Intensive landwirtschaftliche Nutzung wirkt sich stark auf die Artenvielfalt aus. Der Klimawandel könnte die Landwirtschaft in Zukunft aber als Hauptursache der Biodiversitätskrise ablösen. Modellrechnungen dazu waren bislang selten, weil Vorhersagen über die Entwicklung der Landwirtschaft schwierig sind. Wissenschafter der Universität Wien und der Universität für Bodenkultur haben nun ein kombiniertes Modell für eine Beispielregion in den österreichischen Alpen entwickelt. Die Ergebnisse bestätigen, dass der Klimawandel tatsächlich zum einflussreichsten Faktor für die Verbreitung von Arten in dieser Region werden könnte.
Die massiven Auswirkungen intensiver landwirtschaftlicher Nutzung auf wildlebende Tier- und Pflanzenarten sind gut dokumentiert. Modellrechnungen zur Zukunft der Biodiversität konzentrieren sich bislang aber stärker auf den Klimawandel als auf die Landnutzung. Ein Team von Biologen der Universität Wien und Sozial-Ökologen der Universität für Bodenkultur hat jetzt ein gekoppeltes Modell entwickelt, das Bewirtschaftungsentscheidungen von ca. 1.300 landwirtschaftlichen und Forstbetrieben simuliert und daraus die Folgen für die Pflanzendiversität einer Beispielregion – den oberösterreich-steirischen Eisenwurzen – berechnet.
Die Land- und Forstwirte reagieren in der Simulation auf verschiedene mögliche Entwicklungen der wirtschaftlichen und klimatischen Rahmenbedingungen. Sie entscheiden nach Kriterien, die aus Daten über den Strukturwandel der letzten Jahrzehnte und Interviews mit Akteurn in der Region entwickelt wurden. Die simulierten Entscheidungen führen zu Veränderungen in der Landschaft, die, gemeinsam mit dem Klimawandel, die Lebensräume der Pflanzen verändern.
Handlungsspielraum der Landwirte beschränkt
Die Ergebnisse der Berechnungen legen nahe, dass die Lebensräume der meisten Arten in der Region – unter allen Annahmen über die wirtschaftliche und klimatische Entwicklung der nächsten Jahrzehnte – schrumpfen werden. Für diese Lebensraumverluste spielt der Klimawandel eine wesentlich größere Rolle als die Landnutzung. „Dieses Ergebnis überrascht“, sagt Iwona Dullinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, „weil ein großer Teil der von uns modellierten 834 Pflanzenarten sensibel auf Landnutzungsunterschiede reagiert.“
Der scheinbare Widerspruch entsteht, weil das Modell keine großen Änderungen der Landnutzung vorhersagt. Diese Stabilität hat verschiedene Ursachen. Einerseits ist der Wald, die regional vorherrschende Nutzungsform, in Österreich gesetzlich geschützt. Andererseits eignen sich große Teile der heutigen Wiesen und Weiden aufgrund der gebirgigen Lagen kaum für weitere Intensivierung oder alternative Nutzungsformen. „Der Handlungsspielraum der Landwirte ist unter den von uns angenommenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen begrenzt“, erklärt Projektleiter Stefan Dullinger.
Ergebnisse nicht auf alle Weltregionen übertragbar
Im Unterschied dazu führt der Klimawandel bei etwa 60 Prozent der Arten zu Lebensraumverlusten. Diese Verluste sind teilweise massiv, besonders bei Arten, die heute schon höhere Berglagen besiedeln. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedrohung der Biodiversität von Gebirgslebensräumen durch den Klimawandel.
Den allgemeinen Schluss, dass die Zukunft der Biodiversität stärker vom Klimawandel als von der Landnutzung bestimmt wird, möchte Dullinger aber trotzdem nicht ziehen.
„Das ist eine regionale Studie, die für andere Landschaften in den Randlagen der Alpen repräsentativ sein kann, aber sicher nicht für Gegenden der Welt, in denen starke Veränderungen natürlicher oder naturnaher Ökosysteme eventuell noch bevorstehen, wie zum Beispiel in vielen tropischen Ländern“.
Die Modellregion hat den großen landwirtschaftlichen Strukturwandel längst hinter sich, und größere Umbrüche sind daher nur in Reaktion auf massive Veränderungen der Rahmenbedingungen möglich. „Um deutlicher positive Effekte auf die Lebensräume von Arten in der Region zu erzielen, bräuchte es eine wirklich ambitionierte Agrarpolitik mit starken finanziellen Anreizen für eine biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft“, meint Stefan Dullinger.