Städtische Hitzeinseln: Jeder Baum zählt

Der Münsterplatz in Zürich ist eine klassische Hitzeinsel. Eine Begrünung wie hier im Rahmen eines Kunstprojekts im Sommer 2019 könnte Abhilfe schaffen. Peter Baracchi; Stadt Zürich, Kunst im öffentlichen Raum (KiöR)

Ein besonders warmer Winter geht zu Ende – im Sommer droht die nächste Hitzewelle. Kann man kühle Orte schaffen, die dieser Tendenz entgegenwirken? Ein Simulationsprogramm der Empa kann detailliert voraussagen, welcher Bodenbelag und welche Begrünung die besten Erfolge versprechen. Am Beispiel des Münsterplatzes in Zürich haben Forscher die Berechnung nun durchgespielt. Gerade geht der wärmste Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu Ende. Die Durchschnittstemperatur lag um 3,4 Grad Celsius über dem Durchschnitt aus den Jahren 1981 bis 2010, meldete am 4. März der europäische Klimawandeldienst Copernicus Climate Change Service (C3S). Das lässt befürchten, dass auch die kommenden Sommermonate neue Temperaturrekorde brechen werden. In den Städten glüht dann der Asphalt, und das Überqueren schattenloser Plätze wie des Zürcher Münsterhofs wird zur Qual.Wie können wir unsere Städte auch in den nächsten 100 Jahren einigermassen angenehm halten, wenn der Klimawandel sich weiter verstärkt? Reicht ein bisschen Stadtgrün, verteilt nach ästhetischen Gesichtspunkten? Oder dürfen die Gegenmassnahmen auch etwas präziser sein? Die Empa hat erste Modellrechnungen angestellt, etwa anhand des Münsterplatzes in Zürich.

Aytaç Kubilay arbeitet am «Laboratory of Multiscale Studies in Building Physics» der Empa, sowie am Lehrstuhl für Baupyhsik an der ETH Zürich. Er ist Experte im Simulieren von Wärmeflüssen in verschiedenen Dimensionen – von einzelnen Poren in Ziegeln, Betonwänden oder Holz bis hin zu ganzen Städten. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen denkt er über Strategien nach, wie die kommenden Warmperioden gerade in Städten erträglicher gemacht werden können. Der Empa-Forscher hat sich für seine Computersimulation den Münsterplatz in der Zürcher Altstadt vorgenommen. Ein Grossteil des Platzes ist mit Pflastersteinen bedeckt, der Rand bei der Kirche Fraumünster ist betoniert. Es gibt einige Cafés und Sitzmöglichkeiten, aber keine Bäume, die Schatten spenden würden. Zudem ist der Münsterhof auf fast allen Seiten von Gebäuden umgeben. Die Fassaden erhitzen sich durch die Sonneneinstrahlung beträchtlich.

Den Klimawandel erträglicher machen

Wie sehr sich grosse Teile der Bevölkerung schon heute nach einem grünen Münsterplatz sehnen, zeigte im Sommer 2019 die Aktion des Berner Künstlers Heinrich Gartentor. Für vier Wochen war der Platz von einer Magerwiese bedeckt, die speziell für das Projekt angefertigt wurde. Dazu kamen zwei Schatten spendende Weiden aus dem Baummuseum Rapperswil. Bis die Aktion am 17. September endete, häuften sich bei der Stadt Anfragen, ob die Wiese denn nicht permanent auf dem Münsterplatz installiert bleiben könne. Empa- udn ETH-Forscher Kubilay und seine Kollegen hatten mit Heinrich Gartentors Kunstaktion nichts zu tun – auch wenn ihre Ergebnisse in die exakt gleiche Richtung deuten. Die Forscher haben den Platz ausgewählt, um Klimasimulationen durchzuführen, deren Ergebnisse sich auch auf andere Orte und Städte übertragen lassen. Die Berechnungen zeigen, dass die Temperaturen auf dem Münsterhof deutlich tiefer wären, wenn der Platz nicht gepflastert, sondern mit Erde und Gras bedeckt wäre. Über Nacht würde der Boden dadurch stärker abkühlen und tagsüber weniger Wärme speichern. Das Resultat wäre eine deutlich geringere Aufheizung der Fläche.

Wie ändert sich der Wohlfühlfaktor?

Um herauszufinden, wie die angenommene Temperaturveränderung auf den Menschen wirken würde, nutzen die Empa-Forscher den sogenannten Universellen Thermischen Klimaindex (UTCI). Dieser gibt an, wie hoch die Temperatur ist, die von Passanten tatsächlich wahrgenommen wird – er berücksichtigt nicht nur die Lufttemperatur, sondern auch die Luftfeuchtigkeit, die Umgebungstemperaturen, die Sonnenstrahlung und die Windgeschwindigkeit. Der UTCI ist der Celsius-Temperaturskala recht ähnlich: Werte von +38 bis +46 bedeuten «sehr starken Hitzestress», von +32 bis +38 ist es «starker Hitzestress», von +26 bis +32 «mittlerer Hitzestress», und im UTCI-Bereich von +9 bis +26 fühlen sich die Menschen am wohlsten und fühlen keinerlei Temperaturstress.

So würde eine Baumgruppe auf der nordöstlichen Ecke des Münsterplatzes die Lufttemperatur in zwei Metern Höhe verändern – im Vergleich zum Münsterplatz ohne Bäume. Empa

Das Ergebnis: Schon wenn man nur einen Viertel der gepflasterten Fläche am Münsterplatz durch einen anderen Bodenbelag ersetzen würde, wäre der «Backofen» im Sommer entschärft. Möglich wäre etwa ein Belag aus porösen Ziegeln, die bewässert werden könnten und so für Verdunstungskälte sorgten. Auch eine Graslandschaft würde helfen – selbst dann, wenn sie nicht dauernd bewässert und zu manchen Zeiten sogar austrocknen würde. Die Perioden, an denen auf dem Münsterplatz UTCI-Werte von über 32 herrschten (also «starker Hitzestress»), wären mit alternativen Bodenbelägen deutlich kürzer.

Bäume schaffen ein ganz anderes Klima

Noch deutlicher würde das Ergebnis ausfallen, wenn auf dem Münsterplatz Bäume stünden. Aytaç Kubilay und sein Kollege Lento Manickathan simulierten mit ihrer Software den Effekt von vier eng stehenden Bäumen auf der Nordostseite des Platzes. «Der Schatten der Bäume und zugleich ihre Transpiration würden die Hitzebelastung erheblich verringern», so Kubilay. Die gefühlte Temperatur würde auf weiten Teilen des Platzes um bis zu zwei Grad sinken. Dort, wo die Hausfassaden im Schatten liegen, sind es sogar bis zu vier Grad. Die Bäume können jedoch nicht nur den Platz kühlen, sondern auch die vorherrschenden Windrichtungen auf dem Platz nachhaltig verändern. Diese Effekte lassen sich kombinieren und zur Bekämpfung der Hitzeinseln einsetzen. Nach den Modellrechnungen am Münsterplatz wollen die Forscher nun ihr Simulationsprogramm weiter verfeinern, um Stadtplanern detaillierte Voraussagen zu ermöglichen, wie sie dem Klimawandel begegnen können.