Die deutsche Bundesregierung hat jüngst das Ziel formuliert, bis 2050 den Ausstoß an Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um mehr als 90 Prozent zu senken. Bisher ist der Agrarsektor in diese Zielsetzung nicht explizit einbezogen, aber es ist unstrittig, dass dies nicht so bleiben wird. Insbesondere in dem Agrarland Schleswig-Holstein, in dem die Landwirtschaft mehr als 20 Prozent zu den Treibhausgasemissionen beiträgt, müssen Modelle für eine klimafreundliche Produktion entwickelt werden. Die Forschungsgruppe Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) arbeitet seit vielen Jahren an solchen Modellen.
In der Studie gehen die Forschenden um Professor Friedhelm Taube der Frage nach, ob der CO2-Fußabdruck der Milcherzeugung aus Weidehaltung günstiger zu bewerten ist als bei der Milcherzeugung aus ganzjähriger Stallhaltung. Der CO2-Fußabdruck enthält alle klimarelevanten Emissionen, die bei der Milcherzeugung auf dem Betrieb auftreten und ermöglicht den Vergleich verschiedener Produktionssysteme. Im Fokus der Studie stand der Vergleich dreier Haltungssysteme von Milchkühen: Weidehaltung, Stallhaltung und ein gemischtes System.
„Welches Haltungssystem bei Milchkühen den besten ökologischen Fußabdruck hat, hängt vor allem vom Standort ab. Schleswig-Holstein ist sehr gut für die Weidehaltung geeignet, da durch die ausreichende Menge von Niederschlägen und die günstige Verteilung des Regens im Jahr beste Bedingungen für das Graswachstum gegeben sind. Die Grünlandproduktion ist absolut vergleichbar mit der in Irland. Und mit steigenden Temperaturen durch den Klimawandel steigt die Anzahl der Wachstumstage im Frühjahr und Herbst auf der Weide“, erläutert Taube. Für den Vergleich der Haltungssysteme nutzten die Forschenden Daten aus 30 wissenschaftlichen Publikationen in einer sogenannten Metaanalyse. Das bedeutet, sie nahmen eine vergleichende statistische Auswertung einer Vielzahl bereits publizierter Studien vor. Insgesamt konnten 87 CO2-Fußabdrücke aus 15 Ländern in die Berechnungen eingeschlossen werden.
Eine Meta-Analyse
Um anschließend einen Vergleich der Produktionssysteme zu ermöglichen, wurden von der Erstautorin Heike Lorenz, Doktorandin in der Forschungsgruppe, drei Haltungssysteme festgelegt: Die (1) Stallhaltung umfasste die Systeme, in denen die Kühe das gesamte Jahr über im Stall standen. (2) Weidehaltung war dadurch gekennzeichnet, dass die Kühe mindestens 50 Prozent ihres Futters als frisches Gras auf der Weide aufnahmen und dabei zusätzliches Konzentratfutter (z.B. Getreide) nicht mehr als 25 Prozent der Futterration ausmachte. (3) Haltungssysteme, die zwischen diesen beiden Ausprägungen lagen, wurden als gemischtes System klassifiziert. „Unsere Ergebnisse stellen bisherige Lehrmeinungen, wonach maximale Milchleistung gleichbedeutend ist mit einem niedrigem CO2-Fußabdruck, deutlich in Frage“, so Lorenz.
Hohe Milcherträge erfordern weniger Kühe
Das Team an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät konzentrierte sich auf drei Faktoren, die den Ausstoß der klimarelevanten Gase signifikant beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen, dass unabhängig von den Haltungssystemen die Emissionen zunächst deutlich sinken, wenn der Milchertrag pro Kuh steigt. Hohe Milcherträge erfordern weniger Kühe, um eine bestimmte Milchmenge zu erhalten und weniger Kühe bedeuten auch einen geringeren Ausstoß des Treibhausgases Methan. Taube: „Ab einem gewissen Niveau ist der positive Effekt steigender Milchleistung fürs Klima jedoch deutlich abgeschwächt“.
Stall versus Weide
Während die Kühe im Stall zu jeder Zeit mit einer auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Mischung aus Gras- und Maissilage gefüttert werden können, müssen sich die grasenden Kühe mehr bewegen und fressen gleichzeitig weniger. Deshalb werden für die Weide häufig kleinere Rassen eingesetzt, die weniger Futter benötigen. Jedoch geben diese auch weniger Milch.
„Daraus könnte man folgern, dass dies zu einem schlechteren Abschneiden der Weidemilch führt. Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch, dass die positiven Aspekte der Weidehaltung die höhere Anzahl an Kühen, die für dieselbe Milchmenge benötigt wird, ausgleichen können“, betont Taube. Somit sei die Milch von grasenden Kühen nicht klimaschädlicher als die von ihren im Stall stehenden Artgenossen. „Je mehr frisches Gras die Kühe fressen, desto geringer ist der CO2-Fußabdruck der Milch“, fasst der Grünlandexperte zusammen.
Die Haltung im Stall bedeutet wesentlich mehr Energieaufwand bei der Futterbergung und der Gülleausbringung. Insbesondere wird mehr Kraftstoff verbraucht, weil das Futter gemäht und von den Wiesen und Äckern geholt werden muss. Zusätzlich wird bei der Stallhaltung im Durchschnitt deutlich mehr Konzentratfutter eingesetzt und mehr mineralischer Dünger auf den Feldern ausgebracht. Auch deren Produktion erzeugt Emissionen, die sich im CO2-Fußabdruck der Milch wiederfinden.
Weidehaltung auf dem Versuchsbetrieb Lindhof
„Die geringere Milchleistung schadet dem System Weidehaltung in der Klimawirkung also nicht. Angepasste Rassen können das Weidegras sehr effizient umsetzen. Oftmals sind die Tiere mit Weidegang auch gesünder, weisen eine längere Lebens- und Nutzungsdauer auf, werden nach dem Kalben schneller wieder tragend und können ihre arttypischen Verhaltensmuster auf der Weide besser ausleben. Alles Bausteine, die sich zusätzlich positiv auf die CO2-Bilanz auswirken können. Welches der Haltungssysteme im Einzelfall das klimafreundlichere ist, hängt jedoch von einer Vielzahl von Faktoren ab“, erklärt Heike Lorenz die neuen Erkenntnisse.
Die Ergebnisse der Metastudie sind Wasser auf die Mühlen der seit 2016 praktizierten Weidemilcherzeugung auf dem Lindhof, einem der Versuchsbetriebe der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät. Dort leben knapp 100 Milchkühe der Rasse Jersey. Diese Rasse ist aufgrund ihrer Robustheit und ihres kleinen Körpermaßes sehr gut für die Weidehaltung geeignet und liefert Milch mit hohen Fett- und Eiweißgehalten.
„Auf dem Lindhof wollen wir zeigen, dass Milch aus Weide-Kleegras nicht nur dem Klima nützt, weil das Weidefutter Energie und Eiweiß bereitstellt und damit Soja und Raps in der Futterration überflüssig macht. Wir wollen auch zeigen, dass dadurch mehr Kohlenstoff im Boden gespeichert und mehr Biodiversität in der Agrarlandschaft ermöglicht wird. Und aufgrund der tiefwurzelnden Kräuter in der Futtermischung werden kaum Nährstoffverluste ins Grundwasser zugelassen“, erläutert der Koordinator der Feldexperimente auf dem Lindhof, Dr. Ralf Loges.
Mittelfristig sieht die Forschungsgruppe große Chancen, dass Milchkühe in den nächsten 15 bis 20 Jahren wieder zurück in die Ackerbauregionen Ostholsteins wandern und dort den einseitigen Ackerbau aus Weizen und Raps besser und vor allem stabiler machen können. Mehr Kulturartenvielfalt lautet die Herausforderung, oder wie es die Forschenden formulieren: „mehr funktionale Diversität für resiliente Anbausysteme im Klimawandel“.