Vielfalt in der Einheit – Pflanzen der Tundra folgen einem globalen Spielplan

Gemeinschaften winziger Tundrapflanzen, hier die Maiglöckchenheide (Cassiope tetragona), gehorchen den gleichen Überlebens- und Fortpflanzungsregeln wie Pflanzengemeinschaften in weniger extremen Gegenden der Erde. – Foto: Dr. Alba Anadon-Rosell

Pflanzen der arktischen und alpinen Tundra haben sich an Extrembedingungen angepasst. Folgen sie dennoch den gleichen Spielregeln wie Pflanzen aus milderen Klimazonen? Welche Rückschlüsse lassen sich auf ihre Überlebenschancen angesichts der Erderwärmung ziehen? Dies untersuchte ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Universität Greifswald anhand der bislang größten Datensammlung von Pflanzenmerkmalen der Flora der Tundra. Das Team analysierte sechs Merkmale und erkannte einen weltweit gültigen Zusammenhang zwischen der äußeren Erscheinungsform von Pflanzen und deren Ökosystemfunktionen.

Die Pflanzen der Tundra überstehen lange, kalte Winter und nutzen die teilweise extrem kurze Sommerzeit für Wachstum und Ausbreitung. Im Laufe der Evolution haben sich Tundrapflanzen daher optimal an die extremen Umweltbedingungen angepasst. Aber die Arktis ist stärker vom Klimawandel betroffen als andere Teile der Erde, denn die Erderwärmung verläuft hier doppelt so schnell. Halten die unter Extrembedingungen lebenden Pflanzen der Tundra den zusätzlichen Stress durch die Erderwärmung stand? Haben die Pflanzen im Laufe der Evolution ausreichend Strategien entwickelt, um den gegenwärtigen Klimawandel zu überleben? Um diese Fragen zu beantworten, analysierten Forschende in einer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) geförderten Studie sechs weltweit gut beprobte Pflanzenmerkmale speziell in Tundrapflanzen. Diese Pflanzenmerkmale sind eng mit Ökosystemfunktionen wie Produktivität, Kohlenstoffspeicherung und Nährstoffkreislauf verknüpft und geben Aufschluss darüber, wie die Pflanzen auf Umweltveränderungen reagieren können.

Das internationale Forschungsteam hat Daten über die Höhe der Pflanzen, die Blattfläche, die Blattmasse pro Fläche, die Blatttrockenmasse, den Blattstickstoffgehalt und die Samenmasse gesammelt und mit jenen von Pflanzen aus der gemäßigten Zone und den Tropen verglichen. Die Untersuchungen bestätigen nun einen Zusammenhang, der für Pflanzen aus gemäßigten und tropischen Klimazonen bereits nachgewiesen war. Professor Martin Wilmking vom Institut für Botanik und Landschaftsökologie fasst das so zusammen:

Foto: Uni Greifswald

„Unterschiede hinsichtlich der sechs genannten Pflanzenmerkmale sind nicht nur zwischen verschiedenen Pflanzenarten erkennbar, sondern bestimmen auch Variationen innerhalb einer Pflanzenart. Dadurch können sich einzelne Pflanzenarten besser an Klimaschwankungen anpassen.“  Humboldt-Stipendiatin Dr. Alba Anadon-Rosell, die für zwei Jahre in Greifswald zu Tundrapflanzen forscht, ergänzt: „Tundrapflanzen zeigen dieselbe Verteilung der Variationen zwischen verschiedenen Arten und innerhalb einer Art wie Pflanzen aus milderen Klimazonen. Damit handelt es sich hierbei um weltweit gültiges Prinzip. Beobachtungen über die Anpassungsfähigkeit an Umweltbedingungen aufgrund von äußeren Merkmalen von Pflanzen aus gemäßigten Zonen und den Tropen lassen sich damit auch auf arktische und alpine Pflanzen übertragen. Das hilft uns in der Abschätzung der Klimawandelfolgen in diesem extremen Gebiet der Erde.“