Die chinesische Regierung plant, ein neues weltweites Handels- und Logistiknetzwerk zu etablieren. In einem Artikel, der in dieser Woche in der renommierten Zeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht wurde, argumentiert ein internationales Forscherteam, dass der Umweltschutz für die Initiative „Neue Seidenstraße“ Priorität haben sollte. Dieses chinesische Projekt wäre somit nicht nur eine Investition zur Förderung des internationalen Handels, sondern auch eine Chance für eine nachhaltige Entwicklung.
Zum Team, das eine umfassende strategische Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung fordert, gehören Forscher des Portugiesischen Forschungszentrums für Biodiversität und Genetische Ressourcen (CIBIO-InBIO), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv).
China ist dabei, ein Infrastrukturnetz aufzubauen, das eine Verbindung über den Land- und Seeweg zu verschiedenen Teilen Asiens, Afrikas und Europas schaffen soll. Laut der chinesischen Regierung haben sich bereits 65 Länder dem Projekt einer „neuen Seidenstraße“ angeschlossen, die zusammen etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung ausmachen und ein Drittel des gesamten Weltsozialprodukts erwirtschaften. Die auch „Belt and Road Initiative“ (BRI) genannten Handelsrouten zielen darauf ab, die Zukunft des Welthandels maßgeblich zu beeinflussen und die weltweite wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Gleichzeitig könnten sie aber auch die Umwelt nachhaltig schädigen. Die Umsetzung des Projekts beinhaltet eine massive Erweiterung der Eisenbahn- und Straßeninfrastruktur, den Bau neuer Häfen am Pazifischen und Indischen Ozean sowie den Bau von Öl- und Gasleitungen nach Russland, Kasachstan und Myanmar.
Die Publikation weist darauf hin, dass sich die wirtschaftlichen Entwicklungskorridore der BRI mit den Gebieten decken, die einen hohen ökologischen Wert aufweisen und daher auf die Biodiversität erhebliche Auswirkungen haben können. „Aufgrund der großen Rohstoffmengen, die für den Mega-Ausbau der Transportinfrastruktur in ökologisch sensiblen Gebieten wie Südostasien und im tropischen Afrika benötigt werden, kollidiert das legitime Streben der Menschen nach wirtschaftlichem Fortschritt mit den Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit“, erklärt Fernando Ascensão, Erstautor des Artikels und Wissenschaftler am CIBIO-InBIO in Portugal.
Ein kürzlich vorgelegter Bericht des World Wildlife Fund (WWF) zeigt, dass sich diese Korridore mit 1.739 Schlüsselgebieten der biologischen Vielfalt überlappen. Zu diesen von der Weltnaturschutzorganisation IUCN definierten „Key Biodiversity Areas“ (KBAs) gehören Gebiete, in denen 265 bedrohte Arten, darunter 39 vom Aussterben bedrohte Arten, leben. Die betroffenen Gebiete gelten als essenziell für den Erhalt von Tier- und Pflanzenarten.
Die neuen Infrastrukturen bergen aus sich der Forscher verschiedenste Gefahren für die betroffenen Ökosysteme. Dazu gehören beispielsweise eine verstärkte Umweltverschmutzung, die Ausbreitung von invasiven Arten, Barrieren für einige Arten oder gar der komplette Verlust von Lebensräumen. „Außerdem führen die Nutzung von Rohstoffen und fossilen Brennstoffen sowie die verstärkte Förderung der Öl- und Gasvorkommen zu einer zunehmenden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und zu hohen Treibhausgasemissionen“, betont Prof. Henrique Pereira vom CIBIO-InBIO, iDiv und der MLU.
Wie kann eine „ökologische Zivilisation“ gefördert werden?
Seit den 1990er verstärkt China im Streben nach einer „ökologischen Zivilisation“ seine Umweltgesetzgebung. In diesem Zusammenhang wurden als rechtliche Voraussetzung für alle wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungsaktivitäten Strategische Umweltprüfungen (SUP) durchgeführt. In dem nun in Nature Sustainability veröffentlichten Artikel wird argumentiert, dass ein Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und der ökologischen Nachhaltigkeit erreicht werden könnte. Dazu müsste aber China die guten Umweltpraktiken, die bereits innerhalb seiner eigenen Grenzen vorgeschriebenen sind, auch für diese Handelskorridore außerhalb seines Staatsgebietes vorschreiben. „Alle diese Projekte sollten einer strategischen Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Dazu gehört, dass von Anfang an in dem Entscheidungsprozess das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Entwicklungsplänen ganzheitlich betrachtet wird – einschließlich der Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Biodiversität“, erklärt Fernando Ascensão.
Die Autoren räumen ein, dass die hohe Zahl der Länder und Organisationen, die sich an der Initiative beteiligen, einen schnellen Paradigmenwechsel behindern könnte. Sie schlagen daher vor, konkrete Maßnahmen zu ergreifen: Würden nur Projekte finanziert werden, die die Richtlinien für die ökologische Nachhaltigkeit einhalten, dann könnten die Auswirkungen auf die Umwelt besser kontrolliert werden.
Sie argumentieren zudem, dass die nötigen Standards ausreichend flexibel sein sollten, um regionale Eigenheiten zu berücksichtigen, indem ein Dialog stattfindet, der sowohl alle Beteiligten am Entscheidungsprozess (Regierungen, Finanzinstitutionen, Nichtregierungsorganisationen und lokale Gemeinden) als auch Experten aus den Bereichen Naturschutz, menschliche Gesundheit und Klimawandels berücksichtigt.
„Die Initiative könnte für China eine Chance zur Übernahme einer Führungsrolle bei der weltweiten Förderung der Nachhaltigkeit bedeuten“, fasst Henrique Pereira zusammen. „Dazu müsste das Land von seinen Partnern in Übersee mindestens die gleiche Umweltqualität einfordern, die es in seinem Gebiet anstrebt.“