Das kleine Wunder, das sich im Inneren von Pflanzensamen abspielt, hält auch für die Forschung noch etliche Rätsel bereit. Einem davon sind Pflanzenphysiologen der Universität Hohenheim in Stuttgart, der Universitäten Genf, Lausanne und federführend der Universität Lyon, nun gemeinsam auf die Spur gekommen: dem inneren molekularen Dialog des Samens. Denn tatsächlich verbergen sich unter der Samenhülle zwei genetisch verschiedene Organismen, die miteinander kommunizieren müssen. Dies hat mit dem besonderen Fortpflanzungsweg der Blütenpflanzen zu tun. Die Kommunikation des Embryos und des ihn umgebenden Endosperms basiert auf Peptidhormonen und funktioniert deshalb grundlegend anders als die meisten bisher erforschten Steuerungsmechanismen von Pflanzen.
Es war eine der entscheidenden Anpassungen im Lauf der Evolution, die es Pflanzen ermöglichte, das Land zu erobern: Die Ausbildung der Cuticula, einer hauchdünnen, wachsähnlichen Schutzschicht mit wasserabweisenden Eigenschaften, die Verdunstung verhindert und somit Blätter und weitere Pflanzenteile vor dem Austrocknen schützt. Die Cuticula wird bereits im Inneren des Samens ausgebildet und übernimmt hier noch eine weitere Funktion: Sie grenzt den Embryo, aus dem sich später der Keimling entwickelt, von dem ihn umgebenden Nährgewebe ab, dem sogenannten Endosperm.
Ein Samen – zwei Organismen
„Bemerkenswert ist, dass es sich bei dem Embryo und dem Endosperm genetisch um zwei verschiedene Organismen handelt. Dies hat mit dem besonderen Fortpflanzungsweg der Blütenpflanzen zu tun. Anders als bei Tieren findet hierbei nicht nur ein Befruchtungsereignis statt, sondern zwei“, erklärt Prof. Dr. Andreas Schaller, Leiter des Fachgebiets Physiologie und Biochemie der Pflanzen an der Universität Hohenheim. In den vergangenen Jahren fanden Wissenschaftler immer mehr Hinweise darauf, dass die beiden Organismen im Inneren des Samens miteinander kommunizieren müssen, um ihre Entwicklung aufeinander abzustimmen und die Bildung der Cuticula zu steuern. Wie genau dieser molekulare Dialog abläuft und wie der Prozess der Cuticula-Synthese wieder gestoppt wird, konnten Pflanzenbiologen der Universitäten Hohenheim und Lyon nun mit Unterstützung von Forschern der Universitäten Genf und Lausanne entschlüsseln.
Pflanzliche Peptidhormone: Kaum erforscht, doch von zentraler Bedeutung
„Aus pflanzenbiologischer Sicht besonders interessant ist, dass die Bildung der Cuticula durch ein Peptidhormon gesteuert wird. Peptidhormone unterscheiden sich grundlegend von den klassischen Pflanzenhormonen, die schon lange bekannt sind. Eine wichtige Eigenschaft von Peptidhormonen ist, dass sie als inaktive Vorstufen gebildet werden und daher zuerst durch andere Enzyme aktiviert werden müssen bevor sie ihre Wirkung entfalten können. Erst wenn das Peptid sozusagen passend ‚zurechtgeschnitten‘ ist, passt es auf den zugehörigen Rezeptor und löst somit eine bestimmte Reaktion aus. Erst in den letzten Jahren wurde entdeckt, welche wichtige Rolle Peptidhormone für viele Regelungsprozesse in der Pflanze spielen – von der Befruchtung bis zum Abwurf der Blätter. Unserem Forschungsteam ist es nun gelungen, einen solchen Signalweg vollständig aufzuklären“, so die drei Hohenheimer Co-Autoren der aktuellen Science-Publikation: Prof. Dr. Schaller mit Dr. Annick Stintzi und Stefanie Royek.
Cuticula-Bildung: Molekularer Dialog mit Stopp-Mechanismus
Konkret wird die Bildung der Cuticula im Samen von Blütenpflanzen wie folgt gesteuert: Der Embryo bildet eine inaktive Vorstufe des Peptidhormons TWS1 aus. Das Enzym ALE1, das notwendig ist, um das Peptidhormon zu aktivieren, wird jedoch im benachbarten Endosperm produziert.
Anfangs ist die Schutzschicht des Embryos durchlässig und die inaktiven Peptidhormone können ungehindert ins Endosperm wandern. Dort werden sie aktiviert und kehren anschließend zurück zum Embryo, wo sie an ihre zugehörigen Rezeptoren andocken. Dies löst die Bildung von Cuticula-Bestandteilen aus, welche nach und nach die Löcher in der Schutzschicht des Embryos stopfen und somit die molekulare Barriere immer weiter abdichten. „Am Ende ist eine Diffusion zwischen Embryo und Endosperm nicht mehr möglich – das heißt also, das Peptid kann nicht mehr zum aktivierenden Enzym gelangen, und schon aktivierte Peptidhormone können nicht mehr zurück zum Embryo. Die Rezeptoren werden also nicht mehr aktiviert und die Cuticula-Synthese stoppt. Der Embryo ist nun geschützt und zur Keimung bereit“, sagt Prof. Dr. Schaller.