stromnetze der Zukunft drastisch verändern. Innovative Regelungskonzepte könnten die Eigenschaften von Windenergieanlagen nutzen, um den Energieertrag zu optimieren und gleichzeitig die Netzstabilität zu unterstützen. Durch Auswertung von Sensormessungen ließen sich die Energieausbeute verbessern, die Kosten senken und der Betrieb an die Netzanforderungen anpassen. Um diese Zukunftsvision realisieren zu können, braucht es umfangreiche Forschungsarbeiten. Im Mittelpunkt stehen die Simulation atmosphärischer Strömungen, die individuelle Turbinendynamik und die Anlagenregelung im Zusammenspiel mit dem übergeordneten Stromsystem.
Um sich diesen Herausforderungen stellen zu können, müssen sich Wissenschaftler auf internationaler Ebene und über Fachdisziplinen hinweg zusammenschließen. „Ich sehe mit Freuden, wie sich Forscher zusammentun, um diese komplexen Herausforderungen der Windenergie anzugehen“, sagt ForWind-Wissenschaftler Prof. Dr. Joachim Peinke. „Bestes Beispiel ist die gemeinsame Veröffentlichung in Science. Wir müssen die großen Fragestellungen mit neuen wissenschaftlichen Methoden angehen, dies erfordert zunehmend eine eigenständige Grundlagenforschung im Windenergiebereich.“