Corona und der lange Weg zurück…zu uns selbst

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Angst, Nachdenklichkeit, verunsicherte Überzeugungen und Gewohnheiten, die binnen einiger Tage komplett ad absurdum geführt wurden: Das Virus ist auch in den Köpfen angekommen und wird das Leben auch ohne eigentliche Infektion nachhaltig verändern – damit auch unsere Sicht auf die Dinge … jedenfalls für längere Zeit. Die Verunsicherung ist neben der konkreten Angst vor einer Infektion der Einsicht geschuldet, dass trotz bundesrepublikanischer Selbstbewunderung die Republik nur noch Teil einer globalisierten Lieferkette ist. Deutlich zeigt die Globalisierung in dieser Krise – weit jenseits aller Kapitalismuskritik – ihre kalte Seite.  Unser Geiz und unsere Gier werden in fast testamentarischer Manier abgestraft. Nicht nur, dass Grundlagen unseres täglichen Lebens, Produkte wie simple Hygieneartikel, fehlen, nein auch lebensnotwendige Medikamente sind schlicht nicht mehr im Zugriff unserer eigenen Gesellschaft. Schmerzhafte Abhängigkeiten werden ebenso deutlich wie politische und ökonomische Erpressbarkeiten. Die Bettelbriefe deutscher Provinzpolitiker an die Staatsführung in China sind dabei nur der vorläufige Höhepunkt.

„Grundsätzlich ist die internationale Arbeitsteilung sinnvoll und wird weitergeführt werden“, so der Bayreuther Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Herz.

Prof. Dr. Bernhard Herz Foto: Uni Bayreuth

Er findet es allerdings auch fraglich, „ob dies im gleichen Ausmaß wie bisher der Fall sein sollte. Viele Unternehmen werden überprüfen, wie sie sich zukünftig gegen Lieferausfälle besser absichern können. Die Regierung wird entscheiden müssen, inwieweit strategisch wichtige Produkte, etwa bestimmte Arzneimittel, nicht auch im Inland produziert werden sollten … . Internationale Lieferketten sind anfälliger bei staatlichen Eingriffen wie Grenzschließungen und bei Produktionsausfällen im Ausland“.  Dieser Gedanke kann durchaus als eine Ermutigung verstanden werden, über eine Re-Regionalisierung nachzudenken, die nicht nur den ökonomischen Gegebenheiten nach der Krise entspricht, sondern auch den politisch psychologischen. Der Regionalforscher Karl Martin Born erklärte in einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk: „Wenn man auf regionale Produkte zugreift, wenn man sich auf einer lokalen, regionalen Ebene engagiert, in Vereinen beispielsweise, dann hat dies viel mit einer geographisch bezogenen Selbstvergewisserung zu tun hat. Das heißt, man versucht sich an einer Stelle über sein alltägliches Handeln, über den alltäglichen Konsum, mit einer spezifischen Lebensumwelt zu identifizieren. Es handelt sich also im eine Art Selbstvergewisserung der eigenen Zugehörigkeit und damit der eigenen Identität“.

Etablierung von regionalen Wertschöpfungsketten

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Bereits im Sommer 2019 sagte Karl Martin Born: „Ich glaube, dass der Handlungsrahmen, der sich für eine Region momentan aufspannt und für eine regionale Entwicklung aufspannt, ganz wesentlich von der Zukunft der Globalisierung abhängt. Die Frage der Etablierung von regionalen Wertschöpfungsketten, die ja aus einer wirtschaftsgeografischen Sicht immer sehr betont werden, müssen immer im Kontext der Globalisierung gesehen werden. Denn der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten ist natürlich der Versuch, sich von globalen Wertschöpfungsketten unabhängiger zu machen.“[1] Recht hatte er schon damals – heute hat die Globalisierung ein Virus, ist krank und gleichzeitig der Highway für eine Ausbreitung der neuen Pest.

Der Virus hat uns, auf uns selbst zurückgeworfen

„Dass sich das Virus so ausbreiten kann, hängt damit zusammen, dass wir eine gewaltige globale Weltreichweite realisiert haben. Nun werden wir räumlich plötzlich auf unsere eigenen vier Wände zurückgeworfen. Der zeitliche Horizont ist auch massiv eingeschränkt, weil keiner weiß, was in drei oder vier Wochen ist. Das ist völlig unwägbar geworden. Das ändert die Weise unseres In-der-Welt-Seins“[2], stellte der Jenaer Soziologe Prof. Hartmut Rosa in einem Interview fest[3].

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Und Jan Zielonka von der Universität Venedig prophezeite dazu in einem Artikel in der Zeit: „Der Ausbruch des Coronavirus scheint den Lauf der Geschichte umzukehren. Vorbei sind die Globalisierung und die europäische Integration. Zurück ist der heldenhafte Kampf der Staaten um das nationale Überleben. Es sieht so aus, als ob dies wieder einmal alternativlos ist.“[4] Zwar haben pandemische Ereignisse immer schon stattgefunden, wie ein Blick auch in die jüngere Geschichte zeigt, so tötete die Spanische Grippe zwischen 1918 – 1920 geschätzt zwischen 20 – 50 Millionen Menschen. Nach dem zweiten Weltkrieg grassierte in den späten 50er Jahren die Asiatische Grippe und hinterließ, so die Weltgesundheitsorganisation [5], den Schätzungen nach zwischen einer und vier Millionen Tote. Die fast schon in Vergessenheit gerate Schweinegrippe forderte in den Jahren 2009 und 2010 zwischen 100.000 – 400.000 Leben.

Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden

Und da kann man schon mal grundsätzlich nachdenklich werden, so wie der Zukunfts- und Trendforscher Matthias Horx: „Vielleicht war der Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden.“ Diese Bild ließe sich mit der chinesischen Idee der „Neuen Seidenstraße“, die hier bei uns in Duisburg enden soll, schnell zu einem Gemälde aus der Hand Dürers verdichten. Nur brauchen die Reiter der Apokalypse sich heute nicht mehr auf‘s Pferd zu schwingen….

Die Globale Just-in-Time-Produktion hat sich überlebt

Aber was werden die direkten, die zeitnahen Folgen sein? Horx sagt weiter: „…im Herbst, gibt es wieder eine Weltwirtschaft. Aber die Globale Just-in-Time-Produktion, mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden, hat sich überlebt. Sie wird gerade demontiert und neu konfiguriert. Überall in den Produktionen und Service-Einrichtungen wachsen wieder Zwischenlager, Depots, Reserven. Ortsnahe Produktionen boomen, Netzwerke werden lokalisiert, das Handwerk erlebt eine Renaissance. Das Global-System driftet in Richtung GloKALisierung: Lokalisierung des Globalen.“[6]

Corona vor allem ein Clusterfuck

Und Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut verweist auf die anstehenden Hausaufgaben: „Neben der gesundheitlichen Gefahr und den ausgelösten Ängsten, ist Corona vor allem ein Clusterfuck. Also ein Ereignis, in dem komplexe Systeme letztlich unkontrollierbar und unbestimmten Ausmaßes kollabieren. …Deshalb: In der Krise braucht es Zukunftskompetenz[7]

Vertrauen in die eigene Gesellschaft noch stark und eine Grundlage für einen regionaleren Neuanfang

„Im europäischen Vergleich vertrauen die Deutschen mehr auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als andere Länder. Das zeigt der IW-Vertrauensindex, der sich aus verschiedenen repräsentativen Befragungen und objektiven Daten zusammensetzt. Ein Wert von 100 Punkten kennzeichnet das höchste Maß an Vertrauen, ein Wert von 0 Punkten das geringste. Demnach liegt die Bundesrepublik mit einem Wert von rund 74 Punkten auf Platz sieben, gleich hinter den skandinavischen Ländern, der Schweiz, der Niederlande und Irland. Vor allem im Norden Europas, in Dänemark (90,7) und Finnland (88,6) ist das Vertrauen der Bevölkerung sehr groß. In Griechenland hingegen (8,3) sind die Menschen eher misstrauisch. …. Der Vertrauensindex gibt auch Hinweise darauf, welche Länder die aktuelle Corona-Pandemie besser managen können als andere. Italien (30,3) landet mit einigen anderen südeuropäischen Ländern am Ende des Rankings. Dabei ist Vertrauen gerade bei einer landesweiten Krisenbewältigung besonders wichtig.“

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Und weiter sagt er „Entscheidend ist das Vertrauen in die Mitmenschen. Sie müssen sich solidarisch verhalten und persönlich einschränken, um die Pandemie einzudämmen“, sagt Studienautor Dominik Enste. „Wer kaum Vertrauen in die Politik hat, wird die verordneten Quarantäne-Maßnahmen nicht so strikt einhalten.“ Für Deutschland ergibt sich dadurch eine gute Ausgangslage, um die Corona-Krise zu bewältigen. Hierzulande steigt das Vertrauen in die Mitmenschen seit vielen Jahren langsam an.“[8] In dieser Krise liegt für Deutschland, für unseren oft kritisierten Föderalismus und für unsere, oft noch wieder zu entdeckenden, Regionen auch eine Chance. Diese gilt es wahrzunehmen und die Arbeit an den neuen Konzepten zu beginnen.

Quellen:

[1] https://www.ndr.de/ndr1niedersachsen/epg/Regionalitaet-ein-neues-Lebensgefuehl,sendung975222.html

[2] https://www.apollon-hochschule.de/news-aus-der-branche/detail/article/soziologe-so-eine-rasende-entschleunigung-ist-einzigartig/

[3] https://www.rnz.de/wissen/gesellschaft_artikel,-covid-19-so-eine-rasende-entschleunigung-ist-einzigartig-_arid,506041.html

[4] https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/coronavirus-demokratie-nationalismus-globalisierung-europaeische-integration-oeffentlicher-sektor

[5] WHO (Hrsg.): Pandemic Influenza Risk Management, S. 26. World Health Organization, Genf 2017.

[6] https://www.absatzwirtschaft.de/das-ende-von-corona-wie-wir-uns-wundern-werden-wenn-die-krise-vorbei-ist-170962/

[7] https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/in-produktiver-anspannung-durch-die-corona-krise/

[8] https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/beitrag/dominik-h-enste-lena-suling-deutsche-vertrauen-einander.html