Wissenschaftlern des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) machen in der Corona-Krise einen „bemerkenswerten gesellschaftlichen Zusammenhalt“ aus. Das Institut der Universität Bielefeld veröffentlicht heute die Ergebnisse seiner Onlineumfrage zu den gesellschaftlichen Folgen der Epidemie. Demnach sind zwei Drittel der Befragten bereit, Einkäufe für Nachbarn zu erledigen. Die Hälfte der Befragten würde Vorräte oder Medikamente teilen.
Gleichzeitig belegt die Studie einen hohen Zuspruch zu den politischen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus: Etwas mehr als die Hälfte der Befragten sprach sich für härtere Strafen bei Verstößen gegen die Auflagen aus. Mehr als 3000 Personen beteiligten sich in den ersten zwei Wochen der bundesweiten Einschränkungen an der Umfrage.
„Die Ergebnisse legen nahe, dass die Hilfsbereitschaft in der aktuellen Krisenlage höher ist als Menschen gemeinhin annehmen“, sagt Dr. Jonas Rees, der das Team der Studie leitet. „Ein Viertel der Befragten war nicht nur bereit, zu helfen, sondern gab an, dies auch schon ganz konkret getan zu haben. Wir sehen gerade in dieser Krisenzeit einen bemerkenswerten gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Zwei Drittel der Befragten (69 Prozent) waren bereit, Einkäufe für andere Menschen zu erledigen. 50 Prozent der Befragten würden Vorräte oder Medikamente teilen. 16 Prozent der Teilnehmer*innen der Umfrage würden ihren Nachbarn Geld spenden, wenn diese sie darum bitten würden.
Die Studie zeigt zudem: Die Mehrheit der Befragten unterstützt die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Virus. Gleichzeitig hält die Analyse fest, dass in der Coronakrise der Zuspruch zu autoritären politischen Haltungen hoch ist. Mehr als die Hälfte der Befragten (57 Prozent) begrüßt härtere Strafen bei Verstößen gegen die Auflagen. Ein ähnlich hoher Anteil der Befragten (52 Prozent) bejaht die Aussage „Wir sollten dankbar sein für führende Köpfe, die uns sagen, wie wir die Corona-Krise bewältigen“. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) war bereit, während der Coronakrise notfalls auch Grundrechte einzuschränken.
„Unter gewöhnlichen Umständen wären das alles bedenkliche Indizien für autoritäre Orientierungen“, warnt Rees, „Aber wir haben es derzeit nicht mit gewöhnlichen Umständen zu tun – in einer solchen Situation suchen Menschen Orientierung. Auch Verschwörungstheorien verbreiten sich daher jetzt zunehmend, werden aber bisher noch von einer Mehrheit abgelehnt.“ So lehnten 77 Prozent der Befragten die Aussage ab, dass geheime Organisationen während der Corona-Krise großen Einfluss auf politische Entscheidungen hätten – 8 Prozent stimmten ihr aber auch zu.
„Die Studie bestätigt unsere Annahme, dass die Coronakrise bei vielen Menschen zu einer pragmatischen Angepasstheit führt“, sagt Professor Dr. Andreas Zick, Leiter des IKG. „Wenn die Maßnahmen, die zentrale Grundrechte einschränken, längere Zeit anhalten, kann das bei vielen Menschen zunehmend ein Gefühl der Ohnmacht zur Folge haben. Die dann entstehende Ohnmacht macht anfällig für Populismus“, sagt Zick. „Es besteht die Gefahr, dass sich damit autoritäre Einstellungen bei einer großen Zahl von Menschen verstetigen.“ Der Konfliktforscher drängt darauf, die Auswirkungen der Coronakrise auf das zivile und politische Miteinander öffentlich zu thematisieren: „Wir müssen neben den medizinischen und ökonomischen auch intensiver über die gesellschaftlichen Folgen der Krise sprechen.“
Das IKG hatte die Onlineumfrage vor einem Monat gestartet – zu der Zeit, als wegen der Coronakrise bundesweit das Kontaktverbot verhängt wurde. Der Bericht mit den ersten Ergebnissen der Studie ist heute auf der Website des IKG veröffentlicht worden. In den kommenden Wochen folgen die Auswertungen von ausführlichen, offenen Antworten der Befragten sowie die Entwicklungen der Antworten von etwa 1.600 Befragten, die sich an einer zweiten Befragung beteiligten