Perspektiven des „European Green Deal“ in Zeiten der Corona-Pandemie

Wuppertal Institut formuliert Anforderungen an die Gestaltung grüner Konjunkturprogramme

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Die aktuellen Meldungen zum European Green Deal sowie zu möglichen Konjunkturpaketen nach der Corona-Pandemie überschlagen sich. Die meisten Beiträge erzeugen den Eindruck, als hätte es nicht bereits vor zehn Jahren nach der Finanzkrise milliardenschwere grüne Konjunkturprogramme gegeben. Daraus ließe sich einiges lernen.

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Der wissenschaftliche Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, stellt fest: „Spätestens mit der Finanzkrise 2008/2009 ist ökologische Modernisierung nicht mehr nur ein Nischenthema der Umweltpolitik, sondern zentraler Bestandteil der ökonomischen Krisenbekämpfung“. Die Green Deals der Finanzkrise von damals haben bei den Vereinten Nationen und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) deutliche Spuren hinterlassen. Allerdings bestehen weiterhin große konzeptionelle Unsicherheiten.

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Prof. Dr.-Ing. Philipp Schepelmann, Projektleiter im Forschungsbereich Stadtwandel in der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut, veröffentlichte dazu bereits vor zehn Jahren die Studie „A Green New Deal for Europe – Towards green modernisation in the face of crisis“ und mahnt: „Leider wollte keine Regierung eine offene und systematische Auswertung der damaligen Programme. Daher können wir zurzeit weder sagen, ob die Green New Deals der Vergangenheit überhaupt in Gänze implementiert wurden und mit welchem Erfolg oder Misserfolg. Trotzdem können wir für zukünftige Milliardenprogramme einige zentrale Anforderungen ableiten.“

 

Fünf Erkenntnisse aus der vergangenen Analyse stellt das Wuppertal daher nun in einem neuen Diskussionspapier zusammen.

1. Der Green New Deal ist nicht nur ein Klimadeal
Ein Green New Deal und damit zusammenhängende Konjunkturprogramme müssen einem ganzheitlichen Ansatz folgen. Alle Risiken der Überschreitung planetarer Grenzen müssen berücksichtigt werden, nicht zuletzt um Problemverlagerungen zu vermeiden. Bei der Europäischen Kommission scheint diese Erkenntnis zumindest in Ansätzen gereift zu sein. Beispielsweise umfasst der neue European Green Deal neben dem Klimaschutz auch Aspekte der ökologischen Nahrungsmittelversorgung, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft. Auch im Hinblick auf die Berichterstattung sind beim European Green Deal der Europäischen Kommission erste vielversprechende Ansätze einer nachhaltigen Governance zu erkennen.

2. Der Green New Deal ist planetar
Eine weitere grundlegende Erkenntnis ist nach den Erfahrungen der Vergangenheit, dass grüne Konjunkturprogramme ein weltweites Phänomen ist, bei dem die Europäisches Union im regionalen Vergleich bisher eher das Schlusslicht war. Die großen Programme in China, den USA und Südkorea könnten auch die europäischen Regierungen zu mehr Mut inspirieren. Als EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Vorstellung des European Green Deal einen „man-on-the-moon“-Momentum beschwor, verglich sie den European Green Deal mit der Mondlandung des Menschen. Dies unterstreicht die Größe der Herausforderung, die diesmal allerdings planetar ist. Die entsprechenden Maßnahmen sollten daher global abgestimmt ergriffen werden.

3. Die Deals brauchen einen „policy-learning accelerator“
Insbesondere für beschleunigte Lernprozesse in der Politik (policy-learning) wünschen sich die Experten des Wuppertal Instituts, dass nicht nur Instrumente der Europäischen Union wie das Europäische Semester im Hinblick auf einen Green Deal ausgebaut werden. Sie plädieren dafür, dass ein Beschleunigungsmechanismus für Lernprozesse – ein sogenannter „policy-learning accelerator“ – auf internationaler Ebene geschaffen wird, an dem sich alle ambitionierten Regierungen weltweit beteiligen können.

4. Der Green New Deal muss die relevanten Akteure einbinden
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass zum Beispiel Gerechtigkeitsaspekte des grünen Strukturwandels („just transition“) von zunehmender Dringlichkeit sind. Insbesondere auch im Hinblick auf zunehmende Risiken durch populistische Tendenzen müssen die Leidtragenden grüner Strukturpolitik stärker berücksichtigt werden. Mit Blick auf die traditionelle fossile Energieversorgung könnte die Kohlekommission der Bundesregierung (Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung) und die deutschen Strukturanpassungshilfen für die Lausitz und das Rheinische Revier dafür international beispielgebend sein.

5. Der Green New Deal hat „blinde Flecken“
„Ein politisches Tabu und blinder Fleck in der Debatte um den Green New Deal ist das konzeptionelle Paradoxon, das auch ‚grünes Wachstum‘ letztendlich die Wirtschaft weiterwachsen lässt“, sagt Schepelmann. Das Wachstum der Finanzströme sowie der Güterproduktion und von Dienstleistungen sei aber einer der Haupttreiber von Umweltzerstörung und Klimawandel.

„Umso mehr kommt es auf ein kluges Design von Konjunkturprogrammen an, mit dem gerade auch zentrale Weichen dafür gestellt werden, dass Wohlstand mit weniger Ressourcen- und Naturverbrauch erreicht werden kann. Investitionen in die Kreislaufwirtschaft und darauf basierende Produkte und Dienstleistungen sind dafür gute Beispiele“, ergänzt Fischedick.

Vernunft und Zusammenarbeit sind in Krisenzeiten gefragt

Die Corona-Pandemie führt vielen Menschen vor Augen, dass die Weltbevölkerung nicht nur ökonomisch, sondern auch physisch zusammengewachsen ist. Die Krise birgt die Chance, dass aus dieser Erkenntnis nun auch politische Verbundenheit erwächst. Wissenschaft und Forschung zur Berichterstattung sowie die Eindämmung und Bekämpfung des Virus erfolgt notwendigerweise global vernetzt. Selbst Regierungen, die bisher ihre Probleme mit evidenzbasierter Politik hatten, müssen erkennen, dass internationale Zusammenarbeit den Alleingängen einzelner Regierungen deutlich überlegen ist.

Fischedick: „Die Menschen weltweit dürften verstanden haben, dass Populisten den Menschen in dieser Krise nichts zu bieten haben. Vernunft und Zusammenarbeit sind in Krisenzeiten mehr denn je gefragt aber auch darüber hinaus gute Ratgeber. Dies gilt auch für das, was neben der Krisenbewältigung jetzt ansteht, nämlich die Vorbeugung gegenüber neuen Krisen – seien es neuartige Viren oder die Klimakrise.“