Wer sich selbst gut organisieren und trotz Ablenkungen gut konzentrieren kann, kommt mit der Arbeit im Homeoffice eher zurecht. Diese „Arbeitsgestaltungskompetenz“ wird jedoch auch bei den bisherigen Verhältnissen immer wichtiger: „Allgemein – nicht nur im Homeoffice – nimmt die Entscheidungsfreiheit der Beschäftigten immer mehr zu, es gibt weniger Vorgaben“, so der Arbeits- und Organisationspsychologe Prof. Jan Dettmers von der FernUniversität in Hagen. Für ihre Selbstorganisation sollten die Beschäftigten erkennen können, wann sie aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften welche Aufgaben erledigen. Ein Wechsel zwischen komplexen und Routineaufgaben ist sinnvoll. Wichtig sind Strukturen.
Die durch die Corona-Krise rasant und für viele längerfristig veränderten Arbeitsbedingungen stellen nicht nur hohe Anforderungen an Organisationstalent, Flexibilität und Psyche der Beschäftigten. Schnell reagieren müssen auch viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit einer Situation wie der aktuellen i.d.R. noch nicht befasst haben, von denen jedoch Antworten und Einordnungen erwartet werden.
Ein vielgefragter Experte ist Prof. Dr. Jan Dettmers von der FernUniversität in Hagen. Der Leiter des Lehrgebietes Arbeits- und Organisationspsychologie konnte im März kurzfristig eine bereits längere Zeit laufende Längsschnittstudie erweitern, um aktuelle Daten zu erhalten. Ihm ging es um Fragen wie „Wie wirken sich die veränderten Rahmenbedingungen auf die Psyche von Beschäftigten aus, die ohne ausreichende organisatorische und technische Vorbereitung ins kalte ‚Homeoffice-Wasser‘ geworfen wurden? Welche Beschäftigtentypen kommen damit gut zurecht? Wie beeinflusst das die Beschäftigten? Was können sie selbst tun, um mit der Situation besser umzugehen?“
Der hohe Anteil an Zufriedenen erstaunt
Interessant ist, wie die nochmals befragten Teilnehmenden der Studie ihre eigene Produktivität im Homeoffice einschätzen, verglichen mit der Tätigkeit im Büro: 17 Prozent sehen sie als gleich hoch an, 28 Prozent gehen von 90 Prozent ihrer ursprünglichen Leistung aus, 13,5 Prozent meinen, dass sie weniger als 50 Prozent leisten. Die meisten – 77 Prozent – sind relativ zufrieden mit dieser Form der Arbeit, eher zufrieden sind 50 Prozent.
Für die meisten „passt“ auch ihre technische Ausstattung, doch gibt es große Unterschiede hinsichtlich der Koordination von Arbeit und Familienleben: „Das müssen wir noch genauer untersuchen“, so Dettmers. Obwohl viele keine Homeoffice-Erfahrungen haben und häufig die Bedingungen nicht optimal sind, erstaunt ihn der hohe Anteil an Zufriedenen.
„Selbstständige“ kommen besser klar
Wer sich selbst gut organisieren und trotz Ablenkungen gut konzentrieren kann, kommt mit den veränderten Verhältnissen eher zurecht. Diese „Arbeitsgestaltungskompetenz“ wird allerdings auch bei den bisherigen Verhältnissen immer wichtiger: „Allgemein – nicht nur im Homeoffice – nimmt die Entscheidungsfreiheit der Beschäftigten immer mehr zu, es gibt weniger Vorgaben ‚von oben‘“, so Dettmers. Daher müssen die Beschäftigten selbst entscheiden, was sie wann tun. „Wichtig ist dabei im Auge zu behalten, wann ihre Kolleginnen und Kollegen bestimmte Informationen und Ergebnisse brauchen – und wann man selbst welche von diesen benötigt.“ Ganz anders also als beim taylorisierten Arbeiten wie in Fabriken. „Das können die einen besser, die anderen nicht.“ Für ihre Selbstorganisation sollten die Beschäftigten erkennen können, wann sie aufgrund ihrer eigenen Eigenschaften welche Aufgaben erledigen. Wenn sie zur Mittagszeit müde und unkonzentriert sind, sollten sie einfache und Routineaufgaben erledigen und nicht über hochkomplexe Probleme nachdenken.
Wechsel zwischen Routine- und komplexen Aufgaben
Überhaupt ist der sinnvolle Wechsel zwischen Routine- und komplexen Aufgaben wichtig, betont Dettmers. Genauso wie zu erkennen, wie man im Rahmen der Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen seine Arbeitszeiten festlegen (und einhalten!) sollte, wann man eine Pause macht etc. Die Beschäftigten müssen ebenfalls erkennen, welche Qualität ihre Arbeitsergebnisse haben müssen und welcher Aufwand dafür notwendig ist: „Im Homeoffice wird es immer wichtiger, produktiv und nachhaltig zu arbeiten und sich gleichzeitig nicht selbst zu erschöpfen.“
Die Dringlichkeit der Aufgaben erkennen
Um das hinzubekommen rät Dettmers, seine Arbeit zu planen, z.B. morgens zu Beginn und zwischendurch, etwa nach der Mittagspause: Was soll ich wann tun? Was muss wann fertig sein? Am sinnvollsten ist es, einen individuellen Mittelweg zwischen starrem System und höchster Flexibilität zu finden. Dafür ist es wichtig, die Dringlichkeit der Aufgaben zu erkennen.
Ansprüche der Familie mitdenken
Aber nicht nur diese, denn auf der anderen Seite ist da noch die Partnerin oder der Partner, vielleicht auch Kinder: „Sie und ihre Ansprüche ‚mitzudenken‘ verkompliziert die Sache natürlich“, betont Dettmers (der hierbei auch aus eigener Erfahrung spricht). Denn auch die Familie hat ihre berechtigten Bedürfnisse, und die Wohnverhältnisse spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Beeinträchtigend für die psychische Gesundheit wird es z.B., wenn dauerhaft abends arbeitsbezogene Dinge unerledigt bleiben und Teilschritte nicht abgeschlossen werden können. Denn dann grübelt man oft weiter über die Themen des Arbeitstages. „Man sollte also einerseits Dinge abschließen, andererseits aber auch die Arbeitszeiten einigermaßen einhalten.“ Mal ein bisschen länger als vertraglich festgelegt zu arbeiten, um (Teil-)Aufgabe abzuschließen ist kein Problem, weil man dann wirklich „abschalten“ und sich besser wohlfühlen kann. „Man muss aber auch die Mehrarbeit an den nächsten Tagen wieder ausgleichen können“, betont Dettmers.
Strukturen schaffen und beachten
Gegen Überlastung können Strukturen wie feste Arbeitszeiten und private Auszeiten helfen, denn im Homeoffice besteht eher Ablenkungsgefahr als am eigentlichen Arbeitsplatz: „Kinder und die Abstimmung mit Partnerin oder Partner stellen besondere Anforderungen. Die Konzentration ist in gemeinsam genutzten Räumen schwerer aufrechtzuerhalten. Daher ist es wichtig, verbindlich zu vereinbaren, wer wann wofür zuständig ist – für die Betreuung der Kinder und das Spielen mit ihnen, für die Hausarbeit, für die eigene Berufstätigkeit.“ Es muss also auch Zeiten geben, die man für sich selbst reserviert, in denen man sich voll auf seine Arbeit konzentrieren kann. Diese Abgrenzung sollte auch für den benutzten Raum gelten: „Je mehr Abgrenzung, desto besser.“ Dieses „Social Distancing“ gilt jedoch nicht für Gespräche mit Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten über fachliche Themen.
Plattformen und Chats einrichten
Für die allgemeine Arbeitszufriedenheit ist auch der informelle Austausch, also abseits des Fachlichen, wichtig. Selbst wenn dabei jetzt die Spontanität oft fehlt. Dies kann durch permanent geöffnete Plattformen abgefedert werden, in denen man sich zwanglos wie in einer „virtuellen Teeküche“ – so eine der Bezeichnungen – treffen kann: „Hier kann man zusätzliches Feedback von Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen erhalten.“ Im Übrigen sollte man sich, so der Arbeits- und Organisationspsychologe, nicht scheuen, Führungskräfte und Kolleginnen und Kollegen auch bei kleineren Problemen anzusprechen. Zudem sollten sich insbesondere die Führungskräfte dafür einsetzen, auch für weniger wichtige Themen Plattformen und Chats einzurichten und zu nutzen.
Motivieren kann man sich aber auch mit ein paar ganz einfachen Mitteln, die nicht nur für die Arbeit am angestammten Arbeitsplatz, sondern auch im Homeoffice wirken: „Wichtig sind z.B. kleine Belohnungen – also einmal in den Kühlschrank zu greifen, eine Pause zu machen, einen Kaffee zu trinken – wenn man eine Sache abgeschlossen hat.“
Laufende Studie erweitert
Grundlage für die ersten neuen Erkenntnisse von Prof. Jan Dettmers ist eine Studie, in der rund 1.100 Beschäftigte allgemein zu psychologischen Belastungen durch ihre normale Arbeitssituation befragt worden waren. Daraus lagen Jan Dettmers bereits viele Daten vor. Ende März befragte er dann ergänzend 838 der Teilnehmenden nochmals – nur Personen, die wirklich weiterarbeiten. Von ihnen sind 32,2 Prozent jetzt ausschließlich im Homeoffice tätig, 13 Prozent an zwei bis vier Tagen, 46 Prozent noch im Büro. „Dann habe ich mir diejenigen angeschaut, die jetzt im Homeoffice arbeiten und wie sie das belastet“, erläutert er. Fast zwei Drittel hatten vorher noch keine Homeoffice-Praxis. „Wir haben z.B. verglichen, welche Unterschiede es macht, ob man entsprechende Erfahrung hat oder nicht.“
Dettmers betont jedoch, dass die gewonnenen Daten noch intensiver ausgewertet werden müssen, als dies kurzfristig möglich war. Das gilt auch für die tatsächlichen Rahmenbedingungen: Was macht Arbeiten zuhause erfolgreich und was nicht?