Macht das Virus die Zukunft klimafreundlich?

Aktuelle „Notlösungen“ könnten die Nachhaltige Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft vorantreiben, sagt Volkswirt Karl Steininger

Prof. Steininger Foto: Uni Graz

Video-Konferenzen statt Dienstreisen, Homeoffice statt zur Arbeit pendeln – was derzeit Notlösungen sind, könnte in Zukunft Standard werden, wenn es sich bewährt, meint Volkswirt Karl Steininger von der Universität Graz und sieht darin gute Chancen im Kampf gegen den Klimawandel: „Die Corona-Krise zwingt uns, neue Wege auszuprobieren. Wenn wir damit gute Erfahrungen machen, könnten wir sie auch weiterhin verstärkt nutzen und damit einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Transformation unserer Gesellschaft leisten“, ist der Klimaökonom überzeugt.

Die durch die Corona-Krise bedingten Einschränkungen in Produktion und Mobilität haben zu einer deutlichen Verringerung von Schadstoffen in der Luft geführt. In China gingen, laut Analysen des finnischen Center for Research on Energy and Clean Air die Treibhausgasemissionen im Februar 2020 um mehr als 25 Prozent zurück. Auf die globale Erwärmung haben solche kurzfristigen Einsparungen aber keine Auswirkungen, sagt Karl Steininger: „Um tatsächlich eine Trendwende zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen weltweit und vor allem dauerhaft gesenkt werden.“ Eine Chance für unsere Umwelt birgt die aktuelle Situation aber dennoch: „Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Krise können grundlegende Veränderungen im Sinne einer nachhaltigen Transformation vorantreiben.“

Neben Auswirkungen im Arbeitsleben zeige die Krise vor allem Gefahren durch Abhängigkeiten von globalen Lieferketten auf. Wenn Länder in Asien keine Medikamente, elektronische Bauteile oder Ersatzteile für die Automobilindustrie mehr liefern können, kann das dramatische Auswirkungen für die Bevölkerung und die Wirtschaft in Europa haben. „Diese Erkenntnisse sprechen dafür, regional konzentrierte Produktionsstrukturen aufzubauen, um autonomer zu sein, mit dem Nebeneffekt, dadurch den ökologischen Fußabdruck deutlich zu verringern“, so der Klimaökonom.
Möglichkeiten zur Dezentralisierung gebe es bereits, sagt Steininger und verweist auf additive Produktionsverfahren, sprich 3D-Druck. „Damit ließen sich etwa Ersatzteile für die Automobilindustrie vor Ort erzeugen.“ Als ein weiteres Beispiel nennt er die Flow-Chemie, die es erlaubt, pharmazeutische Wirkstoffe in kleineren Einheiten herzustellen, und damit der Abhängigkeit von internationalen Lieferketten entgegenwirkt. Ein Pionier in diesem Forschungsgebiet ist der Chemiker Oliver C. Kappe von der Universität Graz.

Die nachhaltige Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft, die ein zentrales Ziel der Forschungen im Profilbereich „Climate Change Graz“ der Universität Graz ist, erfordert ein radikales Umdenken und eine grundsätzliche Neuorientierung in allen Lebensbereichen und Sektoren. Die aktuelle Krise könnte uns die Entscheidung, althergebrachte Wege zu verlassen, leichter machen, hofft Steininger.
Nachdenklich stimmt den Forscher allerdings, dass angesichts der unmittelbaren Bedrohung durch das Corona-Virus plötzlich Maßnahmen und Verhaltensänderungen akzeptiert werden, die der Klimawandel mit seiner langfristigen, größeren Gefährdung zumindest bisher nicht rechtfertigen konnte.