Die Ablösung fossiler und nuklearer Energieträger als Grundlage der Stromproduktion durch erneuerbare Quellen wie Wind, Sonne, Wasser und Biomasse ist zentraler Baustein der deutschen Energiepolitik. Allerdings ist die Energieproduktion aus Wind, dem bedeutendsten Sektor der „Erneuerbaren“ in Deutschland, nicht notwendigerweise ökologisch nachhaltig.
Durch Flächenverbrauch und Schlagopfer wie Fledermäuse oder Vögel stehen Windräder oft im direkten Konflikt mit dem gesetzlichen Schutz bedrohter Arten. Die nahezu einhellige Meinung von Experten aus Behörden, Naturschutzverbänden und Gutachterbüros ist, dass bisher vorhandene Mechanismen etwa zum Schutz von Fledermäusen bei Windkraftvorhaben nicht ausreichend sind. Zu diesem Schluss kommt eine Umfrage des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), die im „Journal of Renewable and Sustainable Energy“ publiziert ist.
An der Umfrage des Leibniz-IZW beteiligten sich gut 500 VertreterInnen verschiedener Interessensgruppen, die in Umweltverträglichkeitsprüfung von Windenergieanlagen involviert sind. Zu diesem Kreis gehören FachgutachterInnen, MitarbeiterInnen von Umweltschutzbehörden, RepräsentantInnen von Nichtregierungsorganisationen im Artenschutzsektor, MitarbeiterInnen von Windenergieunternehmen sowie WissenschaftlerInnen, die zu erneuerbaren Energien oder zur Biodiversität forschen. Erfragt wurden die Einstellungen und Einschätzungen zum Beitrag der Windenergie zur Energiewende, zum ökologisch nachhaltigen Bau und Betrieb der Windräder sowie zu möglichen grün-grünen Konflikten zwischen Klimaschutz und dem Schutz der biologischen Vielfalt.
„Wir stellten sowohl nennenswerte Diskrepanzen als auch weitgehende Übereinstimmungen unter den Beteiligten fest“, konstatiert PD Dr. Christian Voigt, Abteilungsleiter im Leibniz-IZW und Erstautor der Untersuchung. „Die überwältigende Mehrheit der Befragten erkennt einen direkten Konflikt zwischen Ökostrom und Fledermausschutz und bewertet den Schutz der Artenvielfalt als ebenso wichtig wie den Beitrag zum Klimaschutz durch erneuerbare Energien.“
Einbußen im Ertrag von Windkraftanlagen durch konsequente Berücksichtigung des Artenschutzes, in der
Stromproduktion wie in finanzieller Hinsicht, müssten akzeptabel werden und finanzielle Verluste und Einbußen bei der Stromproduktion kompensiert werden. „Wir müssen für einen wirksamen Artenschutz an Windkraftanlagen vermutlich einen höheren Ökostrompreis akzeptieren, damit die Abschaltzeiten der Windenergieanlagen aufgefangen werden können“, resümiert Voigt. „Dies lässt allerdings die Frage offen, wie man mit dem Lebensraumverlust vor allem an Waldstandorten umgeht, um eine ökologisch nachhaltige Energieproduktion zu erreichen.“
Der Zielkonflikt bei Windkraftvorhaben hat sich in den letzten Jahren verstärkt,
Der Grund: durch den konsequenten Ausbau dieser Anlagen – mittlerweile sind es rund 30.000 auf dem Festland in Deutschland – die geeigneten Standorte rar werden. Dadurch werden neue Anlagen verstärkt auch dort errichtet, wo Konflikte mit dem Artenschutz wahrscheinlicher sind, wie zum Beispiel in Wäldern.
„Zudem mussten wir feststellen, dass laut Aussage der Behördenvertreter trotz wirksamer Vorschriften zum Schutz von Fledermäusen – wie etwa die zeitweise Abschaltung der Windräder zur Zugzeit, nachts, bei relativ niedrigen Windgeschwindigkeiten und höheren Temperaturen – nur schätzungsweise 25% der Windräder unter diesen Auflagen betrieben werden“, ergänzt Autor Marcus Fritze vom Leibniz-IZW.
Zudem sei eine deutlich abweichende Sichtweise der Interessensvertreter aus der Windenergiebranche gegenüber allen anderen Gruppen in der Umfrage deutlich geworden. „Vertreter der Windenergiebranche bewerten die Einhaltung der Klimaschutzziele als wichtiger als Maßnahmen zugunsten des Artenschutzes“, so Fritze. „Ein konsequenter Dialog zwischen allen Beteiligten scheint daher besonders wichtig, um eine ökologisch nachhaltige Windenergieproduktion zu ermöglichen“.
Unterschiedliche Sichtweisen der Beteiligten
Die Umfrage zeigte weiterhin, dass
- mehr als 95% der Befragten die Energiewende als wichtig einschätzen und alle Interessengruppen die Energiewende möglichst ökologisch nachhaltig gestalten wollen,
- zwei Drittel der Personen aus der Windenergiebranche die Einschätzung teilten, dass diese Art der erneuerbaren Energie stärker gefördert werden müsste als andere, während 85% der Befragten der übrigen Interessengruppen dies ablehnten, und
- 86% der Befragten außerhalb der Windenergiebranche dem Ökostrom keine höhere Priorität einräumten als dem Schutz der heimischen Fauna, während
- nur 4% der Vertreter aus dem Wind-Sektor diese Meinung teilten (jeweils knapp die Hälfte waren unentschieden oder sehen Windstrom als wichtiger an als Biodiversitätsschutz).
Für die Umfrage wählten die Autoren Fledermäuse als Fokusgruppe für alle von Windrädern betroffenen Tiere aus, weil Fledermäuse in hoher Zahl an den Anlagen sterben, auf nationaler und internationaler Ebene einen hohen Schutzstatus genießen und daher eine wichtige Rolle in Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen spielen. Die tödlichen Auswirkungen der Anlagen sind möglicherweise populationsrelevant.
Stärkere Berücksichtigung von Artenschutzzielen gefordert
Der Große Abendsegler wird am häufigsten als Schlagopfer an Windenergieanlagen gefunden; diese Art wird vom Bundesamt für Naturschutz für Deutschland als abnehmend bewertet. Zugleich zeigen die Ergebnisse der langjährigen Forschungen in der Abteilung von Voigt am Leibniz-IZW, dass von den Verlusten vor allem ziehende oder wandernde Individuen betroffen sind, wodurch Populationen nicht nur in Deutschland sondern auch in den europäischen Herkunftsgebieten dieser Fledermausarten leiden könnten.
Auf der Basis der Umfrageergebnisse plädieren die Autoren für eine stärkere Berücksichtigung von Artenschutzzielen und für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Hierfür unterbreiten sie Vorschläge, wie die Zusammenarbeit aller Beteiligten in der Planung von Windkraftvorhaben der gesetzlichen Grundlage folgend verbessert werden kann.