Knackiger Salat, bewässert und gedüngt mit aufbereitetem Abwasser – und so Ressourcen wie Wasser, Nährstoffe und Flächen effizient nutzen: Das ist die Idee hinter dem gerade abgeschlossenen Projekt HypoWave. Dass sie funktioniert, hat die Pilotanlage des Forschungsteams auf dem Gelände einer Kläranlage bei Wolfsburg bewiesen. Kernstück der Anlage war ein sogenanntes hydroponisches System, bei dem Pflanzen ohne Erde in einer Nährlösung gezogen werden. Dr. Jörn Germer, Agrarökologe an der Universität Hohenheim in Stuttgart, hat es mit seinem Team für den Einsatz kommunaler Abwässer angepasst. Eine Idee mit Zukunft im Wissenschaftsjahr 2020 Bioökonomie
Ein Gewächshaus mit Salatköpfen in Reih und Glied – doch die Pflanzen wachsen nicht etwa auf dem Boden, sondern in den Pflanzöffnungen langer Kunststoffrohre, in denen eine Nährlösung zirkuliert. Und auch diese weist eine Besonderheit auf: Es handelt sich um Bewässerungswasser auf Basis des Abwassers aus der Kläranlage in Wolfsburg-Hattorf, auf deren Gelände das Gewächshaus steht. Was gewöhnungsbedürftig klingt, ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll. „Kommunale Abwässer enthalten viel Stickstoff, Phosphor und alle anderen essentiellen Pflanzennährstoffe, die wir für den Gemüseanbau nutzen können“, erklärt Dr. Jörn Germer von der Universität Hohenheim den Hintergrund. „Mit der hydroponischen Pflanzenproduktion können wir diese Nährstoffe optimal nutzen und zudem die immer knapper werdende Ressource Wasser schonen.“
Einige Nährstoffe müssen zudosiert werden
Die Hohenheimer Forscher setzten für ihre hydroponischen Linien Bewässerungswasser ein, das die Projektpartner zuvor auf verschiedene Weise aus Abwasser des Klärwerks aufbereitet hatten. Im ersten Versuchsjahr 2017 verglichen sie vier Varianten im Durchflussbetrieb: Abwasser aus konventionellem Klärwerk mit und ohne Ozonbehandlung sowie anaerob behandeltes und nitrifiziertes Abwasser mit und ohne Kohlefiltration mit einer künstlichen Nährstofflösung.
„Darin ließen wir jeweils den Salat als Modellpflanzen wachsen“, berichtet Dr. Germer. „Er gedieh vor allem in den anaerob-aerob behandelten Varianten gut, denn dabei gast der wertvolle Stickstoff nicht in die Luft aus. Bei der Nitrifikation wird er durch Bakterien von Ammonium in Nitrat umgewandelt, das die Pflanzen gut aufnehmen können.“
Doch nicht nur die Menge der Nährstoffe ist entscheidend, sondern auch deren Verhältnis zueinander: „Abwasser enthält relativ viel Stickstoff und Phosphor, aber vergleichsweise wenig Kalium und Mikronährstoffe wie Zink und Eisen“, so der Experte. „Damit die Pflanzen möglichst effizient die Nährstoffe, insbesondere Stickstoff und Phosphor, aus dem Wasser aufnehmen können, müssen die gering vorliegenden Nährstoffe zugedüngt werden.“
Hydroponisches System entfernt Nährstoffe aus behandeltem Abwasser
Im Folgejahr tüftelten die Wissenschaftler weiter an diesem Problem. „Es ist nicht einfach, die Palette an Nährstoffen ausgewogen hinzubekommen, denn die Verhältnisse verschieben sich je nach Wachstumsstand und Umweltparameter.“ Während im ersten Jahr noch ein permanenter Durchfluss durch die Rohre erfolgte, experimentierte das Forschungsteam 2018 mit einem Kreislauf-System. Nitrat-Sensoren überwachten dabei kontinuierlich den Stickstoff-Gehalt, der im behandelten Abwasser zum weitaus größten Teil als Nitrat vorliegt. Sank dieser auf weniger als 10 mg/l Nitratstickstoff, wurde das Wasser erneuert. Zum Vergleich: Laut Abwasserverordnung gilt für Gesamtstickstoff ein Grenzwert von 13-18 mg/l für kommunales Abwasser.
„Damit gelang uns nicht nur eine Produktion auf hohem Niveau“, freut sich Dr. Germer, „sondern wir konnten auch das vorbehandelte Abwasser an Nährstoffen stark verarmen zu lassen. Wir erreichen damit Werte, die es erlauben, das Abwasser direkt in natürliche Fließgewässer einzuleiten. Stickstoff und Phosphor konnten wir viel weitreichender aus dem Abwasser entfernen als ein konventionelles Klärwerk – wir haben die Stickstofffrachten zum Teil bis unter die Nachweisgrenze senken können.“
Letztendlich ist es jedoch das Ziel jeder Nahrungsmittelproduktion, dass die Produkte auf dem Teller landen – und hier drängt sich die Frage nach Qualität und Hygiene beim hydroponischen Anbau mit Abwasser auf. „Das Julius Kühn-Institut (JKI) hat den Salat daher unter anderem auf das Bakterium Escherichia coli untersucht, einem Darmbakterium, das als Indikator für Verunreinigung durch Fäkalien dient.“
Guten Noten für Geschmack und Hygiene
Die Projektpartner konnten Entwarnung geben: Sie haben auf dem Salat nicht mehr E. coli als auf üblicher Marktware gefunden. Erbgutanalysen ergaben außerdem, dass es Unterschiede in den Populationen auf dem Salat und im aufbereiteten Abwasser gab. Das Ergebnis: Eine direkte Verunreinigung durch das Abwasser war nicht festzustellen, aus hygienischer Sicht scheint der Salat unbedenklich zu sein. Ein Aspekt, den es noch weiter zu untersuchen gilt, ist die Frage, wie die Übertragung bzw. Entwicklung von Antibiotikaresistenzgenen in den Bakterien unterbunden werden kann. Das Forschungsteam hat den Salat auch einem direkten Qualitätstest unterzogen: Die Wissenschaftler haben ihn selbst probiert. „Geschmacklich und in der Konsistenz hat der Salat überzeugt“, berichtet Dr. Germer. Über die restlichen Salatköpfe habe sich eine Schafherde in Hattorf gefreut.
Fallstudien zeigen hohes Potenzial des hydroponischen Systems auf
Um das Potenzial des neuen Systems auszuloten, hat das Forschungsteam Fallstudien durchgeführt. Unter Leitung des ISOE – Instituts für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main und des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik wurde beispielhaft an drei Regionen gezeigt, wie die Aufbereitung und Wiederverwendung von kommunalem Abwasser gelingen kann. Im Landkreis Gifhorn in Niedersachsen untersuchten sie das Potenzial von Gemüseanbau mit aufbereitetem Abwasser. In der Gemeinde Raeren in Belgien ging es um den hydroponischen Anbau von Schnittblumen, und im Alentejo Portugals um die hydroponische Aufbereitung von Abwasser zur anschließenden Nutzung für die Bewässerung von Oliven, Mandeln und Wein.
Wassereffizienz ist ein großer Pluspunkt
Demnach ist das System künftig z.B. auch für kleine Gemeinden interessant, die Probleme damit haben, bei der Aufbereitung des Abwassers die Grenzwerte einzuhalten. Hier liegen ökonomische Vorteile klar auf der Hand, wenn mögliche Strafen auf diese Weise umgangen werden. Auch die Wassereffizienz ist ein großer Pluspunkt in Regionen mit Wasserknappheit wie dem Süden Europas, wo die Versorgungssicherheit in Trockenzeiten von hoher Bedeutung ist.