Wie sieht eine bezahlbare, verlässliche und nachhaltige Energieversorgung in Zukunft aus? Mit dem Ziel, diese Frage zu beantworten, haben acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in den vergangenen Jahren mehrere Delegationsreisen organisiert. Auf diesen Fact Finding Missions untersuchten die teilnehmenden Expertinnen und Experten, wie verschiedene Industrieländer die Transformation ihrer Energiesysteme vorantreiben. Der nun erschienene Abschlussbericht fasst die Erkenntnisse zusammen, bringt eine Kooperation mit Australien ins Spiel und fordert ein positives Narrativ für die Energiewende.
Die drei Fact Finding Missions, die acatech in Kooperation mit dem BDI seit Ende 2016 organisiert hat, haben gezeigt: In Ländern wie USA, China, Südkorea, Japan oder Australien gibt es ganz unterschiedliche Motivationen, das eigene Energiesystem umzubauen und Energiepolitik beziehungsweise Energieforschung zu gestalten. So legen die Länder bei der Förderung bestimmter Technologien verschiedene Schwerpunkte: Während Südkorea als ressourcenarmes Land die Erforschung und Entwicklung von Batteriespeichern vorantreibt, verfügt Australien über immense Vorkommen an fossilen Rohstoffen, möchte aber in Zukunft vor allem als grüner Energieexporteur in Erscheinung treten. Japan platziert sich mit seiner Wasserstoffstrategie als potenzieller Importeur dieser Energie. In den USA ist, trotz untergeordneter Klimapolitik, eine sehr zügige Umsetzung und Anwendung von Forschungsergebnissen in der Praxis auffällig. Wohingegen China im Bereich Energieforschung große Fortschritte gemacht hat: Dort entspreche das Niveau der Forschung in einigen anwendungsnahen Bereichen westlichen Standards oder übertreffe diese sogar, konstatieren die Expertinnen und Experten in ihrem Abschlussbericht.
Aus ihren Erkenntnissen haben die Autorinnen und Autoren des Berichts folgende Handlungsoptionen abgeleitet, wie die deutsche Energieforschung optimiert und das Energiesystem erfolgreich transformiert werden kann:
- Expertise bündeln, Forschung verknüpfen: zentrale Koordinierung der Energiewende erforderlich
Zwar fördere die dezentrale Forschung in Deutschland den Wettbewerb und die Unabhängigkeit der Energieforschung, so die Autorinnen und Autoren. Jedoch führe das auch zu einer gewissen Fragmentierung des Know-hows bei wichtigen Schlüsseltechnologien. Um innovative Forschungsfelder frühzeitig zu identifizieren und Forschungsthemen strategisch zu entwickeln, bedürfe es einer verstärkten Verknüpfung und gezielten Förderung bereits bestehender wissenschaftlicher und industrieller Forschung in Deutschland. - Breite der Energieforschung bewahren und die Ergebnis- und Technologieoffenheit fördern
In Anbetracht der noch zu leistenden Emissionsreduktionen zur Erreichung der nationalen sowie europäischen Klimaziele müssten alle Technologien verfolgt werden, die einen potenziellen Beitrag dazu leisten können, so die Autorinnen und Autoren. Mit Blick auf internationale Märkte gelte das insbesondere für die Sektorkopplung und Power-to-X-Technologien, um grünen Wasserstoff zu erzeugen, sowie in Bezug auf CCUS-Technologien und elektrochemische Speicher. - Kontinuierliches Energiewende-Benchmarking der G20-Länder einführen
Im Rückblick bewerten die Autorinnen und Autoren die Fact Finding Missions sehr positiv: Die Reisen hätten gezeigt, wie wichtig ein kontinuierliches Benchmarking internationaler Entwicklungen im Energiesektor ist. Entsprechend sollten ihrer Meinung nach auch in Zukunft regelmäßig Fact Finding Missions in die G20-Länder stattfinden. Auf diese Weise könne man weiterhin Best-Practice-Beispiele der Energieforschung identifizieren oder energiepolitische Maßnahmen beispielsweise hinsichtlich der CO2-Bepreisung erfassen und bewerten. - Internationale Technologien-Allianzen und Partnerschaften fördern
Internationale Allianzen in ausgewählten Technologiefeldern böten die Möglichkeit, potenzielle Rückstände in der Systemkompetenz Deutschlands aufzuholen sowie neue Märkte zu erschließen, heißt es im Bericht. Konkret bringen die Autorinnen und Autoren eine strategische Zusammenarbeit mit Australien ins Spiel: Das Land sei ein idealer Partner für ein langfristiges, großskaliges Kooperationsvorhaben, das die gesamte Wertschöpfungskette des grünen Wasserstoffs abdeckt. - Mit gutem Beispiel voran gehen: zeigen, dass es geht
Die Autoren beobachten, dass viele Länder ihre Energie- und Klimapolitik wirtschaftlichen Interessen nachordnen. Dabei würden globale Abhängigkeiten des nationalen Handelns oft wenig beachtet. Die Energiewende genieße aber insbesondere im außereuropäischen Ausland einen guten Ruf. Das müsse Deutschland nutzen, um die Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zu demonstrieren.
Insbesondere die letzte Option sei von großer Bedeutung, erklärt Projektleiter und acatech Mitglied Robert Schlögl: „Im Ausland beobachtet man genau, wie wir in Deutschland die Energiewende gestalten und an welchen Themen geforscht wird. Wir haben hier immer noch eine Art Vorbildfunktion – und dieser sollten wir jetzt gerecht werden, indem wir zeigen, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind. Dafür brauchen wir schnell erfolgreiche und großskalige Projekte, damit wir ein positives Narrativ der Energiewende schaffen, das auch zukünftige politische Strömungen überdauern kann.“