Die Forschung zu konkreten Klimalösungen war bisher in den UN-Klimaberichten unterrepräsentiert. Solche Themen sind oft technisch geprägt und wurden von den Sozialwissenschaften wenig beachtet – was nahelegt, Forschungsprogramme und auch Prioritäten der Forschungsförderung zu überdenken. Dies ist das Ergebnis einer richtungsweisenden neuen Studie, die mehr als 400.000 Studien über die gesamte Breite der Klimaforschung mit Big-Data-Technologie ausgewertet hat. Der Ansatz bietet einen neuen Weg, mit dem rasanten Wachstum der wissenschaftlichen Literatur umzugehen. Die „Topographie der Klimaforschung“ wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) und dem Priestley International Centre for Climate an der Universität Leeds erstellt.
„Im Zeitalter von Big Literature ist es für Wissenschaftler unmöglich, selbst im eigenen Fachgebiet den Überblick über die Publikationen zu behalten“, berichtet Max Callaghan, Researcher in der MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung, der die Studie koordiniert hat.
„Wir haben nun mehr als 400.000 Studien zum Klimawandel aus einer einheitlichen wissenschaftlichen Literaturdatenbank, dem Web of Science, identifiziert und dann kartiert. Das ist eine enorme Zahl. Die Hälfte dieser Studien wurde in den letzten fünf Jahren veröffentlicht, seit Erscheinen des Fünften Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC.“ Das UN-Gremium hat den Auftrag, die wissenschaftliche Literatur zum Klimawandel regelmäßig, transparent und umfassend zu bewerten. Die rasant steigende Zahl der Veröffentlichungen stellt den IPCC ebenso vor Schwierigkeiten wie die Wissenschaftler, die sich um Literaturanalysen zu bestimmten Themen bemühen.
„Innovative Techniken des maschinellen Lernens wie das Topic Modelling können verstehen helfen, was in einem komplexen und weiten Feld wie der Klimaforschung vor sich geht, erklärt Callaghan.
„Weil das Modell unüberwacht lernt, also Themen ohne menschlichen Input entdeckt, können wir Dinge finden, von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie suchen.“ Neue Forschungsinhalte, zum Beispiel zu negativen Emissionen, CO2-Entnahme oder grünem Zement, können so auch ohne Vorkenntnisse identifiziert werden. Durch den Abgleich der Publikationen mit ihrer Zitierung in den IPCC-Berichten zeigt die Studie: Solche schnell wachsenden Themen zu technischen Lösungen sind dort weniger gut repräsentiert als Studien zur Klimaphysik.
Wissenschaftler müssen Wissenslandkarten bereitstellen für klimapolitischen Entscheidungsprozess
Der Abgleich zeigt auch: Die Sozialwissenschaften sind in den jüngsten Sachstandsberichten des Weltklimarats keineswegs unterrepräsentiert. „Der IPCC leistet gute Arbeit dabei, sie bei der Bewertung der Literatur mit abzubilden“, stellt Callaghan klar. „Trotzdem sind viele Forscher noch unzufrieden mit dem Gewicht der Sozialwissenschaft in den Berichten. Das Problem liegt vielleicht eher in deren geringem Anteil an der Klimawandel-Literatur insgesamt.“ Die Forderung nach stärker lösungsorientierten IPCC-Berichten mit mehr Sozialwissenschaft berührt also auch das Thema von strukturellen Änderungen in der Forschungsförderung.
„Wissenschaftler müssen Wissenslandkarten bereitstellen, um den klimapolitischen Entscheidungsprozess zu unterstützen“, sagt Jan Minx, Mitautor der Studie und Leiter der MCC-Arbeitsgruppe. „Aber rein manuelle Literaturauswertungen, wie sie beim IPCC heute noch üblich sind, stoßen an ihre Grenzen. Unsere Studie demonstriert, wie er sich auf das Zeitalter von Big Literature einstellen kann.”